Oliver Bernhardt: "Alfred Döblin"

Biografie


Anerkanntermaßen verkannt

In der Reihe dtv portrait liegt dieser Band zu Alfred Döblin (1878-1957), dem schriftstellernden Arzt vor. Mit dem prototypisch-expressionistischen Roman 'Berlin Alexanderplatz' wurde er 1929 berühmt - während Thomas Mann übrigens im gleichen Jahr den Literatur-Nobelpreis erhielt. Die Emigration und gesundheitliche Probleme haben Döblin schwer belastet - 1952 beginnt er mit autobiografischen Aufzeichnungen. Seit er 1942 im amerikanischen Exil einen Herzanfall erlitt, scheint sein restliches Leben nur noch eine Krankengeschichte zu sein.

Insgesamt wird im vorliegenden Buch wie in einem Erlebnisbericht von Anfang an teils situativ, teils analysierend der Lebensweg Döblins dargestellt, wobei Letzterer z.B. bemerkte, er sei eigentlich erst mit zehn Jahren in Berlin richtig geboren worden, die Jahre vorher in Stettin zählten für ihn nicht. Schon sehr früh begann Döblin sich mit Literatur und Philosophie zu beschäftigen, was ihn in der Schule zum Sonderling machte. Mit 18 bereits erteilte er in seiner Prosaskizze 'Modern' dem Kapitalismus eine Absage. Kaum zu glauben, dass seine Liebe zu Hölderlin für Döblin literarisch inspirierend war, muss er doch zu den Mitbegründern des Montageromans gezählt werden, welcher die Komplexität der modernen Welt wirksamer darstellen sollte, als es der traditionelle Roman konnte. Übrigens war es Rainer Maria Rilke, der als Lektor Döblins frühes Romanmanuskript 'Der schwarze Vorhang' verwarf.

Während seines Medizinstudiums besuchte Döblin Philosophievorlesungen und fand Eingang zu literarischen Kreisen. Seine Doktorarbeit schrieb er übrigens über den Einfluss chronischen Alkoholgenusses auf das Gedächtnis. Nach bestandenem Examen führte ihn sein Weg zunächst in diverse Irrenanstalten, wobei Döblin feststellte, er könne nur zwei Kategorien Menschen ertragen: "nämlich Kinder und Irre. Diese liebte ich immer wirklich." Nachdem er in Berlin seine erste eigene Praxis für Allgemeinmedizin eröffnet hatte, führte Döblin fortan eine Doppelexistenz als Arzt und Autor. Zur Erneuerung des Romans meinte er, müsse man von der Psychiatrie und dem Film lernen. Der Roman 'Die drei Sprünge des Wang-Iun' sollte ein erstes Dokument des "Döblinismus" (wie er seine Programmatik nannte) werden.

Nach dem Ersten Weltkrieg fordert Döblin nun den Beginn einer sozialistischen Weltordnung - Tucholsky äußerte sich begeistert über Döblins damalige politische Essays unter dem Pseudonym "Linke Poot" - wohl auch, weil Döblin als Therapie die Satire verordnet hatte. Allerdings schrieb er dann seinen Utopie-Schinken 'Berge, Meere und Giganten', in dem er die unheilvolle Geschichte der Menschheit bis ins 27. Jahrhundert forttreibt. Ab 1924 avancierte Döblin zu einer gesellschaftlichen und literarischen Größe in Berlin und ganz Deutschland. Er war Mitglied der 'Gruppe 1925', in welcher sich linksbürgerliche bis kommunistische Autoren zusammenfanden. Zwar entwickelte sich daraus ein enges Verhältnis zwischen Brecht und Döblin, doch die Gruppe zerfiel schon wieder 1928, weil es zu viele divergierende Erlösungsstrategien gab - das ewige Problem der Linken, sich selbst zu schwächen. Nach seiner Aufnahme in die 'Preußische Akademie der Künste' engagierte sich Döblin gegen die Zensur, für einen Lektürekanon an Schulen und weiterhin für die Erneuerung des Romans, v.a. mit seinem Vortrag 'Der Bau des epischen Werks' (1928), den Walter Benjamin später als "meisterhaft" bezeichnete.

