Isabelle Condou: "Pascals Bekenntnisse"


Dieser kleine Roman der französischen Schriftstellerin Isabelle Condou ist eines der schönsten Bücher, die der Rezensent in diesem Frühjahr gelesen hat. Es ist die anrührende Geschichte von Pascal, einem verwitweten alten Mann, dessen einzige wirkliche Leidenschaft das Boule-Spiel geblieben ist, zu dem er sich am späten Nachmittag, wenn es beginnt, kühler zu werden, mit seinen Freunden trifft.
Der Dorfschullehrer ist dabei, der Bürgermeister, und sie reden vor und nach den Spielen über Gott und die Welt. Und seit Pascal, der ehemalige Bahnwärter, der Jahrzehnte mit seiner Frau im Bahnwärterhaus gelebt hat, von der Idee wie besessen ist, die Zehn Gebote zusammenzubekommen, reden sie auch darüber, wie das ist, wenn man in seinem Leben die Grenzen des Erlaubten überschreitet.
Nachdem der Dorfschullehrer beim ersten Gebot, das ihnen eingefallen ist, mit einem Diebstahl geprahlt hat, beginnt auch Pascal nachzudenken.

Isabelle Condou lässt ihn nun sein Leben erzählen, wechselt dauernd zwischen der Gegenwart, in der sich der alte, im Bahnwärterhäuschen alleine, aber nicht unbedingt einsam lebende Pascal hauptsächlich mit dem Boule-Spiel befasst, und seinen stillen Stunden, in denen er sich an seine Vergangenheit erinnert.

Da wird erzählt von Simone und Sylvestre, Pascals Eltern, von politischen Streiks, vom Krieg in Algerien, wo Sylvestre ums Leben kommt und hauptsächlich und immer wieder von Tante Milie, einer unabhängigen und emanzipierten Frau, von der Pascal viel lernt und die mit seiner Mutter im Dauerstreit liegt.

"Nach Kriegsausbruch schlief Pascal weiter in Tante Milies Zimmer. Abends hörten sie ganz leise Radio, und seine Tante erklärte ihm Dinge, die trauriger waren als das, was sein Vater erzählte. Niemals sagte sie 'die Juden', sie beklagte 'die Menschen', sie weinte um Frankreich, sie betete zu Charles de Gaulle und fragte sich, wo London lag. Simone, die gern an der Tür lauschte, wenn sie durch den Flur lief, um aus allen Fenstern die Nachbarn zu überwachen, beschimpfte sie morgens als Hexe, Resistance-Anhängerin, Anarchistin, Gefahr für die Allgemeinheit. Tante Milie antwortete ihr mit einem Kuss auf die Wange, lächelte freundlich und zog die Brauen zusammen, damit ihr Neffe nicht auch noch seinen Senf dazugab."

Und während sich Pascal erinnert, denkt er vorzugsweise darüber nach, wie er oder auch andere Menschen die Gebote Gottes übertreten haben. Allerhand fällt ihm dazu ein: das Pflaumenklauen, das Mogeln beim Spiel, seine Aufschneidereien und später als Ehemann seine regelmäßigen Bordellbesuche.
Und er spürt, dass diese Übertretungen sein Leben reicher, nicht ärmer gemacht haben, sie werden beim Nachdenken für ihn so etwas wie das Salz in der Suppe seiner Lebensjahre.

Zwei Dinge machen ihm aber sehr zu schaffen. Erstens hat er ein ungeschriebenes Gebot andauernd übertreten, und die Erinnerung daran ist nicht wie bei den anderen Fehltritten befreiend, sondern bedrückend: er hat seiner Frau nie gezeigt, wie sehr er sie liebt.
Und er hat keine persönliche Erfahrung mit dem Umgang des Gebotes, an das er und seine Freunde sich ewig nicht erinnern können: du sollst nicht töten.
Aber Pascal wäre nicht Pascal, wenn er nicht auch hier Abhilfe wüsste, um seine fehlende Erfahrung in seinem Schatz zu ergänzen ...

"Pascals Geheimnisse" ist ein schönes Buch über den Reichtum des Lebens, unterhaltsam und lustig geschrieben, und doch, wie manches Leben eben so ist, am Ende eher bittersüß.
Auf den nächsten Roman dieses großen Erzähltalents aus Frankreich darf man schon jetzt gespannt sein.

(Winfried Stanzick; 04/2007)


Isabelle Condou: "Pascals Bekenntnisse"
(Originaltitel "Solitude de l’aube")
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz.
Hoffmann und Campe, 2007. 192 Seiten.
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Isabelle Condou wurde 1971 in Givet in den Ardennen geboren. Nach ihrem Philosophie-Studium lebte sie einige Jahre in New York und arbeitete als Flugbegleiterin. Im Jahr 2000 erschien in Frankreich ihr erster Roman "Il était disparu". Heute lebt sie in Blaye (Aquitanien) auf einem Weingut.