Paulo Coelho: "Die Hexe von Portobello"


Im Mittelpunkt der Handlung steht die sogenannte Hexe von Portobello: Athena. Die Geschichte der außergewöhnlichen Frau mit dem starken Willen und ihrem unerschütterlichen Glauben wird jedoch nicht linear chronologisch erzählt. Coelho lässt verschiedene Personen zu Wort kommen, die Athena, die eigentlich Sherine heißt, kennengelernt haben. Aus ihrer Sicht wird Athenas Leben nach und nach zusammengesetzt, dies allerdings in heterogener Weise, denn nicht alle, die von Athena berichten, haben nur Gutes von ihr zu erzählen. Hierbei hat das gesamte Buch den Charakter einer Interviewsammlung oder eines gesammelten Nachrufes, denn Athena lebt nicht mehr, wie der Leser schon zu Anfang erfährt.

Trotz dieses vorweggenommenen Lebensendes fesselt die Geschichte den Leser von Anfang an, und dies nicht etwa aus möglichen voyeuristischen Gründen, wegen der Einblicke in das Leben eines bestimmten Menschen. Nein, man ist gefangen von der spirituellen Suche Athenas, die schon im Kindesalter begann und später ihr Leben vollends bestimmte.

Jeder Mensch stellt sich an einem Punkt seines Lebens die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Irgendwann ist für jeden der Moment gekommen, an dem man innehalten muss, um seine weiteren Ziele und auch seine Motivationen zu überprüfen. Die Hauptfigur der Geschichte durchlebt diese Phasen des Öfteren, ist stets um Selbstreflexion bemüht, um Weiterentwicklung - und doch ist sie keineswegs frei von Fehlern. Das macht sie menschlich, die Geschichte realistisch, und zugleich findet sich in dieser Darstellung auch einer der vielen wichtigen Aspekte des Buches: Es kommt nicht darauf an, perfekt zu sein, es kommt darauf an, das Beste zu wollen. Nicht unbedingt im Arbeitsleben, nicht einmal im sozialen Sektor, sondern zuallererst für sich selbst. Man muss seinen Weg, sein Wollen und auch sein Wirken genau bestimmen und den gewählten - oder bestimmten? - Weg genau verfolgen. Man kann vom Weg abkommen, aber man sollte ihn wieder finden können. Man kann aus den besten Absichten heraus falsche Entscheidungen treffen, doch gilt es dann, dennoch den Blick nach vorn gerichtet zu halten, nicht zurück. Man trägt Verantwortung und auch Konsequenzen, wie Athenas Fall ganz besonders deutlich zu zeigen vermag. Doch egal, wie es am Ende ausgeht: man muss sich selbst und seiner Bestimmung treu geblieben sein.

Neben den Aussagen innerhalb dieser sehr persönlichen Geschichte regt Coelhos Buch jedoch sicherlich auch zum Nachdenken an, vielleicht gar zum Diskutieren. So erlebt der Leser beispielsweise mit, wie Athena - eine sehr gläubige und bibelfeste Christin, die keine Messe versäumte - auf Grund dessen, dass ihr Mann sie verließ und Athena geschieden wurde, die Kommunion öffentlich verweigert wurde.

"Denn Christus hat gesagt: 'Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.' Ich trage eine Last, bin verletzt, und ihr lasst mich nicht zu ihm. Heute habe ich erfahren, dass die Kirche diese Worte geändert hat in: Kommt zu mir, die ihr unsere Regeln erfüllt, und lasst die, die mühselig und beladen sind, draußen stehen. [...] Verflucht seien diejenigen, die einer Mutter und ihrem Kind die Tür verschließen! Ihr seid wie diejenigen, die die Heilige Familie nicht beherbergt haben, genau wie jener, der Christus verleugnet hat, als er einen Freund brauchte."

Diese Erfahrung Athenas führt sie von der Institution der Kirche weg und hin zum Heidentum und der Esoterik. Einer der Zeugen des Buches, ein Historiker, kommentiert dies so:

"Es überrascht mich übrigens nicht, dass sich immer mehr Menschen für heidnische Traditionen interessieren. Warum sie das tun? Weil mit Gottvater immer die Strenge und die Disziplin des Kultes assoziiert wird. Die Mutter-Gottheit hingegen steht dafür, dass die Liebe wichtiger ist als alle uns bekannten Verbote und Tabus.
Das Phänomen ist nicht neu: Immer wenn die Regeln einer Religion strenger werden, neigt eine große Gruppe von Menschen dazu, in der Verbindung mit dem Spirituellen nach mehr Freiheit zu suchen. [...] Diese Tendenz hat in den letzten Jahren ungeheuer zugenommen. Vielleicht befinden wir uns in einem wichtigen Moment der Weltgeschichte, in dem sich endlich der Geist mit der Materie verbindet und beide sich verändern. Zugleich wird es, das nehme ich zumindest an, eine heftige Reaktion der institutionalisierten Religionen geben, die immer mehr Gläubige verlieren. Der Fundamentalismus wird wachsen und sich weltweit ausbreiten."


Beide Zitate können nur einen kleinen Einblick in das geben, was Paul Coelho in "Die Hexe von Portobello" auf 320 Seiten zu bieten vermag.

Dass Paul Coelho ein großartiger Schriftsteller ist, ist längst anerkannt. Wichtig ist jedoch, dies nicht nur zu wissen, sondern selbst zu erfahren. "Die Hexe von Portobello" ist ein leicht zu lesendes Buch, und dennoch bietet es so viele Themen, so viel Tiefgang, so viel Philosophisches, dass man es immer wieder zur Hand nehmen und lesen kann - vielleicht sogar sollte.

(Tanja Elskamp)


Paulo Coelho: "Die Hexe von Portobello"
(Originaltitel "A bruxa de Portobello")
Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann.
Diogenes. 320 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Untreue"

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