György Dalos: "Die Balaton-Brigade"
Erzählung
Im Sommer 1989, dem Jahr der Öffnung
des Eisernen Vorhangs an der ungarisch-österreichischen Grenze, übernimmt der
verdiente Stasi-Mitarbeiter Josef eine Aufgabe, die sein langjähriges
berufliches Leben als Geheimdienstmitarbeiter krönen könnte: Als Reiseexperte
getarnt möge er die DDR-Urlauber rund um den Balaton "betreuen". Josef ist
gebürtiger Ungar, also höchst qualifiziert für diese Aufgabe, gäbe es nicht auch
in seinem Privatleben einiges, was in diesem letzten Sommer des Ostblocks außer
Rand und Band gerät. Seine Frau hat sich von ihm abgewandt, die achtzehnjährige
Tochter liebt einen chilenischen Trotzkisten aus Westberlin ...
György
Dalos lässt Josef im versöhnlichen Plauderton über seine Erlebnisse im Wendejahr
erzählen - aufmerksamer Zuhörer ist der Hund Hugo, ein wenig wirksames
Versöhnungsgeschenk an seine Tochter.
Dalos, der die Erzählung selbst ins
Deutsche übertrug, lebt seit mehr als zehn Jahren in Berlin. Offensichtlich
gelangen ihm in dieser Zeit genügend Einblicke in die DDR-Nostalgie, um seinen
Anti-Helden, der auch nach Jahren noch von seiner heroischen Rolle überzeugt
ist, in einem nicht unsympathischen Ton vor sich hin jammern zu lassen - dabei
wird auch mit Kritik an zeitgenössischen Neuerungen, dem Euro, den Kreditkarten,
der
Berliner
Stadtplanung, nicht gespart.
Dieses kurzweilige Buch ist mehr als ein
literarischer Reflex auf ein abgewirtschaftetes und mittlerweile vergangenes
Gesellschafts- und Politikmodell in der Osthälfte Europas. Wie Václav Havels
lebenspraktische Dissidenten-Philosophie zeigt es die prinzipielle
Unmöglichkeit, in der Unwahrheit zu leben. Ein Regime, das Nachkriegsgrenzen zu
unüberwindbaren Naturgesetzen erhebt, auch "befreundeten" Geheimdiensten nicht
die Wahrheit zumuten zu können glaubt, selbst treueste Bürger bespitzelt und
Stasileute dazu anhält, auch den engsten Familienkreis in die
Ermittlungstätigkeit einzubeziehen, funktioniert nicht. Zu dieser Feststellung
braucht der Ex-Dissident Dalos keine politikwissenschaftliche Analyse - die
Kombination von realistischen Lebensgeschichten und unrealisierbaren
Vorstellungen ihrer Hauptdarsteller genügt.
Der Autor Dalos, seit 1987 im
Westen, österreichischer Staatsbürger und früherer Leiter des ungarischen
Kulturzentrums in Berlin, kennt Deutschland so gut wie Ungarn. In seiner
Erzählung über den ostdeutschen Don Quijote und dessen einfältigen Eifer nähert
er sich seiner Heimat von der deutschen Seite und beschreibt ostdeutsche
Klischees vom Gulaschkommunismus und den befremdlichen, aber nicht
unsympathischen Umgang mit den magyarischen Dienstwaffen Pathos, Zynismus und
Alkohol.
Im Wissen um den guten Ausgang dieses schlimmen Kapitels
mitteleuropäischer Geschichte lässt es sich mit dem Buch gut und gerne lachen.
György Dalos, der deutsch-ungarisch-österreichisch-jüdische Autor, bringt die
Historie in greifbaren, ansprechenden und doch tragikomischen Schicksalen.
(Wolfgang Moser; 04/2006)
György Dalos: "Die Balaton-Brigade"
Rotbuch
Verlag, 2006. 190 Seiten.
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György Dalos, 1943 in in einer
jüdischen Familie
in Budapest geboren, lebt heute als freier Schriftsteller
in
Berlin. Er war bis 1999 Direktor des ungarischen Kulturinstituts in Berlin und
wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Györgi Dalos studierte an der
Moskauer Universität im Fachbereich deutsche Geschichte. Sein erstes Buch, ein
Gedichtband, erschien 1964. Er war bis 1968 Mitglied der Ungarischen KP. Im
selben Jahr folgten die Verurteilung wegen staatsfeindlicher Aktivitäten
(sogenannter Budapester "Maoistenprozess“), Berufs- und teilweise
Publikationsverbot.
Weitere Bücher des Autors
(Auswahl):
"Ungarn in der Nussschale"
György Dalos unternimmt in
diesem Buch einen Ausflug in die Vergangenheit seines Landes. Der vielfach
preisgekrönte Schriftsteller zeigt, wie sich aus den zentralen historischen
Erfahrungen das heutige, Europa zugewandte Ungarn entwickeln konnte. (C.H.
Beck)
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"Seilschaften"
Zu Zeiten des "Gulaschkommunismus" war Tamás Cohen ein ungarisch-jüdischer Oppositioneller. Im
Münchener Exil ist er in die Jahre gekommen: ehemals Dolmetscher, dann
Rundfunkjournalist und in den 1990er Jahren ein einsamer deutscher Arbeitsloser
mit Morgendepressionen. Außer der Sehnsucht nach Glück und dem Hang zu den
Frauen ist Tamás Cohen nur die Liebe zur Heimat geblieben. Als er aus dem
Nachlass eines verstorbenen ungarischen Finanzmoguls unerwartet
neunhunderttausend DM mit der Verpflichtung in Händen hält, die ungarische
Kultur in Deutschland zu pflegen, kehrt Tamás Cohen endlich in das geliebte
Budapest zurück. Sein neues Vermögen verschafft ihm zwar schmeichelhafte
öffentliche Anerkennung - aber schneller, als ihm lieb ist, findet er sich
wieder in intriganten politischen und dubiosen geschäftlichen Verwirrungen, in
unerwarteten familiären und leidenschaftlich amourösen Irrungen - Tamás Cohen
ist verwickelt in ungarisch-deutsche Seilschaften.
Ein ironischer Roman aus
der Welt der deutsch-ungarischen Polit-Operette mit einem charmanten "Helden".
(DuMont)
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"Der Gottsucher"
Der
fünfzehnjährige Gymnasiast Gábor, der aus einer jüdischen Familie stammt, gerät
ins Fadenkreuz entgegengesetzter Weltanschauungen. Der Schuldirektor ist
überzeugter Kommunist und bemüht sich, aus dem Schüler einen aufrechten Anhänger
des Kommunismus zu schmieden. Gegenspieler ist Dr. Paulik, bekennender Christ
und als Teilnehmer des Volksaufstandes von 1956 aktenkundiger
Konterrevolutionär. Er will Gábor den Weg zu Gott weisen. (Insel
Verlag)
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