Fatou Diome: "Der Bauch des Ozeans"
Zwischen Senegal und Frankreich
Niodor, eine kleine
Insel im Senegal. Die Jungen hängen vor dem Fernseher, spielen Fußball und träumen
von einer großen Fußballkarriere in Frankreich. "France", das weiß jeder, reimt
sich schließlich auf "Chance". "Sie zahlen in Frankreich sogar dafür, dass Leute
Hundeköttel aufsammeln", erzählen sie sich.
Und jeder, der zurückkommt
aus dem goldenen Paradies, fügt einen weiteren Baustein in diesen Mythos ein.
Die Verwandten, Bekannten, ja das ganze Dorf werden zum Festmahl geladen, Geschenke
verteilt, und der Rückkehrer erzählt davon, wie reich und schön es in Frankreich
zugeht.
Dass die
Afrikaner
in Frankreich die Schwarzen sind, die schlechten Arbeitsplätze haben, wenig Geld
verdienen, erzählt keiner. Das hieße zugeben, dass man es nicht geschafft hat.
Und das will keiner, das kann keiner, er wäre sofort als Verlierer geächtet.
Und schon gleich gar nicht erzählt man, was die erwartet, die illegal ins Land
kommen: Löhne weit unter dem Existenzminimum, jederzeit droht die Abschiebung.
Frankreich, die ehemalige
Kolonie, ist immer noch das große Vorbild. In Frankreich ist alles besser, schöner,
größer. Selbst der
Fußball. So sitzen
die Jungen vor dem Fernseher, verfolgen die Spiele der Equipe tricolore und
die der französischen Liga. Viele Senegalesen spielen in den Vereinen. Da sieht
man es ja, jeder hat eine Chance. Nur im Senegal nicht, da sind sie sich auch
einig.
Die Ich-Erzählerin
Salie lebt in Frankreich, legal, aber muss sich durch Putztätigkeiten über Wasser halten.
Ihr Bruder Madicke liegt ihr in den Ohren, dass sie ihn nach Frankreich holen
soll, zur Not auch illegal, ohne Visum. Sie erzählt ihm, was ihn als Illegalen
erwartet, aber das will er nicht hören.
Doch dann kommt diese
Weltmeisterschaft, an der Senegal teilnimmt. Und, was keiner der Jungen erwartet
hat, geschieht: Senegals Mannschaft spielt besser als das große Vorbild. Und
endlich kann die Schwester ihren Bruder überreden, dass sie ihm einen Laden
kauft, statt einer Flugkarte.
Wir erleben das kleine
Dorf, in dem jeder jeden kennt, jeder für jeden einsteht, aber auch alles und
jedes durch die überlieferte Tradition und den Islam geregelt wird. Männer beweisen
ihre Männlichkeit durch die Zahl ihrer Kinder und die ihrer Frauen. Die haben
nichts zu sagen, und ein uneheliches Kind ist eine unfassbare Sünde.
Der Roman spielt in
zwei Welten: Im Senegal und in Frankreich, schildert beide, beschönigt keine.
Das Leben der Immigranten in Frankreich lernt der Leser kennen und das in dem senegalesischen
Dorf. Das ist unbestritten die Stärke des Romans.
Leider hat er auch
Schwächen. Denn er hat Längen, die es manchmal schwer machen, das Buch nicht
aus der Hand zu legen. Da wird oft viel erklärt, statt es in Szenen zu zeigen,
und auch der Stil klingt manchmal schon sehr bemüht. Letzteres könnte natürlich
auch an der Übersetzung liegen.
Fazit:
Eine gute Schilderung zweier Welten, aber mit deutlichen Mängeln in Aufbau und Stil.
(Hans Peter Roentgen)
Fatou Diome: "Der Bauch des Ozeans"
(Originaltitel "Le ventre de l'Atlantique")
Aus dem Französischen
von Brigitte Große.
Diogenes. 288 Seiten.
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Fatou Diome, geboren 1968 in dem
senegalesischen Fischerdorf Niodior, lebt seit 1994 in Straßburg. Sie studierte
Literaturwissenschaften und unterrichtete an der Universität. Ihr erster Roman
"Der Bauch des Ozeans" hatte international großen Erfolg und wurde in
Deutschland mit dem "LiBeraturpreis" ausgezeichnet.
Ein weiteres Buch der Autorin:
"Ketala"
"Ketala": So heißt die Erbteilung auf Serer,
der Sprache der zweitgrößten Ethnie im Senegal. Nach einer Trauerfrist wird die
Habe des Verstorbenen unter den Angehörigen aufgeteilt. Wer aber trauert um
Memoria? Wer weiß, was sie
in Frankreich erlebt hat, bevor sie krank
nach Afrika
zurückkam? Einzig die Gegenstände, die sie begleitet haben. Und diese
beschließen, bevor die Erben kommen, einander alles zu erzählen, was sie wissen
von Memoria. Goldrandteller und Gebetsschal melden sich zu Wort, Perlenkette und
Papiertaschentuch. Doch auch das lastgebeugte Sofa, die Matratze und der
verführerische Schurz haben einiges zu berichten. In ebenso bildkräftiger und fantasievoller
Sprache wie in ihrem ersten Roman schildert Fatou Diome das Leben in Afrika und
in Europa. Erneut entlarvt sie Verlogenheit und überholte Traditionen, hier wie
dort, mit ebenso unbestechlichem wie liebevollem Blick. (Diogenes)
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