Margriet de Moor: "Sturmflut"
In
der Nacht auf den 1. Februar 1953 kam es durch das gleichzeitige
Auftreten einer normalen Springflut und eines zusätzlichen
Jahrhundertsturms zu einer katastrophalen Sturmflut, die in den
südlichen Provinzen Hollands, Zeeland, Zuid-Holland und
Nord-Brabant 1853 Menschen das Leben kostete. Ganze Landstriche
verschwanden innerhalb von Stunden für immer von der
Landkarte.
Für die Niederlande bedeutete dieses Unglück knapp
acht Jahre nach den furchtbaren Leiden, die dieses kleine Land durch
Nazi-Deutschland erleben musste, eine nationale Katastrophe, die bei
den Menschen, die sie damals miterlebt haben, bis heute eine tiefe
Wirkung hinterlassen hat.
Nach dieser Sturmflut unternahmen die Niederlande bisher nicht
für möglich gehaltene Anstrengungen, dass ein solches
Unglück nie mehr geschehe. Gigantische Sperrwerke und eine
immer ausgeklügeltere Deich- und Entwässerungstechnik
wurden ausgedacht. Heute, angesichts drohender Erhöhung der
Meeresspiegel durch die sogenannte Klimakatastrophe, ist das Thema so
aktuell wie nie.
Ob es auch solche Gedanken waren, die Margriet de Moor bewogen haben,
nach einem erfolglos gebliebenen Versuch vor einigen Jahren, sich
erneut dem Thema dieser Sturmflut zuzuwenden, wissen wir nicht.
Tatsache ist, dass ihr mit "Sturmflut" ein Roman gelungen ist, der das
Schicksal zweier Schwestern und ihrer Familie geschickt
verknüpft mit einer dramatischen und an Spannung nicht zu
überbietenden Schilderung eines Geschehens, dessen
Beschreibung allein schon großes schriftstellerisches
Können voraussetzt.
Das Buch handelt von Lidy, der älteren und von Armanda, der
jüngeren Tochter einer angesehenen Arztfamilie. Lidy ist
verheiratet mit Sjoerd, einem Bankangestellten mit großen
Karriereaussichten und hat eine kleine Tochter, Nadja, die sie
früh geboren hat. Armanda ist noch Jungfrau, wartet ungeduldig
auf den Richtigen und ist Patentante eines siebenjährigen
Mädchens in Zieriksee, einer kleinen Stadt auf
Duiveland (von der Flut später besonders hart
betroffen).
Armanda soll am 1.2.1953, so wie jedes Jahr an diesem Tag, ihr
Patenkind zum Geburtstag besuchen, hat aber keine Lust und will lieber
auf eine Party von Sjoerds Halbschwester gehen. Sie überredet
Lidy, an ihrer Stelle auf die Insel zu fahren.
Tidy lässt sich darauf ein. Sie fährt halt gerne
Auto. Während sie, schon bei heftigem, orkanartigem Sturm, auf
der Geburtstagsfeier neue Leute kennen lernt, unter anderem den
Deichgrafen Simon Cau, amüsiert sich Armanda auf der Party mit
Sjoerd. Es prickelt zwischen ihnen. Der Ehebruch liegt in der Luft.
Und nun komponiert Margriet de Moor einen Roman, der einen
Spannungsbogen zieht zwischen dem Überlebenskampf von kaum
einem halben Dutzend Menschen (unter ihnen Lidy und Simon Cau) in der
Nacht zum 1.2.1953 und den beiden folgenden Tagen und dem Leben der
Familie nach der Katastrophe. Sie wechselt zwischen beiden Orten und
den Menschen hin und her. Verrinnen dort in der Flut zwischen den
einzelnen Szenen manchmal nur Minuten, und wird so die spannende Frage
lange offen gehalten, ob Lidy gegen alle Wahrscheinlichkeit
überleben wird, springt die Handlung hier zunächst in
Tagesschritten, dann in Monaten und zuletzt in Jahrzehnten bis zum
letzten Dialog der beiden Schwestern in Armandas Altersheim.
So bewahrheitet sich der Satz, den Armanda innerlich am Tag, als Lidys
vermutliche, bei Bauarbeiten für einen Deich im Schlick
gefundene sterbliche Überreste bestattet werden, an ihre
Schwester richtet: " Viel zu viel von dir hat sich in mir
angehäuft, Lidy. Deinetwegen konnte ich nie die sein, die ich
war."
