Philip Mansel: "Der Prinz Europas"
Charles-Joseph de Ligne 1735- 1814
Ein
europäisches Leichtgewicht
Einordnung
Wenn man sich durch die Viten der europäischen Politiker und
Literaten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts liest, so
stößt man regelmäßig auf Charles
Joseph de Ligne, der im Untertitel des Buches mit "Prototyp eines
Europäers" tituliert wird. Der 1735 im heutigen Belgien
geborene de Ligne verkehrte an den großen Höfen
Versailles, Wien, Potsdam und St. Petersburg, man findet ihn aber auch
in der Biografie Rousseaus, in der Voltaires,
Madame
de Staëls, Schillers
oder Goethes. Das macht natürlich neugierig, was für
ein Mensch er war, dieser Charles de Ligne.
De Ligne muss ein charmanter Zeitgenosse gewesen sein, belesen und von
einer großen geistigen Frische, wie ihm Germaine de
Staël bestätigte. Der "Edinburgh Review" hob zwar
auch seine Grazie und Brillanz hervor, bedauerte aber seine "Tiefe
Ignoranz der wahren Verfassung und des Fortschritts der Menschheit" und
der "völligen Missachtung der Rechte und Gefühle der
minderwertigen (sic) Stände".
Er wirkte im Prinzip in drei verschiedenen Rollen, wovon die wichtigste
dem Titel entnommen werden kann, denn er war in erster Linie Adeliger,
der an vier Höfen anzutreffen war. Bereits 1751 wurde de Ligne
mit 16 Jahren Kammerherr am Wiener Hof, eine übliche
Auszeichnung für den Hochadel. So unterschrieb er auch mit
"Charles par la grâce de Dieu prince de Ligne et du Saint
Empire Romain", bis Napoleon den Österreichischen Kaiser
degradierte und ihm
das
Heilige Römische Reich aberkannte, wodurch de Ligne
des Titels des Prinzen des Heiligen Römischen Reichs verlustig
ging.
Die zweite Rolle ist die des Politikers, die sich in damaliger Zeit oft
auch militärisch definierte. Er hätte sich gerne in
führenden diplomatischen und militärischen Rollen
gesehen, was jedoch nicht so recht auf Gegenliebe stieß. Aber
Kriege und Schlachten betrachtete er als eine Bühne, auf der
er dem europäischen Publikum seine militärischen
Fertigkeiten unter Beweis stellen konnte, bis ... ja bis er durch den
Tod seinen eigenen Sohnes Charles erfuhr, dass auf Schlachtfeldern auch
gestorben wird. Plötzlich war er vom Krieg nicht mehr so
begeistert, doch die Ideen des Humanismus vermochten ihn dennoch nicht
zu erreichen.
De Lignes dritte Rolle ist die eines sehr produktiven Autors gewesen,
doch seine überwiegend autobiografisch gefärbten
Werke und Korrespondenzbände spielen heute keine
große Rolle mehr.
Der vielleicht krönende Abschluss seines Lebens und Wirkens
dürfte der Wiener Kongress gewesen sein, in dessen
Anfangsphase er im Dezember 1814 starb, nicht ohne sein
berühmtes "Le congrès danse beaucoup, mais il ne
marche pas", oder zu Deutsch "Der Kongress tanzt, aber er kommt nicht
voran" zu hinterlassen.
Bewertung
Hinsichtlich der angeblichen Homosexualität Friedrichs II.
sind andere Autoren deutlich zurückhaltender als Philip
Mansel, der auch nicht müde wird, der Sexualität de
Lignes recht großen Raum einzuräumen. Dennoch stellt
sich am Ende des Buches ein klares Bild dieses Menschen ein. Ungeachtet
der persönlichen Bewertung des Menschen de Ligne muss man dem
Verlag und insbesondere dem Lektor aber trotzdem dankbar sein, eine
historische Person außerhalb des öffentlichen
geschichtlichen Fokus mit einer deutschen Übersetzung
gewürdigt zu haben. Es treten keine neuen geschichtlichen
Erkenntnisse und Einsichten zu Tage, doch die enge Perspektive eines
europaweit wirkenden Akteurs dieser spannenden Zeit ermöglicht
dem ambitionierten Leser eine nicht alltägliche Perspektive.
Man darf aber auch nicht verhehlen, dass der Preis hinsichtlich Umfangs
und Ausstattung des Buches selbst innerhalb des eigenen
Verlagsprogramms im oberen Segment angesiedelt ist, nimmt man
beispielsweise die nahezu zeitgleich erschienene
Pascal-Biografie
zum Vergleich. Aber das ist womöglich der legitime Preis
für ein Buch, das nicht nach den reinen Gesichtspunkten des
Marktes positioniert wurde.
Dass aber doch der eine oder andere Fehler das Lektorat
überdauerte, lässt angesichts des Renommees des
Verlages eigentlich nur vermuten, dass dieses Buch mehr als nur
übersetzt werden musste. Die Regeln, nach denen die sparsame
Übersetzung französischer Zitate erfolgte oder auch
ausblieb, erschlossen sich dem Rezensenten nicht zur Gänze.
(Klaus Prinz; 10/2006)
Philip
Mansel: "Der Prinz Europas. Charles-Joseph de Ligne 1735- 1814"
(Originaltitel "Prince of Europe. The Life of Charles-Joseph de Ligne
1735-1814")
Aus dem Englischen von Klaus Kochmann.
Klett-Cotta, 2006. 446 Seiten.
Buch
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Philip Mansel ist Historiker und Fellow der "Royal Historical Society". Er lebt in London.