Leif Davidsen: "Der Feind im Spiegel"
Als der dänische Schriftsteller Leif
Davidsen in seinem vorletzten, 2001 in Deutschland erschienenen Thriller "Der
Fluch der bösen Tat" am Ende den serbokroatischen Guerillakämpfer und späteren
Berufskiller Vuk auf die Fähre nach Finnland fliehen ließ, dachte er nach
eigenen Angaben im Nachwort des hier zu besprechenden neuen Buches nicht im
Traum daran, diese brutale, gequälte und überaus komplizierte Romanfigur noch
einmal wieder auferstehen zu lassen.
Als der amerikanische Justizminister
John Ashcroft unmittelbar nach dem 11. September 2001, dem bisher
zerstörerischsten mutmaßlichen Terroranschlag des islamistischen Netzwerks
al-Qaida auf Ziele der westlichen Welt, allen Menschen freies Geleit und
Immunität zusicherte, die den USA bei der Aufklärung dieses Anschlages und beim
weiteren Kampf gegen den Terror helfen könnten, da wusste Davidsen plötzlich, wo
seine ungeliebte Romanfigur sich aufhielt, und er hielt sofort den brisanten
Stoff für seinen neuen Thriller "Der Feind im Spiegel" in Händen.
Unter dem falschen Namen John Ericsson hat Vuk in den USA
mit gefälschten Pässen eine neue Existenz gefunden. Er ist verheiratet und hat
zwei Kinder. Als er vom Terroranschlag auf die "Twin Towers" hört, spürt er
sofort, dass dies sein Alias-Leben verändern wird. Tatsächlich bekommt er wenige
Wochen danach Besuch vom FBI. Er wird verhaftet und mehrere Monate lang
in
Hawaii in einem "Safe-House" des Geheimdienstes verhört. Das FBI will
prüfen, ob er für dessen spezielle Tätigkeiten geeignet scheint. Den
europäischen Verbündeten übermitteln sie indessen, Vuk sei tot.
Parallel
dazu erzählt Leif Davidsen, wie in Kopenhagen um seine aus den anderen Büchern
bekannte Hauptfigur Per Toftlund herum eine spezielle Einsatzgruppe gegründet
wird mit dem Ziel, dänische Zellen von al-Qaida zu identifizieren und
auszuheben. All das geschieht in enger Kooperation mit den USA und den anderen
NATO-Ländern. Die Mannschaft erhält den geheimen Namen "Troja" und hat zunächst
einige innere Konflikte zu lösen, die sich an der Person der einzigen
Nicht-Polizistin im Team fest machen, Aischa Hussein. Sie ist 33,
Palästinenserin, seit vier Jahren in Dänemark und hat nach ihrer Diplomarbeit
über das Thema "Euroislam und Demokratie" zunächst im damaligen
Landwirtschaftsministerium gearbeitet.
Sie gibt den Ermittlungen der Gruppe
auch die ersten entscheidenden und weiterführenden Hinweise, als sie ein uraltes
arabisches Handelssystem mit dem Namen "Hawala" als möglichen Deckmantel für die
enormen und bisher unbekannten finanziellen Transaktionen der Terroristen
identifiziert.
Ungefähr in dieser Phase der Ermittlungen erfährt Per
Toftlund von seiner Chefin Vuldom, dass Vuk noch lebt. Sofort ist in seiner
Seele die ganze Vorgeschichte präsent, als Vuk seinen besten Freund erschossen,
zwei weitere Menschen kaltblütig umgebracht, seine Frau Lise entführt und seine
eigene, Toftlunds, Karriere fast zerstört hätte (vgl. "Der Fluch der bösen Tat";
siehe nachstehende Buchtipps).
Vuk seinerseits wird derweil in Hawaii vom
FBI und CIA für einen Einsatz in Dänemark vorbereitet, seiner früheren Heimat.
Denn eine wichtige Spur der internationalen Ermittlungen nach dem 11. September
führt zu einem arabischen Mann in Kopenhagen mit einer Doppelexistenz in London.
Er ist der sogenannte "Thronfolger".
Auch Per Toftlund und sein Team sind
nach monatelanger Arbeit besonders durch den tatkräftigen und klugen Einsatz von
Aischa Hussein auf die dänische al-Qaida Verbindung gestoßen, auf eben jenen
Marko Cemal alias Mohammad Atlev.
Zu den stärksten Teilen des Buches
gehören die Beschreibungen dieser Zusammenarbeit zwischen Toftlund und Aischa.
