Noam Chomsky: "Keine Chance für Frieden"

Warum mit Israel und den USA kein Palästinenserstaat zu machen ist


"Wer über Israel und Frieden im Nahen Osten diskutiert, sollte Chomskys Thesen kennen, aber auch die seiner Gegner: Alan Dershowitz' gleichzeitig erschienenes 'Plädoyer für Israel' stellt eine direkte Antwort auf viele Thesen Noam Chomskys dar. Munition für hitzige Diskussionen über ein weltbewegendes Thema."

Es erweckt den Anschein, als hätte der Europa Verlag Angst vor der eigenen Courage bekommen, indem er im Umschlagklappentext Werbung für Antithesen zum beschriebenen Werk macht. Schließlich ist Chomsky bei allen bedingungslosen Anhängern der nunmehr einzigen Hegemonialmacht unseres Planeten eindeutig unbeliebt, was sich in jeder medialen Auseinandersetzung um seine Person, egal ob in Zeitungsartikeln oder Leserbriefen, mit steigender Tendenz bemerkbar macht.

Aber auch in anderer Hinsicht erscheint obiges Zitat bemerkenswert, wird doch darin suggeriert, dass beide beim Europa Verlag erschienenen Bücher Dershowitzens und Chomskys insofern gleichzusetzen seien, als sie Extreme unterschiedlicher Anschauungen bilden, die dem Leser beim Bilden einer eigenen, wahrscheinlich in der goldenen Mitte liegenden Meinung helfen sollten. Dieser Denkansatz ist verfehlt. Chomsky ist eben nicht die diametral entgegengesetzte Entsprechung zu einem offensichtlich einseitig-nationalistischen Pamphletschreiber, er ist eben kein anti-israelischer Agitator. Die Antithese zu Dershowitzens Buch wäre also ein fiktives "Plädoyer gegen Israel" und nicht Chomskys ausgewogenes und von Humanismus und tiefer Sorge nicht zuletzt eben um diesen Staat Israel geprägtes "Keine Chance für Frieden".

Wie in allen vorigen Werken Chomskys sind auch vorrangig hier zwei Tugenden hervorzuheben: die Fülle an dargebotener Information und die unanfechtbare Unbestechlichkeit des Autors in deren Verwertung. Dies macht Chomsky zum beachtlichsten politischen Autor der Gegenwart. Dem vorliegenden Buch verleiht es zeitlosen Wert, den es auch braucht, denn schließlich stammen die hierin zusammengefassten Kapitel aus den Jahren 1994 und 1999. Leider hat sich im Nahen Osten seitdem so wenig geändert, zumindest nicht zum Besseren, dass dem Leser diese frühen Erscheinungsjahre gar nicht auffallen.

Wie immer bei Chomsky wird dem Leser die Lektüre mit einer Fülle von neuen Sichtweisen gelohnt, deren Wichtigste im Folgenden wiedergegeben werden:

1) Die gegenwärtige israelisch-US-amerikanische Politik der Friedensverhinderung (von Chomsky in erster Linie für US-amerikanische Leser minutiös dargelegt, an dieser Stelle braucht darauf wohl nicht eingegangen zu werden) schadet in erster Linie Israel, weil sie
a) eine schwere moralische Belastung für Staat und Gesellschaft darstellt
b) politische Gruppen mit extremistischen Anschauungen fördert, die man anderswo als faschistisch zu bezeichnen pflegt,
c) à la longue zu einer militärischen Niederlage führen kann, die 1973 nur knapp abgewendet wurde,
d) für Wirtschaft (Kosten der immerwährenden Aufrüstung!) und Lebensqualität der Bevölkerung eine immense Belastung darstellt.

In den Worten des Autors: "Israel hat diesen Kurs auf äußeren Druck hin eingeschlagen, nicht zuletzt durch den Druck seiner Unterstützer, die man wohl besser als Unterstützer seiner moralischen Degeneration und eventuellen Zerstörung bezeichnen sollte."

2) Hingegen nützt diese Politik vor allem den USA bzw. deren sattsam bekanntem industriell militärischen Komplex in vielerlei Hinsicht:
a) Israel bleibt ein treuer Vasallenstaat der USA in dieser Schlüsselregion des Erdölzeitalters
b) Die USA haben nicht nur einen Dauerabnehmer für Waffen, sondern
c) können entwickelte Waffensysteme umgehend im Ernstfalle ausprobieren
d) Das zu Entgegenkommen verpflichtete Israel verrichtet diverse unangenehme Arbeiten in Mittel- und Südamerika, z.B. die Bereitstellung von Truppen zur brutalen Niederschlagung von Aufständen gegen rechte Diktaturen.

3) Nur in Israel, nicht jedoch in den USA gibt es zu dieser Politik des Wahnsinns kritische Gegenstimmen. Dieser Umstand ist weniger mit dem Einfluss des jüdischen Bevölkerungsanteiles in den USA als mit den unter 2) skizzierten wirtschaftlichen und militärischen Interessen erklärbar. An dieser Stelle sei auch auf das meines Erachtens allerbedeutendste Werk des Autors "media control" verwiesen.