Mit seinem Roman 'Berlin Alexanderplatz' erlebt Döblin 1928 in Deutschland und weltweit seinen Durchbruch. Dennoch erhielt just im selben Jahr nicht er, sondern eben Thomas Mann den Nobelpreis für Literatur. Überdies war es zu einer Kontroverse mit Johannes R. Becher in der Zeitschrift 'Die Linkskurve' gekommen. Döblin hatte sich politisch zwischen alle Lager positioniert - einerseits weiterhin Ablehnung des Kapitalismus, aber andererseits auch des Kommunismus - Döblin forderte die Rückkehr zu einem reinen Sozialismus: "Ich bin gegen jede Form von Diktatur, jede Revolution, jede Bourgeoisie." - damit verkomplizierte Döblin freilich seine Einschätzung bei allen Gesinnungsmissionaren.

Durch sein erzwungenes Exil gelangte Döblin nach Frankreich und musste Französisch lernen, was er letztendlich so kommentierte: "ich war kein Deutscher und werde auch kein Franzose." Allerdings wird er im Oktober 1936 sogar französischer Staatsbürger. Anfang September 1940 flüchtet die Familie schließlich nach New York und dann nach Los Angeles, wo sich ca. 80 Exil-Schriftsteller bei den "Metro-Goldwyn-Mayer"-Studios für bescheidene Dollars durchschlugen. Döblins Schreibweise erwies sich allerdings als ungeeignet für die Traumfabrik. Ende November 1941 tritt Döblin zum Christentum über. Während etwa Lion Feuchtwanger und Thomas Mann ziemlich luxuriös lebten, verarmte Döblin zusehends.

Mitte Oktober 1945 kehrte Döblin nach Deutschland zurück - hier wurde er Kulturoffizier für die Volkserziehung und gab die Zeitschrift 'Das Goldene Tor' heraus - 1951 musste er das Blatt aus finanziellen Gründen einstellen. Ihn plagten überdies diverse Krankheiten, er war verbittert über das restaurative Deutschland unter Adenauer - und seine Werke wurden nicht mehr gedruckt. Ende April 1953 zieht er wieder nach Paris.

Erst 1967 wurde Döblin wieder ins öffentliche Bewusstsein geholt: durch die Rede von Günter Grass mit dem Titel 'Über meinen Lehrer Döblin', wo er bemerkte: "Der progressiven Linken zu katholisch, den Katholiken zu anarchistisch, den Moralisten versagte er handfeste Thesen, fürs Nachtprogramm zu unelegant, war er dem Schulfunk zu vulgär." Letztendlich mag man es drehen und wenden wie man will: der Erzählband 'Der Tod einer Butterblume' und der Roman 'Berlin Alexanderplatz' bleiben die lesenswerten Überlieferungen dieses an Körper, Leib und Seele leidenden Autors, dem das Schicksal die Popularität eines Hesse oder Brecht versagte. Möge Oliver Bernhardts lebhaft schildernde Biografie daran etwas ändern.

(KS; 06/2007)


Oliver Bernhardt: "Alfred Döblin"
dtv, 2007. 187 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Wilfried F. Schoeller: "Alfred Döblin. Eine Biografie"

Ein Meilenstein nicht nur der Literaturgeschichte: Wilfried F. Schoeller legt seine umfassende Biografie über Alfred Döblin vor. Sein Roman über Franz Biberkopfs Leben am Berliner Alexanderplatz machte Alfred Döblin (1878-1957) berühmt - trotzdem blieb er der große Unbekannte der deutschen Literatur: ein Patriarch der Moderne, Berliner Homer, Kleinbürger und Kulturoffizier, Kassenarzt und Mystiker, Emigrant und einziger Rivale Thomas Manns, Opfer und Zeuge der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.
Wilfried F. Schoellers Biografie beruht auf langer Vertrautheit mit dem Werk und präsentiert neues, unbekanntes Material aus den Archiven. Döblin versteckte seine Seelendramen und Passionen in seinem Werk, selten wollte er von sich selbst sprechen. Mit seinen Romanen versuchte er, dem Chaos der Welt eine Ordnung der Kunst entgegenzusetzen, die sich freilich wild, rau und direkt gibt. Schoeller führt die vielen, oft widersprüchlichen Facetten dieses Lebens vor. Und er macht deutlich, was es in Döblins gigantischem erzählerischen Kosmos noch zu entdecken gibt. (Hanser)
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