Es wird deutlich, wie schwer es ist, eine andere Kultur wirklich zu verstehen.
Davidsen wechselt in der Mitte des Buches zwischen Kopenhagen und Hawaii hin und
her, wo Vuk auf seinen Einsatz vorbereitet wird. Auch dort liefern die
geschilderten Dialoge auch dem informierten Leser sehr gut recherchierte
Einblicke in die Arbeit der Geheimdienste nach dem 11.9.2001 und in die
Vorbereitung des zweiten Irakkrieges.
Die beiden Protagonisten, Vuk und
Toftlund, bewegen sich nun aufeinander zu. Dies liest sich spannend und immer
informativ zugleich bis zum überraschenden Ende des Buches.
Leif Davidsen
hat extrem gut recherchiert. Er beschreibt sein Milieu so, als wäre man selbst
dort. Man spürt die Hitze der Wüste, fühlt regelrecht die hohen Brecherwellen
auf Hawaii, man riecht das brackige Wasser
in den Kanälen von
Venedig, wo Toftlund und Aischa einen wichtigen Kenner der Materie
besuchen.
Davidsen besitzt ein großes Wissen über außenpolitische Vorgänge und hat offenbar
außergewöhnlich gute Kenntnisse über die internen Abläufe des dänischen polizeilichen
Geheimdienstes. Und so ist die Geschichte, die er in "Der Feind im Spiegel"
aufrollt, zwar nicht die Wahrheit über den 11. September und den al-Qaida-Terrorismus,
aber er liefert extrem wahrscheinliche Erklärungen für viele Vorgänge, die noch
vor zwei bis drei Jahren uns allen
etliche
Rätsel aufgaben: Zum Beispiel, wie die US-Regierung mit Hilfe der CIA eine
plausible Erklärung und einen Vorwand für einen zweiten Krieg gegen den Irak
fand.
Und so ist ein außergewöhnlicher Thriller entstanden, spannend
bis zur letzten Seite, dabei informativ und aufklärerisch wie ein guter
politischer Essay. Durch seine, so selten gelesenen, Schilderungen des
biografischen und religiös-kulturellen Hintergrundes von Aischa Hussein liefert
Leif Davidsen außerdem einen nicht hoch genug einzuschätzenden Beitrag für das
für einen Westeuropäer fast unmögliche Verständnis des Lebensgefühls gebildeter
Araber in der westlichen Welt und ihre Zerrissenheit zwischen den Kulturen und
Identitäten.
Leif Davidsen ist ein Schriftsteller, dessen bisher vier auf
Deutsch veröffentlichte Bücher mehr Beachtung verdient haben.
(Winfried Stanzick; 03/2006)
Leif Davidsen: "Der Feind im
Spiegel"
(Originaltitel "Fjenden i spejlet")
Aus dem Dänischen von
Peter Urban-Halle.
Zsolnay, 2006. 400 Seiten.
ISBN 3-552-05364-6.
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Leif Davidsen wurde am 25. Juli 1950 in
Dänemark geboren.
Weitere Bücher des Autors:
"Der Fluch der
bösen Tat"
Ein gedungener Mörder, von den Furien der Erinnerung gejagt; eine Journalistin,
die das Verbrechen verhindern will und sich in den Mann vom Geheimdienst verliebt
- Leif Davidsen hat, von
Salman Rushdies heimlichem
Besuch in Kopenhagen inspiriert, einen packenden politischen Thriller und ein
ergreifendes menschliches Drama geschrieben. Eine brisante Mischung aus Fakten
und Fiktion, Politik und Gefühl, die den Leser bis zur letzten Seite in Atem
hält.
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"Der Augenblick der
Wahrheit"
Als Paparazzo lebt Peter Lime davon, Fotos zu schießen, die das
Leben anderer Menschen verändern, oft sogar zerstören. Dass sich das destruktive
Potenzial seiner Bilder eines Tages gegen ihn selbst und seine Familie richten
könnte, hat er nicht geahnt. Atemlos folgt man seiner Suche nach der Wahrheit,
leidet mit ihm, wird Zeuge seiner tödlichen
Rache und einer neu wachsenden
Liebe. Leif Davidsen gehört zu den erfolgreichsten dänischen Autoren, und er
weiß, woraus echte Spannung entsteht. Im Augenblick der Wahrheit - in dem auch
das gelungene Foto entsteht - führt er nicht nur ins Zentrum einer
geheimnisvollen Intrige, sondern auch in das innerste Herz seines
Helden.
