Judith Thurman: "Colette"
Roman ihres Lebens
Eine charismatische und
sinnliche Frau soll sie gewesen sein, die ihr Leben lang gegen ein sie
bedrohendes Frauenklischee rebellierte, ohne eine
Feministin
zu sein.
Colette - schon zu Lebzeiten verehrte und gefeierte französische
Schriftstellerin - schaffte es, als zweite Frau in die Académie Concourt
aufgenommen zu werden. Ihr Leben verlief ungewöhnlich, skandalös,
leidenschaftlich, spannend, tragisch. Sie war eine schillernde aber auch sehr
widersprüchliche Persönlichkeit.
1873 in einem Dorf unweit von Paris als Sidonie-Gabrielle Colette geboren, ist
sie die Tochter eines verträumten, kriegsinvaliden Hauptmanns und einer
besitzergreifenden Mutter. Ihre Beziehung zu den Eltern bleibt für sie
unbefriedigend, sie fühlt sich unverstanden und ungeborgen. Diese ungestillten
Bedürfnisse sollen das ganze Liebesverhalten ihres langen Lebens prägen. Sie
entflieht der herrischen Mutter und sucht Geborgenheit in Beziehungen. Ihr
Wunsch, Liebe zu erfahren, ohne Unterdrückung und Machtspiele erleiden zu müssen,
soll sich erst spät erfüllen.
Colette führt drei Ehen und eine längere lesbische Lebensgemeinschaft mit
einer reichen Marquise. Ihre sonstigen Affären mit Männern wie mit Frauen sind
zahlreich. Mit 40 schenkt sie ihrer Tochter "Colette II" das Leben,
der sie, gleich ihrer Mutter Sidonie, nicht die Liebe geben kann, welche diese
braucht. Sie bleiben sich zu Lebzeiten Colettes fremd.
Colettes erster Ehemann - der Schriftsteller und Lebemann Henry Gauthier-Villars
- "entführt" sie
nach
Paris, entdeckt ihr Talent und veröffentlicht ihre ersten Werke unter
seinem Namen. Diese legendäre "Claudine"-Serie ist freizügig und
frech und wird ein großer Erfolg.
Mit der Entfremdung und Trennung von Henry emanzipiert sich Colette. Sie
versteht sich nun selbst als Autorin und verführt ihr Publikum und ihren
zweiten Gatten Henry de Jouvenel mit gewagten Bühnendarbietungen. Noch während
ihrer ersten Ehe hat sie eine Tanzausbildung absolviert und setzt neue Maßstäbe
mit ihren erotischen pantomimischen Aufführungen. Sie schreibt unermüdlich und
entwickelt sich zu einer anerkannten Schriftstellerin aber auch Journalistin,
Rezensentin, Varietékünstlerin sowie Drehbuch- und Bühnenautorin. Als sehr
bekanntes verfilmtes Werk sei "Gigi" genannt.
Mit ihrem dritten Mann Maurice Goudeket, einem um einiges jüngeren Geschäftsmann,
führt sie eine beständige und reife Partnerschaft bis zu ihrem siechenden Tod,
dem eine langwierige, schmerzhafte Arthritis vorausging. Mit ihm gründet und führt
sie einen Schönheitssalon, nach dessen Scheitern
kümmert er sich um ihre geschäftlichen Angelegenheiten als Autorin. Maurice
kann ihr die Stabilität bieten, die sie bislang vergeblich gesucht hat.
Die New Yorker Autorin Judith Thurman hat für diese Biografie eines bewegten Künstlerinnenlebens
sorgfältig recherchiert und es minuziös nachgezeichnet. Viele Zitate aus
Colettes umfangreicher brieflicher Korrespondenz finden in den mehr als 800
Seiten langen Text Eingang und lassen das Bild der Künstlerin plastischer
werden.
Colette verarbeitete ihr eigenes Leben in ihrem Werk - manchmal allzu deutlich für
die von den Protagonisten verkörperten Personen aus ihrem großen Familien-,
Freundes- und Bekanntenkreis.
Es war "ein schönes Leben", wie sie es sich selbst im Alter
eingestand.
(ama; 01/2002)
Judith Thurman: "Colette. Roman ihres
Lebens"
Buch
bei amazon.de bestellen