"Codex Mendoza"


Antonio de Mendoza, der die Ehre hat, Namensgeber des Buches zu sein, war zur Zeit der Niederschrift im Jahre 1541 Vizekönig von Nueva Espagna, davor und danach besser bekannt als Mexiko. 20 Jahre war das Land nun schon erobert und spanische Provinz, als man als Geschenk für Kaiser Karl 5. eine Art aztekischer Enzyklopädie in Auftrag gab. Da die Zunft der Schreiber im alten Mexiko eine hochangesehene gewesen war und diese Kunst wie überhaupt die Erinnerung an an das Imperium Moctezumas 2. und die vorspanischen Sitten und Gebräuche noch frisch, herrschte an Spezialisten für dieses Unterfangen kein Mangel.
Mit Ausnahme der Maya kannte das vorkolumbianische Amerika keine Schrift in unserem Sinn, Geschichten wurden in Form von Bildabfolgen, allerdings unter kunstvoller Einflechtung vieler abstrakter Symbole, aufgezeichnet. Auf eine ähnliche Art tritt im Codex Mendoza nun zur klassischen Bilderwelt und Symbolik die neugewonnene Schrift (in Spanisch und Nahuatl) als Randbemerkung oder Benennung einer Figur hinzu.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert.
Im ersten Teil wird eine Geschichte der Azteken (oder Mexika, wie sie sich selbst nannten) von der Gründung ihrer Hauptstadt
Tenochtitlán, an dem Platz, wo sich das heutige Mexico City befindet, im Jahre 1325 bis zur verheerenden Niederlage gegen Hernan Cortés 1521 geboten. Die zweihundert Jahre dazwischen zeigen die Entwicklung des aus dem Norden eingewanderten Stammes anhand der Regierungsdaten seiner Könige und deren wichtigster Taten, die darin bestanden, einen nach dem anderen die anderen Stadtstaaten des Tales von Mexiko zu unterwerfen und tributpflichtig zu machen.
Im zweiten Teil erfolgt eine Auflistung der verschiedenen Produkte, Schmuck, Waffen, Gebrauchsgegenstände, Jaguarfelle, Kaokaobohnen usw., welche solcherart als regelmäßige Beute nach Tenochtitlán gelangten. Die entsprechenden Zeichnungen lassen auch einen anschaulichen Rückschluss auf den Markt von Tenochtitlán zu, der laut Angaben der vielgereisten spanischen Eroberer beeindruckend gewesen sein soll.
Der dritte Teil schließlich birgt eine weitgespannte Beschreibung des aztekischen Alltags, der Berufe, Zeremonien und Lebensfasen. Man erhält Einblicke in den Palast
Moctezumas, sieht Richter, Händler, Ärzte, Handwerker, Musiker etc. bei ihrer Tätigkeit, Eltern beim Erziehen ihrer Kinder, Soldaten in den verschiedensten Rängen und Rüstungen bei ihrer wichtigsten Beschäftigung, dem Machen von für den Opfertod bestimmten Gefangenen, Frauen beim Weben und Kochen, oder auch Mann und Frau zusammen, ihrer beider Gewänder bei der Hochzeitszeremonie aneinandergeknotet, oder unter einer Decke beim Ehebruch, gesäumt von zwei Steinen, welche im Fall des Erwischtwerdens drohten.
Die Bereiche Religion und Mythologie wurden - möglicherweise aus Rücksicht auf die Heilige Katholische Kirche - ausgeklammert.

Der Codex Mendoza besteht aus 72 Blättern mit Illustrationen und 63 Blättern mit ergänzenden Kommentaren, wobei erstere von einheimischen Schreibern, zweitere von einem nahuatlkundigen Mönch oder Übersetzer (nach Rücksprache mit den indianischen Schreibern) stammen.
Die vorliegende Ausgabe, "The Essential Codex Mendoza" trägt ihren Namen zurecht. Von den 72 Blättern mit Malereien und Zeichnungen sind 16 im farbigen Faksimile-Original (die anderen in dezentem Schwarz-Weiß) zu bewundern, darunter das wohl berühmteste Bild
des Buches von der Gründung Tenochtitláns und dem alten mexikanischen Wappentier, dem Adler, der gleichsam durch das Fenster einer anderen Dimension die Geschichte der Azteken betrachtet. Jeder Einzelillustration wie auch den Grundaussagen der Blätter sind - zusätzlich zu den im spanischen Original und in der englischen Übersetzung abgedruckten Anmerkungen des damaligen Nahuatl-Spanisch-Übersetzers - von den beiden Herausgebern ausführliche Kommentare gewidmet, die das Verständnis des exotischen Stoffes natürlich sehr erleichtern. Diese Kommentare erklären, wo sie es können, erörtern anderenfalls durch interessante Vergleiche mit anderen Quellen der frühen Kolonialzeit, vor allem den Berichten von Bernardino de Sahagún, Fragen der Glaubwürdigkeiten und Wahrscheinlichkeiten. Was den historischen Teil betrifft, ist die Glaubwürdigkeit nicht allzu hoch, man findet zahlreiche Spuren von Meinungdifferenzen zwischen den einheimischen Schreibern, Niederlagen werden nicht erwähnt, und vermutlich hatten die Azteken ihren Herrschaftsanspruch schon in früheren Tagen mit Geschichtsfälschungen untermauert. In der Beschreibung der damaligen Lebensumstände hinwiederum gilt der Codex Mendoza als weitestgehend authentisches und in seiner Ausführlichkeit einmaliges Dokument.

(stro; 03/03)


"The Essential Codex Mendoza" (in englischer Sprache)
Hrsg: Frances F Berdan; Patricia Rieff Anawalt
University of California Press 1997
148 Seiten
ca. EUR 33,95.
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