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"Die guten Schwestern"
Teddy
Pedersen wird mit schlimmen Wahrheiten konfrontiert: der Vater war bei der
Waffen-SS, seine Schwester Irma ist als mutmaßliche Stasi-Agentin "Edelweiß"
verhaftet worden, und einer seiner Reisegefährten, den man offenbar für Teddy
hielt, wird ermordet.
Ein spannender und menschlich bewegender Roman um
gespenstische Gedächtnisrituale, enttarnte Stasi-Agenten und osteuropäische
Mafia-Methoden, der auf die brisanten politischen Fragen der Gegenwart
zielt.
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Leseprobe:
Zwei Minuten war Vuk nun schon unten, aber er wußte, daß er es locker noch eine
Minute länger aushalten konnte. Er liebte dieses Gefühl der Kraft und der Leichtigkeit
seines Körpers, wenn er senkrecht zu den Fischschwärmen und den farbenprächtigen
Klippen hinabtauchte. Durch das Glas der Tauchermaske erschien alles verzerrt
und ein wenig vergrößert. Die Harpune ausgestreckt und die Beute in Reichweite.
Es war ein Gewimmel von Fischen, deren Namen ihm unbekannt waren. In allen Größen
und Farben. Es war eine andere, friedliche Welt, obwohl er natürlich wußte,
daß sie genauso unerbittlich war wie die Welt über Wasser. Am Meeresgrund angekommen,
drehte er sich um und blickte durch das giftgrüne Wasser hinauf. An der Oberfläche
schaute Mike suchend zu ihm hinunter. Mikes schwarzer Körper mit den feuerroten
Badeshorts. Mike, sein Aufpasser und Fastfreund, auch wenn keiner von ihnen
je zugeben würde, daß er sich in der Gesellschaft des anderen wohl fühlte. Die
Konventionen erlaubten es nicht. Er genoß den Geschmack des salzigen Wassers,
und die Lichtstreifen sahen durch den Wasserspiegel gefiltert aus wie Notenzeichen
auf einem wogenden Bildschirm. Das Meer war ruhig heute. Aber das konnte sich
innerhalb weniger Minuten ändern. Es konnte still und grün daliegen und sich
plötzlich in haushohen Wellen erheben. Das Dröhnen der langen Dünungen konnte
die Villa, in der er wohnte und verhört wurde, so gewaltsam erschüttern, daß
man meinte, die ganze Insel in ihren Fugen knarren zu hören. Das Meer lebte,
ohne Vorwarnung änderte es sein Temperament. Es konnte sanft und zärtlich sein
wie sein Leben mit Anna und gnadenlos wie seine Vergangenheit, mit der er jeden
Vor- und Nachmittag bei den Verhören konfrontiert wurde. Er liebte das Meer.
Die Insel war ein angenehmes Gefängnis, aber ein Gefängnis war es trotzdem.
Träge schwebte er umher. Er spürte den anwachsenden Druck in den Lungen. Er
mußte bald hoch. Damals als Froschmann konnte er sich bis zu fünf Minuten unten
halten, aber da war er noch jung gewesen. Er hielt seine Druckluftharpune schußbereit,
aber an diesem Aprilmorgen hatte er eigentlich keine Lust zu jagen. Er wollte
eins sein mit dem Wasser und dem Licht und die Schwerelosigkeit spüren. Wenn
er einmal sterben müßte, wollte er so sterben. Im Gefühl des Nichts, im Empfinden,
das Meer würde ihn verschlucken und im ewigen Vergessen verschwinden lassen.
Es wäre ein kurzer Schmerz, der aus dem stärker werdenden Verlangen der Lungen
nach Sauerstoff erwüchse, aber dann verginge er, alles würde grün und still,
und ein letztes Mal sähe er seinen Vater und seine Mutter und die kleine Lea
vor sich. Sie würden ihm zuwinken. Ihm zurufen. Licht und Wärme wären dort,
und hinter ihnen lägen Weinfelder und die bosnischen Berge in der Sonne, und
ein Duft von Thymian und
Lorbeer
durchzöge ein Land, das mit sich selber Frieden gemacht hatte. Und das grüne
Dunkel, das ihn verschlucken und auflösen würde, würde ihm auch die Alpträume
nehmen. Aber jetzt noch nicht. Noch nicht. Er bewegte die Flossen und begann
seinen behutsamen, kontrollierten Aufstieg durch das warme Wasser.