Margriet de Moor hat extrem sorgfältig recherchiert
für diesen Roman, um besonders die das Buch dominierenden
Szenen um Lidy und ihre zufällige Schicksalsgemeinschaft von
dem Tod Geweihten zu schildern. Besonders der augenfällige
Gegensatz, wie hier innerhalb von Stunden alle früheren
Bindungen hinfällig werden, und dort die Menschen noch nach
Jahrzehnten mit der zwiespältigen Bindung an Lidy und der
Tatsache des anfänglichen Tausches nicht wirklich
abschließen können.
Zwei Bemerkungen eher negativer Art kann sich der Rezensent zu dem von
Helga van Beuningen großartig übersetzten,
außergewöhnlichen Roman nicht verkneifen. Im ersten
Teil des Buches gefällt sich de Moor mit einer gestelzt und
seltsam artifiziell wirkenden Sprache. Beispiel: "Die See, soweit sie
wussten, noch nie so weit vorgedrungen, war, fanden sie, wie ein wild
gewordenes Tier hinter ihren Schultern eingesperrt. " (Seite 123).
Und sie ist ebenso im ersten Teil des Buches regelrecht verliebt in
Partizipialkonstruktionen, die sie kompliziert in Nebensätzen
verschachtelt. Es bleibt absolut unklar, was sie mit beiden
"Kunstgriffen" erreichen will, zumal sie in der Mitte des Buches
plötzlich davon die Finger lässt, ohne dass die
Handlung dies nahelegen würde.
Das schmälert aber nicht die große Substanz dieses
Buches, das nur zu empfehlen ist.
(Winfried Stanzick; 02/2006)
Margriet
de Moor: "Sturmflut"
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen.
Hanser, 2006. 352 Seiten.
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Margriet
de Moor, geboren 1941, studierte in Den Haag Gesang und
Klavier. Nach
einer Karriere als Sängerin, vor allem mit Liedern des 20.
Jahrhunderts, studierte sie in Amsterdam Kunstgeschichte und
Architektur.
Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Der Jongleur"
Eine erotische Dreiecksbeziehung im Artistenmilieu: Amsterdam in den
1950er
Jahren. In einer Pension am Rembrandtplein haben einige
Varieté-Künstler
Quartier bezogen: Pieter Newton, der Jongleur, Charles Pluut, der
Zauberer, die
junge polnische Tänzerin Mis Daisy und andere
Überlebenskünstler. Charles
Pluut bewundert die Kunststücke des Jongleurs und sucht dessen
Freundschaft,
aber der Kegelwerfer bleibt reserviert. Pluut ärgert sich
maßlos, dass Pieter
ihm die kalte Schulter zeigt. Der ist ganz offensichtlich in Mis Daisy
verliebt,
die ihrerseits aber nur Augen für den Zauberer hat. Als der
raffinierte Pluut
ein Verhältnis mit Daisy beginnt, ist dabei gewiss nicht nur
Begehren im Spiel.
Etwas Gefährliches und Bösartiges zieht herauf.
(Hanser) zur Rezension ...
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"Kreutzersonate. Eine Liebesgeschichte"
Als der blinde Musikkritiker van Vlooten eines Tages eine junge
Geigerin trifft, ist er sofort von ihr fasziniert. Auch sie verliebt
sich, sie heiraten. Aber van Vlooten wird von Eifersucht zerfressen.
Als er sicher glaubt, sie habe ein Verhältnis, fasst er einen
mörderischen Plan. Kreutzersonate ist ein Roman über
Musik und Liebe,
voll
innerer
Spannung und Leidenschaft, wie nur de Moor ihn schreiben kann.
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"Die
Verabredung"
Es ist Nacht. Frau und Tochter schlafen. Da findet Vincent, der
Tierarzt, bei einem Spaziergang auf dem regennassen Gehsteig einen
kleinen Taschenkalender mit den
Eintragungen einer Frau. Und darin, unter einem Datum nur wenige Tage
später, seinen eigenen Namen. Bereits in diesem Augenblick
weiß er, dass diese Unbekannte ihm schicksalhaft bestimmt
ist, auch wenn zwischen ihm und seiner Frau Noor die stillschweigende
Abmachung besteht, dass er sie nie betrügen wird. Eine
ungewöhnliche
Dreiecksgeschichte
und eine betörende Geschichte von der Liebe.
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"Mélodie d'amour" zur Rezension ...