Laura Doermer: "Trappentreu"

Roman einer Familie


Laura Doermer hat mit ihrem Buch "Trappentreu. Roman einer Familie" eine Geschichte erzählt, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite gefangennimmt. Eine Familiengeschichte wird dort ausgebreitet, die sich von den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis hinein in die Jetztzeit des beginnenden 21. Jahrhunderts zieht. Es ist die Geschichte von Frauen und ihren Töchtern, Frauen, die immer wieder an die falschen Männer geraten, den ungelebten Lebenstraum von einer Generation auf die andere verschieben und weitergeben. Die Familientherapeuten nennen so etwas ein Muster, das sich, wenn es nicht bearbeitet und bewusst gemacht wird, in der nächsten Generation fortsetzt oder wiederholt.

Die dokumentarisch anmutende Geschichte beginnt im Jahr 1875. Marie, Tochter von Tagelöhnern in sehr ärmlichen Verhältnissen im kleinen fränkischen Marktflecken Allersberg treibt es, kaum den Kinderschuhen entwachsen, fort in die Großstadt. Sie will nur hinaus aus diesem Geruch der Armut und dem Pesthauch der Hoffnungslosigkeit, der die ganze Existenz des Elternhauses umfängt.

Noch nicht ganz volljährig, wird sie zusammen mit ihrer älteren Tochter Vroni von ihren Eltern, die doch froh sind, sie als Kostgänger endlich loszuwerden, in die Postkutsche nach München gesetzt, die Stadt, nach der sie sich ihre ganze Jugend über gesehnt hat. Sie verdingt sich bei einer Familie Lanzinger als Kammerzofe und träumt heimlich davon, die Herrin einmal zu beerben. Denn auch ihre Schwester Vroni hat es ähnlich gemacht und nach einiger Zeit ihren schon etwas älteren Dienstherren, einen Witwer, geheiratet.

Aber Marie träumt umsonst. Sie lernt den jungen Schreinergesellen Adam Fassbender kennen und zeugt mit ihm zwei Kinder, das zweite, nachdem sie Adam vier Jahre nach der Geburt des Sohnes Georg endlich dazu überreden konnte, sie zu heiraten.
Doch sie kommen aus ihrer Armut nicht heraus. Das Haus in der Trappentreustraße 46 im Münchner Westend, einem armen Arbeiterviertel, wird zum Symbol ihrer Existenz und zum Titel des ganzen Buches.

Marie denkt jahrelang an Selbstmord, führt ihn irgendwann auch aus, während ihre Tochter Therese, kaum volljährig geworden, der Trappentreustraße entflieht und nach Berlin geht. Dort lässt sie sich mit einem verheirateten jüdischen Mann ein, wird schwanger und natürlich von ihrem Galan verlassen. Reumütig muss Therese mit ihrer kleinen Tochter Lieselotte wieder zu ihrem Vater zurück in die Trappentreu.
"Indes schien sie an Nummer 46 festzukleben. Die Eintönigkeit der Geräusche des Hauses, das Türenschlagen am Morgen, das wütende Schlagen des Teppichklopfers auf dem auf der Teppichstange im Hof hängenden falschen Perser, das leise Tratschen der Frauen im Treppenhaus."

Auch in Lieselottes Lebenslauf setzt sich das Muster Maries und Thereses fort. Ständig sehnt sie sich aus der Armseligkeit fort und bleibt dennoch an ihr hängen. Selbst als sie einen ordentlichen Arbeitsplatz als Vorführdame in einem Modesalon hat, muss sie abends in die Wohnküche Thereses zurück, die sich tagsüber um die, natürlich uneheliche, Tochter Lieselottes, die kleine Nore, kümmert.
"Jeden Morgen verließ sie ein Haus, dessen sie sich zunehmend schämte. Und jeden Abend, beim Gehen durch die Einfahrt von Nummer 46 empfand sie ihre Heimkehr als einen Akt grenzenloser Entwürdigung."

Als Lieselotte den Kammersänger Meyerhofer heiratet und mit der gemeinsamen Tochter Marte später in dessen Villa zieht, scheinen sich die Zeiten zu ändern. Doch auch diese Ehe zerbricht, und Lieselotte kehrt wieder in die Trappentreu zurück, die alte Familiewohnung im mittlerweile zerbombten München.
Lieselottes zweite Ehe mit einem Dr. Bettenhausen beschert der gebeutelten Familie einigen Wohlstand, doch weder Lieselotte noch ihre beide Töchter Nore und Marta, die Senta genannt wird, sind wirklich glücklich.

In diesem Buch, das den Leser von Anfang bis Ende nicht loslässt, hat keine Familienstruktur lange Bestand. Vaterlose Kinder, Frauen, die sich mit ihren Kindern allein durch ein armseliges Leben schlagen und dennoch an ihren Träumen festhalten. Das macht die eigentümliche Faszination dieses lesenswerten Romans aus.

(Winfried Stanzick; 12/2007)


Laura Doermer: "Trappentreu. Roman einer Familie"
Wallstein Verlag, 2007. 383 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Laura Doermer, geboren 1935, lebt in Törwang bei München.
Laura Doermer starb am 11. Juli 2010.