Vuk, der von den Aufsehern nur John genannt wurde, durchbrach neben Mike Kerry
den Wasserspiegel und pustete so kräftig, daß der Wasserstrahl aus seinem Schnorchel
schoß wie bei den Buckelwalen, die sie so oft beobachtet hatten. Er schob seine
Tauchermaske in die Stirn und sog begierig Luft in die Lungen. Mike trat Wasser
und schob seine Maske ebenfalls in die Stirn.
"Meine Fresse, John, du bist ja ein regelrechter Fisch, Mann. War deine Mama
eine Meerjungfrau?"
Vuk lachte.
"Klar, was denkst du denn?"
"Ja, von wegen. Du bist ein alter Froschmann. Weiß ich doch. Ich komme
aus
New York. Das einzige Wasser, das ich kenne, ist der Teich im Central Park."
"Manhattan ist doch von Wasser umgeben, soweit ich weiß."
"Das ist doch kein Meer, Mann. Das ist eine Kloake. Voller Scheiße und Mafialeichen.
Ich hab in einem Becken schwimmen gelernt, Mensch. Das Meer war viel zu gefährlich
mit den ganzen Haien und Feuerquallen und fiesen Strömungen."
Vuk lachte wieder. Mike brachte ihn schnell zum
Lachen.
"Du hast es immerhin gelernt", sagte er.
"Ich hatte ja auch einen guten Lehrer."
Sie traten Wasser. Sie waren nicht mehr als hundert Meter vom Strand entfernt,
genau über dem Riff, und schauten auf die Kokospalmen und die hohen, dichtbewaldeten
grünen und braunen Berge. Wie gewöhnlich umlagerten regenschwere Wolken die
Gipfel des Waialeale und des Kawaikini, aber davon abgesehen war der Himmel
ein mächtiges klares Gewölbe. Und so ganz unveränderlich waren die Wolken auch
nicht, es kam vor, daß sie durch Sonne und Wind plötzlich aufbrachen und an
den Seiten der erloschenen Vulkane hinabsanken, so daß die Wasserfälle zu sehen
waren, graue Ströme aus Silber. Hinter dem weißen, feinen Sand sahen sie die
Küstenstraße mit gemächlich fahrenden Autos und die großen Villen auf Pfählen.
Es war ein strahlender Morgen. Nur die Surfer saßen mißmutig vor ihren Zelten
auf dem Campingplatz und hielten nach Wellen Ausschau, auf denen sie reiten
konnten, wobei sie die Hände auf ihr Surfbrett legten, als wäre es der Schenkel
ihrer Geliebten. Das Meer war erstaunlich ruhig. Nach den Stürmen und den heftigen
Platzregen des Winters hielt jetzt der Sommer Einzug. Vuk fühlte nur eine schwache
Strömung an seinen Beinen, wenn er sie langsam bewegte. Die Dünungen machten
keine Gischt, sondern brachen schwer und flach über die Klippen nahe der Küste.
Wenn es ein Paradies auf Erden gab, mußte es Kauais Nordküste sein. Er wagte
den Gedanken gar nicht zu Ende zu denken, aber wenn alles gutging, würde er
Emma und die Zwillinge herholen und die Insel nie wieder verlassen. Er würde
ihnen das Shaka-Zeichen zeigen: die drei mittleren Finger auf den Handteller
legen und den Daumen und den kleinen Finger in die Höhe strecken, die Hand träge
hin und her bewegen und Aloha sagen. Er würde ihnen das hang loose beibringen,
das alle Insulaner aus dem Effeff beherrschten. Nur im Hier und Heute leben
und weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft auch nur einen Gedanken verschwenden.
"Das glaubst du doch selber nicht, Mike", sagte er. "Laß uns an Land schwimmen."
"Katie findet es toll, was du aus meinem Körper gemacht hast."
"Ach, hör doch auf!"
Katie war Mikes Frau. Sie hatten zwei kleine Töchter. Er war zu Weihnachten
und vor ein paar Wochen mal zu Hause gewesen, aber sonst saß er hier genauso
gefangen wie Vuk. Wenn der stolze Ehemann und Vater seine Anekdoten von Katie
und den Kindern zum besten gab, beschlich Vuk ein zärtliches und zugleich bitteres
Gefühl. Oder wenn Mike die Fotos von seiner schönen schwarzen Frau und den beiden
süßen Kinderchen mit dem blendend weißen Lächeln und den Riesenschleifen im
Haar zeigte. Dann wurde Vuks Sehnsucht nach Emma und den Zwillingen unerträglich.
