Claude Arnaud: "Chamfort"
Die Frauen, der Adel und die Revolution
Ein
Leben für die Revolution
Claude Arnaud legte 1988 mit diesem preisgekrönten Buch eine
Biografie vor, die nun in der hervorragenden Übersetzung von
Ulrich Kunzmann auf dem deutschsprachigen Markt angeboten wird. Ein
sorgfältiges Lektorat und Korrektorat runden dieses
hochklassige Werk ab, das durch Inhalt, Präsentation und
Verarbeitung gleichermaßen zu überzeugen vermag. So
etwas ist selten geworden.
Das 18. Jahrhundert gehört zu den spannendsten
europäischen Epochen, denn es gebar die politischen Ideen und
läutete damit das Ende des Absolutismus ein. Dass
die
Französische Revolution stattfand, war an sich keine
Überraschung. Vorhergesagt wurde sie von vielen, nur der
Operettenhof in Versailles kümmerte sich nicht darum, und so
kam es zu dem Ausbruch der Revolution im Jahre 1789. Vieles, was dann
folgte, war vorhersehbar, doch schließlich geriet das Land in
die Hände der Jakobiner, und die Revolution begann ihre
eigenen Kinder zu fressen. Und so fiel auch ein Mann namens
Sébastien Roch Nicolas, genannt Chamfort, der Revolution zum
Opfer, die er selbst unterstützte - sogar seine Ersparnisse
hatte er einst der Revolution zur Verfügung gestellt. Doch wer
war dieser Mann?
Am 5. April 1740 wurde Sébastien Roch als Sohn des
Krämers Nicolas und seiner Frau Thérèse
getauft. Doch dieser Sohn stirbt spätestens im Juni 1740. Zu
dieser Zeit kam auch der uneheliche Sohn der Jaqueline Cisterne Dauphin
de Leyval zur Welt, Vater ist Pierre Nicolas, Domherr in der Kathedrale
von Clermont (heute Clermont-Ferrand). Die Mutter wollte ihren Sohn
jedoch nicht behalten, und dieser wurde durch Vermittlung seines
Erzeugers von den Eltern des jüngst verstorbenen
Sébastien Roch aufgenommen und unter dessen Namen am 22.
Juni 1740 getauft. Die Eltern seien unbekannt, hieß es.
Seine leibliche Mutter verschaffte ihm eine theologische Ausbildung in
einem angesehenen Pariser Kollegium, wo er sich zum unangefochtenen
Wunderknaben entwickelte und in einem Wettbewerb den Titel des besten
Schülers des Landes erhielt.
Es folgt ein Stimmungsbild der Szenerie der Kultur und des
Müßiggangs, einer Zeit, in der ein
Rousseau mit
einem Voltaire wetteiferte, die Enzyklopädisten
alte Mauern
einrissen - eine Zeit der gepflegten Dekadenz, die man oft im Vorfeld
von Katastrophen antrifft.
Aber es gab auch die Hierarchie, das Standesbewusstsein einer
überkommenen Gesellschaft, in der sich die Tochter des Louis
XVI. wunderte, dass ihr Dienstmädchen auch fünf
Finger an einer Hand hatte. Man erinnert sich an den verwunderten
Ausspruch der Marie-Antoinette, weshalb die hungernde Pariser
Unterschicht denn keinen Kuchen esse, wenn sie schon kein Brot mehr
habe.
Chamfort entwickelte sich zu einem einigermaßen erfolgreichen
klassizistischen Schriftsteller, der auch eine Reihe von Preisen
einheimste. Sein von Belins gleichnamigem Werk inspiriertes
und 1776 aufgeführtes Trauerspiel "Mustapha et
Zéangir" entwickelte sich trotz Teilerfolge selbst eher zu
einer Tragödie. Der Übergang des Klassizismus zur
Romantik war auch die falsche Zeit für ein solches
Stück, nicht vollends aus der Luft gegriffene
Plagiatsvorwürfe taten ein Übriges. Die damaligen
Autoren kämpften nicht nur gegen den Zeitgeist und eine
"Überkultiviertheit" einer Epoche, sondern auch gegen die
Zunft der Schauspieler, die den Kampf um Erfolg, Einfluss und Geld auch
auf die Bühne trugen. In einer anderen Umgebung wäre
Chamfort sicherlich Erfolg beschieden gewesen, vielleicht
ähnlich Lessing,
der in Chamfort gelegentlich etwas durchzuschimmern scheint. Doch das
Ancien Régime und sein Kulturbetrieb förderten
letztlich keine Talente, sie erstickten sie.
