Annette Rehrl: "Die Diamantenkinder"
Zwischen Sklaverei, Gewalt und Hoffnung
"Ein Offizier der Bundeswehr hatte
mir geraten, jeden bewaffneten kleinen Jungen in Afrika mit 'Sir' anzusprechen,
wenn mir mein Leben lieb wäre."
Annette Rehrl hat mit diesem Buch ein
eindrucksvolles und erschütterndes Bild von einem Land gezeichnet, in dem
Menschen einander jahrelang gegenseitig niedergemetzelt haben und heute nicht
mehr sagen können, warum. Rund 75.000 Menschen haben in diesem Krieg ihr Leben
verloren, und doch tangieren das jahrelange Leid und vor allem die vielen
Schicksale der Kinder Europa und die ganze Welt kaum. Sierra Leone ist ja auch
nicht als Touristenhochburg zu bezeichnen, und so schaute die Welt
offensichtlich weg, als über 10.000 Kinder auf bestialische Weise rekrutiert und
für Kriegszwecke missbraucht wurden. Sie kämpften an allen Fronten, flüchteten
mal hierhin, mal dorthin, mal als Angreifer, dann wieder als Verfolgte. Ein Teil
dieser Kindersoldaten ist nunmehr nach Kriegsende auf der Suche nach einer
Überlebenschance in einem Heer schuftender Kinderarbeiter aufgegangen, die weder
schreiben noch lesen können.
Diesen Kindern, denen kaum Respekt entgegengebracht wird, gibt Annette Rehrl
eine Stimme und die Möglichkeit, von ihrem Leben zwischen Sklaverei, Gewalt
und Hoffnung zu erzählen. Wir begegnen Zehnjährigen mit geschulterten Gewehren,
zwölfjährigen Check-Point-Uniformierten, ausgemergelten Hungergestalten und
im Sterben liegenden Aidskranken, Minenopfern,
verwahrlosten Straßenkindern und vielen jungen Müttern, die selbst noch Kinder
sind. Es wimmelt nur so von Mädchen, die von den Rebellen als Sexsklavinnen
gehalten wurden und heute ihren Unterhalt als Prostituierte verdienen müssen,
weil niemand bereit ist, sie zu unterstützen. Rehrl gelingt es, Vertrauen aufzubauen,
und erstmals erzählen Kinder von ihren erschütternden Erlebnissen, als RUF-Truppen
die Stadt stürmten, Mädchen und Frauen vergewaltigten und auf offener Straße
Zivilisten mit der Machete Arme und Beine abhackten, um sie dann hilflos verbluten
zu lassen.
Ganz Sierra
Leone scheint traumatisiert - doch was nützt es, ein Traumabewältigungsprogramm
einführen zu wollen, wenn es keine reellen Zukunftschancen gibt. Sehr
ernüchternd in diesem Zusammenhang ist, dass Sierra Leone keineswegs ein armes
Land ist, sondern viel mehr eine Reihe von Bodenschätzen und vor allem Diamanten
zu bieten hat und über einen fruchtbaren Boden verfügt, der seine Bevölkerung
ernähren könnte.
Der sehr fragile Frieden beruht auf der Präsenz von rund
6.000 UNAMSIL-Soldaten. Die internationalen Friedenstruppen, denen hier sehr
viel Sympathie entgegengebracht wird, scheinen das äußere Gerüst abzugeben, mit
dessen Hilfe sich die Gesellschaft wieder erneuern soll. Doch völlig zurecht
stellt sich die Autorin die Frage, wie stabil ein Staatsgebäude sein kann,
dessen Gerüst nirgendwo im Boden verankert wurde, das nahezu über der
Gesellschaft zu schweben scheint.
In dieser Zeit der Unsicherheit, der
Orientierungslosigkeit, begibt sich Annette Rehrl in Zusammenarbeit mit der
UNHCR in die Trümmerwelt von Sierra Leone, um den Kindern zuzuhören und ihren
sehnlichsten Wunsch nach einem Stück Zukunft in die ganze Welt
hinauszutragen.
(Margarete Wais; 01/2005)
Annette Rehrl: "Die
Diamantenkinder"
Pattloch, 2004. 208 Seiten.
ISBN
3-629-02101-8.
ca. EUR 17,40.
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Dr. Annette Rehrl ist als freie Autorin
tätig. Ihre Spezialgebiete sind Armut, Migration und interkultureller Dialog.
Seit Juli 2003 ist sie freie Mitarbeiterin beim englischsprachigen
Flüchtlingsmagazin der UNHCR in Genf. Ihre hervorragenden Afrika-Kenntnisse
kamen auch dem bei Pattloch erschienenen Buch "Fatima" zugute, das sie
redaktionell mit betreute.
Noch ein Buchtipp:
Jutta Oster,
Fatima Mirembe: "Fatima. Nehmt mir alles, aber nicht mein Kind"
Als ihr
Vater stirbt, endet Fatimas Kindheit. Ihre Mutter wird von der Erstfrau ihres
Vaters aus dem Haus gejagt, ihre Brüder kommen tragisch ums Leben, sie selbst
wird fast zu Tode gefoltert. Fatima ist 16, als sie einen reichen Ugander
heiraten muss und schwanger wird. Wenig später flieht ihr Mann vor politischer
Verfolgung. Seine Erstfrau wird erschossen, Fatima ins
Gefängnis
geworfen und misshandelt. Dort bringt die junge Afrikanerin unter dramatischen
Umständen ihr Kind zur Welt. Ihre Mutter kauft sie und das Baby frei und schickt
sie per Flugzeug
nach Frankfurt. Mit dem Mut der Verzweiflung sucht Fatima ihren
Weg in Deutschland und führt ihre Flucht zu einem wunderbaren Ende.
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