Italo Calvino: "Die unsichtbaren Städte"
Sisyphos
und Eulenspiegel
Das Original 'La città invisibili' erschien bereits 1972,
nun liegt die deutsche Übersetzung von Burkhart Kroeder vor.
Italo Calvino (1923-1985) war wohl einer der raffiniertesten
Geschichtenerzähler, der gerne mit Stilen, Formen und
Textsorten experimentierte. In der 'Werkstatt für potenzielle
Literatur' (OULIPO = Ouvroir de Littérature Potentielle) in
Paris traf er sich mit
Barthes, Perec,
Eco und anderen, um neue Formen
des literarischen Schreibens zu entwickeln. So wurde er zu einem der
bedeutendsten Protagonisten der literarischen Postmoderne, der z.B. als
sein Vermächtnis 'Sechs Vorschläge für die
Literatur des nächsten Jahrtausends' hinterließ. Da
mag es verwundern oder auch nicht, dass Calvinos Bücher heute
in Italien Volksgut sind und auch Schullektüre. Bereits im
Jahr 1977 war übrigens eine deutsche Übersetzung von
Heinz Riedt bei Hanser erschienen (zwischendurch noch einmal 2002 bei
dtv). Das Buch ist unterteilt in neun Hauptkapitel, die wiederum aus
mehreren kurzen Schilderungen bestehen, in denen es insgesamt elf
thematische Schwerpunkte gibt: Wunsch, Erinnerung, Zeichen, Austausch,
Augen, Himmel etc. Und jedes dieser 55 Kapitelchen ist einer
Fantasiestadt zugeordnet.
Der Handlungsfaden hat nicht unbedingt eine zwingende Chronologie, man
kann das alles auch als eine Art Dialog verstehen zwischen Marco Polo,
der (angeblich) viele unbekannte Städte bereist, und dem
mongolischen Eroberer Kublai Khan, dem er (fantasievoll) Bericht
erstattet. Man schreibt das 13. Jahrhundert, wobei in den sogenannten
unsichtbaren Städten die Zeit eine untergeordnete Rolle
spielt. Marco Polo vergleicht alle Städte mit seiner
Heimatstadt
Venedig, der gegenüber die anderen sich als
Täuschung, als unfertig erweisen. Calvino demonstriert
häufig seine Skepsis gegenüber dem Vorgang des
Bezeichnens, er spielt mit der Rolle des Autors bzw. Erzählers
und zweifelt quasi dessen Feststellungen an. Marco Polo setzt seine
Berichte gegen die Melancholie des Herrschers und den Verfall des
Reiches an. Dabei sind sich beide nicht sicher, ob sie
tatsächlich oder nur in der Imagination eines anderen
existieren, ob die Welt nur ein Produkt ihres Geistes ist. Daher
gelangen sie auch öfters zum Schweigen, währenddessen
sich Städteschilderungen quasi von selbst im Geiste des Khans
schreiben.
Dieser Khan gebietet über sein Reich, Marco Polo über
die Worte, wobei er nicht auf dem Wahrheitsgehalt des Vorgetragenen
beharrt, aber den Akt des Vortragens für sich reklamiert. In
Gedanken entsteht ein utopisches Reich perfekten Erzählens,
eine von der Last der Schriftlichkeit befreite Kommunikation. Das
Erzählen überliefert eigentlich nichts
tatsächlich Existierendes, sondern dient der Inspiration des
Khans, lässt in seinem Kopf Bilder entstehen. Wobei Marco Polo
eigentlich nicht gerade tröstende Zuverlässigkeit
artikuliert: "Das Anderswo ist ein Spiegel im Negativ. Der Reisende
erkennt das Wenige, was sein ist, währenddem er das viele
entdeckt, was er nicht gehabt hat und nicht haben wird." Marco Polo
zweifelt daran, dass man die Welt sprachlich wiedergeben
könne, da doch ungewiss sei, ob die Welt nicht erst durch die
Sprache konstituiert werde.
Und so beginnt dieser episodische Romanessay folgerichtig mit den
Worten: "Nicht dass Kublai Khan alles glaubt, was Marco Polo sagt, wenn
er ihm die Städte beschreibt, die er auf seinen
Inspektionsreisen besucht hat" - die Städte haben wunderbar
klingende Namen - Diomira, Isidora, Despina, Maurilia, Eufemia usw. -
aber es gilt vielleicht für alle diese Orte: "Die Stadt ist
redundant: sie wiederholt sich, damit etwas im Gedächtnis
haften bleibt." So wie der Wunsch zur Erinnerung umschlägt,
mutiert Vielfalt zur Monotonie - und die Information speist sich aus
der Ignoranz und überhöht sich zur Inspiration: "In
Sprachen, die dem Khan unverständlich waren, berichteten die
Gesandten, was sie in Sprachen gehört hatten, die ihnen
unverständlich waren." Im Grund steckt hierin das Programm
Calvinos: das Verstehen des Unverstehbaren, indem man es
unverständlich mitteilt, damit es verstehbar werde. Und so
durchdringen sich Illusion und Spiel und Erwartung und
Realität und bewusste Täuschung und
Unfähigkeit zur Erkenntnis. Calvino erweist sich für
den Leser immer wieder als Symbiose aus
Sisyphos und
Eulenspiegel - ein
unermüdlicher Gaukler.
(KS; 03/2007)
Italo
Calvino: "Die unsichtbaren Städte"
Übersetzt von Burkhart Kroeber.
Hanser, 2007. 174 Seiten.
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