Chamfort jedenfalls war beleidigt - es drängt sich wie auch an
anderer Stelle der Vergleich mit Rousseau auf - und zieht sich nach
Auteuil zurück. Dort schlüpft er bei Madame "Minette"
Helvétius unter, der Witwe des 1771 verstorbenen Philosophen
Claude Adrien Helvétius, und leckt seine Wunden. Doch 1781
wird er endlich Mitglied in der begehrten Académie
Française.
Er verpuppt sich, und aus dem erfolglosen Kopisten des Klassizismus
entwickelt sich Chamfort selbst, der glasklare Aphoristiker, der
scharfzüngige Pamphletist, dessen opus magnum "Maximes,
pensées, caractères et anecdotes" jedoch erst
postum erschien. In einer Welt der aristokratischen Elite propagierte
er die Herrschaft des Geistes, die Sophokratie. Er entwickelte sich zu
einem weltgewandten Kritiker und Lehrmeister des Grafen Mirabeau,
dessen früher Tod
Robespierre den Weg freimachte.
1792 radikalisierte sich Chamfort und wurde rousseauistisch, doch im
September zum Direktor der Nationalbibliothek ernannt, kam er wieder
etwas zur Ruhe - er entwickelte sich sogar zu einem
fürsorglichen und umsichtigen Arbeitgeber.
Eine Denunziation der angeblichen Konterrevolution führte am
2. September 1793 zu Chamforts Verhaftung. Die zweitägige Haft
unter menschenunwürdigen Zuständen verstörte
ihn so sehr, dass die Ankündigung einer erneuten Inhaftierung
am 15. November zu einem Selbstmordversuch führte, der ihn
zwar vor der Haft bewahrte, ihn aber fünf Monate
später das Leben kostete. Doch hatte er nicht beklagt, dass
das kirchliche Verbot des Selbstmordes die Sklaverei wieder
eingeführt habe? Er wollte jedoch als freier Mann sterben ...
Chamfort hat viele nach ihm beeinflusst, auch
Hegel,
Schopenhauer,
Nietzsche und ...
Cioran.
Der Rezeption durch Nietzsche ist das letzte Kapitel des Buches
gewidmet.
Fazit
Das Buch ist voller elegant eingestreuter Perlen wie beispielsweise
dieser: "Jedes Individuum reagiert anders, denn jedes
Individuum ist nicht das Ergebnis eines einzigen Prinzips, sondern die
Folge seiner Möglichkeiten, das labile Gleichgewicht seiner
fehlgeschlagenen Komponenten."
"Maximes, pensées, caractères et anecdotes" ist
Chamfort posthum erschienenes Hauptwerk, mit dem er in "Kindlers
Literaturlexikon" zu finden ist. Dieses Werk wird auch Balzac im Sinn
gehabt haben, als er über Chamfort und Rivarol sagte: "Diese
Leute brachten ganze Bücher in einem Bonmot unter,
während man heute kaum ein Bonmot in einem Buch findet."
Bis Anfang 2008 müssen wir uns gedulden, bis Matthes &
Seitz dieses Werk auf den deutschsprachigen Markt bringen wird.
Wünschenswert wäre eine zweisprachige Ausgabe - so
könnte man das Original zusammen mit der kongenialen
Übersetzung Kunzmanns erfahren.
Einzig die inflationäre Verwendung von Spitznamen wie
beispielsweise der "hinkende Teufel" für
Talleyrand stört ein wenig, doch der Rest ist einfach perfekt.
(Klaus Prinz; 03/2007)
Claude
Arnaud: "Chamfort. Die Frauen, der Adel und die Revolution"
Mit einem Anhang von 70 bisher unveröffentlichten Maximen,
Aussprüchen und Dialogen.
Aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann.
Matthes & Seitz, 2007. 525 Seiten.
Buch
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Lien zu Claude Arnauds Netzseite: https://www.claude-arnaud.fr/