Es ging ihm buchstäblich an die Nieren. Er bekam Sodbrennen, und die Galle kam
ihm hoch. Es ging ihnen gut in Atlanta. Soviel war immerhin klar. Einmal pro
Woche durfte er auch mit Emma telefonieren. Die Maskerade
hatte ein Ende. Er hatte die Karten auf den Tisch gelegt und ihnen alles erzählt.
Emma konnte auch nicht so gut lügen. Sie hatte sich schnell in Widersprüche
verstrickt. Er hatte gehofft, daß seine Familie nun, da die Amis die Wahrheit
kannten, gleich nach Hawaii kommen könnte, aber diese Prämie hatte er sich noch
nicht verdient, wie sich der Oberst auf einer ihrer vielen Sitzungen auszudrücken
beliebte.
"Ich war noch nie so gut in Form, sagt sie." Mike hörte nicht auf. "Sie ist
ganz wild auf meinen neuen festen Körper, Mann. Und ich dachte immer, ich bin
durchtrainiert. Auf der Akademie war ich einer der Besten, aber jetzt ..."
Vuk antwortete nicht, sondern kraulte mit langen, gemessenen Zügen
zum Strand.
Mike folgte ihm, aber er zog die Tauchermaske über die Augen. Seine Begeisterung
für das Schnorcheln war noch immer so neu und groß, daß er nicht müde wurde,
die Unterwasserwelt zu betrachten, die ihm sein merkwürdiger und gefährlicher
Gefangener in den letzten Monaten eröffnet hatte. Es war eine eher kuriose Aufgabe,
die das FBI ihm da zugeteilt hatte. Und wenn seine Familie nicht so weit weg
gewesen wäre, auch eine sehr angenehme. John wirkte überhaupt nicht gefährlich
und schien nicht den geringsten Wunsch zu verspüren, das Weite zu suchen. Wohin
auch? Er wußte ohnehin, daß es zur Kooperation nur eine einzige Alternative
gab: eine kleine, heiße und offene Zelle in Guantánamo, wo all die anderen dreckigen
Terroristen verfaulten, na ja, und wenn es nach Mike ging, konnten sie dort
gerne bis ans Ende ihrer Tage bleiben.
Hinterher saßen sie vor der Villa am Strand. Joes Frau fegte die Veranda. Sie
winkte zu ihnen hinunter, und sie winkten zurück. Sie war eine kräftige Hawaiianerin
mit schwarzen Haaren, die häufig lächelte, und mit den Fischen, die sie in der
See aufspießten, vollbrachte sie in der Küche wahre Wunderwerke. Zwischen den
Pfählen, die das Haus trugen, lagen ein altes Auslegerkanu und in der Ecke ein
Schlauchboot, das in sich zusammengesackt war, sowie ein Haufen welker Palmblätter.
Einer der Pfosten sah neu aus. Der alte hatte ersetzt werden müssen, als der
Hurrikan Iniki die Insel 1992 mit seiner ganzen Wucht erwischt hatte. Manche
Häuser waren in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt worden, als hätte eine Bombe
sie getroffen, aber die Villa des FBI und des Nationalen Sicherheitsrats hatte
das Wüten des Wirbelsturms mit einigen unbedeutenden Schäden überstanden. Vuk
mochte das Haus. Es stand inmitten von Kokospalmen, war hellrot ausgebleicht
und abgenutzt, aber solide und geräumig. Ein solches Haus könnte er sich für
sich und seine Familie gut vorstellen. Es hatte drei Stockwerke, eine Veranda
mit weißgestrichenem Holzgeländer und feine weiße Fenster mit dunklen Sprossen.
Er konnte sehen, wie sich die Gardinen in den offenen Fenstern seines großen
Zimmers unterm Dach sanft im Wind bewegten. Im Nachbarzimmer wohnte Mike. Der
zweite Stock war dem Obersten und seinen Mitarbeitern vorbehalten. Hier wurde
er jeden Nachmittag vernommen, anfangs auch vormittags. Damit war nun Schluß.
Die endgültige Prüfung stand kurz bevor.
Vuk lehnte sich zurück und stützte sich auf seine Ellbogen. Er schaute über
das Meer. Mike zog zwei Flaschen Wasser aus seinem Rucksack. Darin lagen auch
seine FBI-Marke und seine Dienstpistole, aber er sah Vuk schon lange nicht mehr
als Gefangenen an, sie waren verbunden durch ein Schicksal und einen Verlauf
von Ereignissen, die sie beide nicht selbst bestimmt hatten. Sie tranken schweigend.
Plötzlich zeigte Mike
aufs Meer. (...)