Natürlich kommen auch Exponenten der jüdischen Gemeinde in den USA nicht gut weg, dazu ist Chomsky eben viel zu integer. So bekundete etwa Elie Wiesel, uns Europäern vor Jahrzehnten als Autorität im Kampf gegen Faschismus dargeboten:
"Ich unterstütze Israel - Punkt. Ich identifiziere mich mit Israel - Punkt. Ich greife Israel niemals an und kritisiere Israel niemals, wenn ich nicht in Israel bin. ... Was [in den besetzten Gebieten] zu tun ist und wie, weiß ich nicht, weil mir dazu die notwendigen Kenntnisse und Informationen fehlen ... Um sie zu besitzen, müsste man in einer Machtposition sein ... Ich verfüge nicht darüber, also kann ich nichts sagen ...."

Derlei Aussagen machen das Leben von israelischen Friedensaktivisten nicht eben leichter. Immerhin liegt an ihnen wie an den gemäßigten palästinensischen Kräften die einzige Chance für den Frieden in dieser geplagten Region.

(Franz Lechner; 10/2005)


Noam Chomsky: "Keine Chance für Frieden"
Übersetzt von Michael Haupt.
Europa Verlag, 2005. 272 Seiten.
ISBN 3-203-76005-3.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Lügen unserer Zeit. Über die Widersprüche von Demokratie und Propaganda"

Wer sich noch daran erinnert, wie die US-Medien die Kriegspolitik der Regierung Bush jr. gegen den Irak bedenken- und bedingungslos unterstützten, um sich nachher leicht betreten zu fragen, wie sie den Lügen über die Massenvernichtungswaffen auf den Leim gehen konnten, findet in diesem Buch erhellende Aufklärung. Chomsky deckt auf, dass die Massenmedien - auch und gerade die eher "elitären", wie etwa die "New York Times" - ohne Zwang als Propagandainstrumente der Regierung fungieren. Immer dann, wenn die Interessen der Herrschaftseliten berührt sind.
Chomsky verstößt damit gegen die sakrosankte Grundüberzeugung der Amerikaner, dass die Demokratie, die amerikanische zumal, "für alle" da ist, unbegrenzte Meinungsfreiheit herrscht und die Medien die Regierungspolitik ebenso unabhängig wie kritisch bewerten. Er beharrt darauf, dass es in der Gesellschaft höchst unterschiedliche Interessen mit ebenso unterschiedlichen Artikulationsmöglichkeiten gibt. Chomsky schrieb diese Texte für die Zeitschrift "Lies of Our Time". Naher Osten und Dritte Welt, "Verteidigungskriege" und "moralische Gründe", Vereinte Nationen und Umwelt - die Themen seiner Enthüllungen sind so vielfältig wie zeitlos. (Europa Verlag)
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Weitere Buchempfehlungen:

Michael Haupt, Larissa MacFarquhar: "Wer ist Noam Chomsky?"

Noam Chomsky, einer der bedeutendsten und meistzitierten Gelehrten des 20. Jahrhunderts, ist als kritischer Analytiker der US-Politik populärer denn je. Dieser Band wirft Schlaglichter auf seinen hartnäckigen Kampf gegen öffentliche Lügen und auf die Persönlichkeit hinter der beeindruckenden Phalanx seiner linguistischen und politischen Publikationen.
"Wer ist Noam Chomsky?" enthält Larissa MacFarquhars Reportage "Des Teufels Buchhalter", die zuerst im "New Yorker" erschien. Sie zeichnet das differenzierte Porträt eines linken jüdischen Intellektuellen, der auch selbst entwickelte Theorien über den Haufen wirft, wenn er sie nicht mehr für richtig hält.
Der Essay "Die Wahrheit von den Dächern schreien: Chomsky und die Politik" vom Chomsky-Kenner und Übersetzer Michael Haupt begründet, warum der politische Prophet (als der Chomsky selbst sich indes nicht versteht) im "alten Europa" zu einer Kult- und Leitfigur der heimatlosen Linken geworden ist. (Europa Verlag)
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Alan M. Dershowitz: "Plädoyer für Israel"
Gegen die anti-israelitischen Vorurteile. Ankläger gegen Israel zu finden, ist heutzutage nicht schwer - zu offensichtlich scheint seine Politik gegenüber den Palästinensern den jüdischen Staat ins Unrecht zu setzen. Alan M. Dershowitz, einer der renommiertesten Anwälte der USA, hält mit seinem flammenden Plädoyer dagegen, stellt sich gegen den Mainstream gerade opportuner Meinungen und bedingungslosen Frieden predigender Gutmenschen. In 32 Kapiteln räumt er mit 32 Vorurteilen gegenüber der israelischen Politik der letzten 75 Jahre auf und zeigt, dass Bigotterie und Antisemitismus hinter vielen Anschuldigungen stehen. Ohne jede einzelne politische Entscheidung der Israelis gutzuheißen, liefert Dershowitz eine fulminante Verteidigung der Existenzberechtigung Israels und des Rechtes des israelischen Staates, seine Bevölkerung vor dem Terror zu schützen. Henryk M. Broder erörtert in einem einleitenden Essay Dershowitz' Thesen und die Argumente gegen Israel aus seiner Sicht. In den USA ein Bestseller, wird dieses polarisierende Buch Stoff für hitzige Diskussionen liefern. (Europa Verlag)
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