Zvi Yavetz: "Erinnerungen an Czernowitz"

Wo Menschen und Bücher lebten


Der Zauber jüdischer Kultur in der Vorkriegsbukowina

Als die Habsburgermonarchie die Bukowina für sich gewann, jenes Gebiet zwischen dem damaligen Galizien, Siebenbürgen/Ungarn, Rumänien und Russland/Ukraine, wurde Wert auf eine rasche Besiedlung gelegt. Vor allem Juden, die dem russischen Antisemitismus entfliehen wollten, ließen sich bereitwillig dort nieder, und die Hauptstadt Czernowitz repräsentierte das bunte Völkergemisch der Bukowina sozusagen in komprimierter Form. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Bukowina rumänisch, und neben einer zunehmenden Zahl von Rumänen lebten in Czernowitz und der gesamten Bukowina vor allem Juden, Deutsche (die so genannten Schwaben) und Ruthenen (Ukrainer), außerdem kleinere Minderheiten wie das Bergvolk der Huzulen, die russischen Lipowaner, Armenier und so genannte Zigeuner.

Die Angehörigen dieser Völker hatten ein relativ unproblematisches Miteinander entwickelt. In diesem Klima konnte sich eine besondere jüdische Kultur entfalten, in die Wissen aus verschiedenen europäischen Kulturräumen, besonders dem deutschen, Eingang fand.

Als der Autor Zvi Yavetz, 1925 geboren, in Czernowitz aufwuchs, existierte diese Kultur noch, doch sie hatte unter der rumänischen Herrschaft bereits erste Risse erhalten, weil eine repressive Rumänisierungspolitik einsetzte, die vor allem auf die große, in weiten Kreisen der rumänischen Bevölkerung unbeliebte jüdische Minderheit abzielte. Zvi Yavetz, der väterlicherseits einer Fabrikantenfamilie entstammte, wurde von seiner Mutter und von deren Eltern in einer Atmosphäre humanistischer Bildung erzogen. Die Mutter lehrte ihn Deutsch, der Großvater brachte ihm die jüdischen Schriften und die Religion nahe; Privatlehrer unterwiesen ihn im Hebräischen.

Aufgrund von Misswirtschaft und überzogener Besteuerung verarmten viele Bürger der Bukowina in den dreißiger Jahren. Der immer offener zur Schau getragene Antisemitismus tat ein Übriges, um den Zionismus populär zu machen und viele Juden, darunter auch Yavetz' Familie, eine Übersiedlung nach Palästina zumindest erwägen zu lassen. Die meisten Czernowitzer Juden verschlossen jedoch die Augen vor den deutlichen Vorzeichen der rasch herannahenden Katastrophe und versuchten, eine scheinbare Normalität in ihrer Gemeinschaft aufrechtzuerhalten - bis der Nationalsozialismus, in einigen Fällen auch das sowjetische Regime, dem Czernowitz, wie es seit Jahrhunderten bestanden hatte, ein grauenvolles Ende bereitete.

Zvi Yavetz lässt vor den Augen des Lesers das alte Czernowitz mit seiner unverwechselbaren Mischung aus über den Ersten Weltkrieg gerettetem K.-u.-k.-Charme und jüdischer Prägung wieder auferstehen, so, wie er selbst es als Kind und Jugendlicher erlebte - vor allem im Jahr 1937, das einen Wendepunkt markierte. Der Leser lernt Juden aus allen Schichten kennen, von denen etliche in Israel zu prominenten Persönlichkeiten wurden, und taucht ein in das jüdische Alltagsleben und die typisch jüdische Gelehrsamkeit und Frömmigkeit mit all ihren Nuancen. Es sind vor allem diese voller Sympathie aufgezeichneten Porträts einzelner Personen, einfacher wie gesellschaftlich bedeutender, die das Buch prägen. Darüber hinaus beschreibt er sehr anschaulich die Lebensart der anderen Minderheiten und Völker in Czernowitz und der gesamten Bukowina. Doch weiß der Autor auch Stimmungen einzufangen und wiederzugeben, insbesondere jene zunächst unterschwellige, dann immer offener zutage tretende Bedrohung, der die meisten Czernowitzer Juden mit Verdrängungsreaktionen begegneten.

Ohne Sentimentalität, dennoch unverbrämt schildert Yavetz die Übergriffe und ständigen Schikanen durch Rumänen, die im Lauf der Jahre zunahmen und denen mit der Zeit auch nicht mehr durch die bis dahin übliche Bestechung beizukommen war, weist auf spätere Schicksale hin, wiewohl er den eigentlichen Holocaust in der Bukowina größtenteils ausspart, und vermittelt vor allem im ausführlichen Anhang einen aufschlussreichen Überblick über die Medienlandschaft Czernowitz' im dargestellten Zeitraum. Denn diese repräsentiert die rasch aufbrechenden Risse in der Czernowitzer Gesellschaft, auch in der jüdischen Gemeinde.

Sein besonderes Augenmerk richtet der Autor zudem auf den eigenwilligen Humor in Czernowitz, der keineswegs nur aus jüdischem Witz bestand und beispielsweise durch Gregor von Rezzori, wenn auch häufig verfälscht, festgehalten wurde.

Das Buch enthält selbstverständlich eine tiefe, schmerzliche Klage, gepaart mit einer bemerkenswert zurückhaltenden Anklage, vor allem aber ist es ein bezauberndes Stück Zeitgeschichte, eine liebevolle Erinnerung an eine besondere Kultur und Kultiviertheit, deren Verlust Europa ärmer gemacht hat.

(Regina Károlyi; 04/2007)


Zvi Yavetz: "Erinnerungen an Czernowitz. Wo Menschen und Bücher lebten"
C.H. Beck, 2007. 255 Seiten.
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Zvi Yavetz ist Professor em. für Alte Geschichte an der Universität Tel Aviv, zu deren Gründungsvätern er gehört.

Noch ein Buchtipp:

Andrei Corbea-Hoisie: "Czernowitzer Geschichten. Über eine städtische Kultur in Mittel(Ost)-Europa"

Der Autor verfolgt die Entstehung der Stadtkultur von Czernowitz als mitteleuropäische Enklave in einem von archaischer Ordnung beherrschten Gebiet und zeichnet den Prozess einer sozio-kulturellen Modernisierung nach, wo soziale, ethnische, sprachliche, religiöse und territoriale Gegensätze unvermittelt aufeinander prallten. Das Buch behandelt Meilensteine einer Geschichte, die mit dem 1775 erfolgten Anschluss des nord-moldauischen, am Wiener Hof Bukowina benannten Territoriums an Österreich begann und bis heute - nicht zuletzt aufgrund des prägenden "jüdischen" Einflusses am Entstehen und Bestehen jener für immer versunkenen bürgerlich-deutschsprachigen Czernowitzer "Welt" - als "Gedächtnisort" in der kollektiven Erinnerung Mittel- und Osteuropas präsent blieb. (Böhlau Verlag Wien)
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