Bruce Chatwin: "Der Vizekönig von Ouidah"
Das dunkle
Kapitel des Sklavenhandels, weniger aus Sicht der Opfer als der Profiteure,
hatte sich der Journalist und Reiseschriftsteller Bruce Chatwin zum Thema seines
Romans gewählt. Als negativer Held sollte dabei die historische Figur des
Fransisco Felix de Souza dienen, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Tausende Afrikaner als Sklaven in sein Herkunftsland Brasilien verschiffte. Als
historischer Roman war das Buch ursprünglich auch gedacht, zu welchem Zweck der
Autor an den Ort des Verbrechens, die Küste des westafrikanischen Staates Benin
(zu de Souzas Zeiten Dahomey genannt) reiste, um vorort eigene Erkundigungen
einzuziehen, was solange gutging, bis - ich lasse den Autor selbst sprechen -
"bis mein
Taxi an einem Sonntagmorgen zufällig in entgegengesetzter Richtung zu einer
Flugzeugentladung von Söldnern fuhr, die gerade auf dem Flughafen von Cotonou
gelandet waren und sich den Weg zum Präsidentenpalast freischossen. Der Fahrer
rief: "C'est la guerre!" und wendete das Fahrzeug - um sofort auf eine
Einheit der Volksarmee Benins zu stoßen. Ich wurde als Söldner verhaftet: die
wirklichen Söldner traten den Rückzug zum Flughafen an und flogen davon.
Die nächsten zwei Tage möchte ich lieber vergessen. ..."
Diese unerfreulichen
Ereignisse hinterließen auch in dem Roman ihre Spuren; zum einen in der eindringlichen
Schilderung von Gefangenen, die in müder Resignation auf den Tod warten. Zum
anderen setzte der traumatisierte Chatwin nie wieder einen Fuß nach Benin, sodass
aus seinem Roman schlussendlich ein Werk der Imagination statt eines der Historizität
wurde. Der Autor änderte denn auch kurzerhand den Namen des Helden von Fransisco
Felix de Souza in Dom Fransisco Manoel da Silva, um dem Leser im weiteren dessen
Leben zu erzählen: von einer harten entbehrungsreichen Kindheit in Brasilien,
einem frühen Tod der Eltern und einer gewissen emotionellen Bindungslosigkeit,
die es glaubwürdig machen soll, dass da Silva schließlich die Gelegenheit einer
einschneidenden Änderung ergreift und von Bahia aus mit einem Sklavenschiff
in eine ungewisse Zukunft nach Westafrika aufbricht.
Der dortige König erweist
sich tatsächlich als so verrückt, grausam und unberechenbar wie von den Matrosen
vorausgesagt, allein da Silva ist zäh und er hat auch das notwendige Glück -
es gelingt ihm, des Königs Blutsbruder zu werden und (wobei wir wieder bei dem
historischen Brasilianer wären) von seinem mächtigen Freund mit dem Monopol
für Sklavenhandel ausgestattet zu werden.
Gemeinsam machen sie sich daran, eine
schlagkräftige Armee aufzubauen, denn beide sind an einem stetigen Fluss an
Gefangenen interessiert, an gesunden Körpern da Silva, um sie möglichst gewinnbringend
als Arbeitssklaven nach Latein-und
Nordamerika zu verkaufen, an nackten Schädeln der König, da diese das hauptsächliche
Baumaterial seines Palasts ausmachen.
Im weiteren wird der Alltag des in großem
Luxus lebenden Monopolisten beschrieben, wobei das damals äußerst einträgliche
Geschäfts des Sklavenhandels nur am Rande gestreift wird, seine Beziehung zu
den Menschen der Hafenstadt und die Entwicklung seiner kinderreichen Familie
im Vordergrund stehen. Überhaupt ist es ein Verdienst des Autors, sich einfacher
moralischer Schwarzweißmalerei zu enthalten, indem er die vielen Informationen
und Eindrücke, die er im Laufe seiner Recherchen über Land, Zeit und Sklavenhändlerberuf
gewonnen hat, möglichst gleichmäßig auf die Figuren seines Romans aufteilt.
Auf ihre genaue psychologische Zeichnung legt der Autor weniger Wert, die Stärke
seiner mehr spür- als greifbaren Prosa ist das Schaffen und Mitteilen einer
heißen, unbarmherzigen und teils recht surrealen Atmosfäre.
Die Suggestivkraft dieser afrikanischen
Impressionen wirkte auch auf Werner Herzog, dem Chatwins Roman als Vorlage
für den Film "Cobra Verde" diente. Für die Rolle des Sklavenhändlers
konnte der Regisseur dabei überraschend Klaus
Kinski gewinnen.
(fritz; 05/2003)
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Noch ein Buchtipp:
Bruce Chatwin, Elizabeth Chatwin, Nicholas Shakespeare: "Der Nomade. Briefe
1948-1988"
Er schrieb, wie er lebte: ohne Ruhe, ohne Rast. Bruce Chatwin war ein
literarischer Nomade, seine Bücher wie "In Patagonien" oder "Traumpfade" machten
ihn weltberühmt. Hinter dem Autor, der auf Reisen stets Notizen in seine "Moleskine"-Hefte
schrieb, verbirgt sich ein widersprüchlicher Mensch. Chatwins Briefe an
Verwandte und Freunde wie
Susan Sontag oder
Salman Rushdie reichen von der
Internatszeit bis zur Arbeit bei "Sotheby's", von den journalistischen Anfängen
bis zum literarischen Durchbruch und der Erkrankung an Aids. Der von seiner
Ehefrau herausgegebene Briefband ist die einzigartige Möglichkeit einer
Annäherung an diesen ungewöhnlichen und zu Lebzeiten stets mythenumwobenen
Schriftsteller. (Hanser)
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