Walter Vogel: "Das Café"

Vom Reichtum europäischer Kaffeehauskultur

... wo das "schwarze Gold" in gepflegtem Ambiente genossen wird


Wer in einer europäischen Stadt nach einem zeitweiligen Refugium mit Tradition, einem Stückchen Heimat vielleicht, Ausschau hält, wird früher oder später auf eines jener Etablissements stoßen, in denen man getrost auch längere Zeit bei einer Tasse Kaffee sitzen, in- wie ausländische Zeitungen lesen, eine Kleinigkeit essen und in Gesellschaft allein sein oder ebensogut Bekannte oder Wildfremde zum Plaudern wie auch zum Karten-, Schach- oder Billardspielen treffen kann: Ein Café.

Der vorliegende exquisit aufgemachte Band ist weniger Kaffeehausführer denn gediegenes Album, in dem Walter Vogel Impressionen, unterhaltsame Geschichten und vor allem prägnante Schwarzweißfotos zu einem stimmungsvollen Ganzen zusammengefügt hat. Und so erfährt man in der "Introduktion", über welche Vorzüge ein Café verfügen sollte, um Walter Vogels Ansprüchen zu genügen (Stichworte "Lärm", "Licht", "Leute"), anschließend liefert das knappe Kapitel "Die Geografie des Kaffees" in launigem Tonfall Erkenntnisse über regionale Besonderheiten, Unterschiede in der Kaffeezubereitung sowie die Feinheiten, was die Benennung der jeweiligen Kaffeevariationen anbelangt. Doch weil selbst der eingefleischteste Kaffeeliebhaber nicht von Kaffee allein lebt, sind einige Seiten unter dem Titel "Die Gastronomie des Kaffeehauses" dem mehr oder weniger breitgefächerten Angebot an fester Nahrung gewidmet, das - je nach Preisniveau des Lokals - eher schlichte Gerichte wie Frankfurter mit Senf, Gulasch und Ham & Eggs oder Toast bis hin zu Prosciutto und selbstverständlich leckere Kuchen und Torten umfasst.

Sodann gilt Walter Vogels Aufmerksamkeit dem jeweiligen Ambiente der Cafés, den Sitzmöbeln ebenso wie den Einrichtungsdetails und dem Gesamteindruck.

Ab Seite 25 werden unter dem Motto "Eine Reise von Wien bis Lissabon" Cafés in Wien, Graz, Salzburg, Budapest, Opatija, Prag, Warschau, Berlin, Hamburg, Frankfurt, München, Düsseldorf, Leipzig, Schwerin, Zürich, Amsterdam, Brüssel, Lüttich, Paris, Nancy, Moulins, Nizza, Mailand, Verona, Alassio, Turin, Barcelona, Madrid und Lissabon kurz, nichtsdestoweniger liebevoll und unter Beachtung regionaler Eigenheiten porträtiert. 
Walter Vogel zeigt Kaffeehausbesitzer und Kellner "in ihrem Element", mit Kenner- und Könnerauge abgelichtete höchst unterschiedliche Einrichtungsstile, Speisen, Gäste und natürlich Kaffeekreationen. Und vielleicht haben Sie bereits in einigen der beschriebenen Cafés die eine oder andere Tasse Kaffee genossen; sei es im "Landtmann" neben dem Wiener Burgtheater, im legendären "Hawelka", dem "Tomaselli" in Salzburg, im "Gerbeaud" in Budapest (das über eine zehn Meter lange Theke verfügt!), dem Café des "Hotel Europa" in Prag, dem Café "Blikle" in Warschau, im Berliner "Einstein" (1978 von einer gebürtigen Grazerin gegründet) - um nur einige zu nennen?
Im Zusammenwirken von Texten und Bildern lässt Walter Vogel lebendige Szenen entstehen, vom Hamburger "Lindtner", vom früheren Lebensmittel- und nunmehrigen Kaffeegeschäft "Wacker" in Frankfurt, wo einst Goethe seinen Milchbedarf deckte, vom Literatur-Kaffeehaus "Dukatz" in München, vom von zwei Elefantenköpfen (keine Sorge, es handelt sich um Kunstwerke ...) gezierten "Riquet" in Leipzig
und von zahlreichen anderen guten Stuben.

Oder Sie beehren gelegentlich das Café "Les Deux Magots" in Paris, die üppig behübschte Rotonde im "Hotel Negresco" in Nizza, das "Biffi" in Mailand und/oder das Caffè "Dante" in Verona? 
Walter Vogel schreibt: "Neben Wien ist Turin die 'Kaffehauswunderbar'-Stadt Europas" und empfiehlt ebendort das Caffè "Baratti & Milano", das seinen Worten zufolge eine Reise wert ist ("... eine unglaubliche Fundgrube für Feinschmecker und Augenästheten").
In Barcelona bietet ein Besuch im "Café Zurich" eine gute Gelegenheit, sittsam gekleidete Einheimische zu Gesicht zu bekommen, fernab touristischer Entblößungs-Unkultur. In Madrid lockt das "Gran Café Gijon", das bereits illustre Persönlichkeiten wie beispielsweise Luis Buñuel und Salvador Dalí zu seinen Gästen zählen durfte.
Oder Sie wandeln in den Fußstapfen von Fernando Pessoa (freilich wäre es kaum angeraten, dies auf des Dichters Alkoholkonsum zu beziehen ...), der sich häufig im "Café A Brasileira" in Lissabon aufhielt. 
Walter Vogels Reise endet im Café "Versailles", dessen Flair er schätzt.

Im Anhang finden sich die Adressen der einzelnen Cafés, wobei - die Anregung möge gestattet sein - bei einer Neuauflage auch die jeweiligen Internet-Adressen Erwähnung finden sollten.

Walter Vogel, geboren 1932 in Düsseldorf, lernte zunächst Maschinenschlosser und wurde Ingenieur, bevor er das Fotografieren zu seinem Beruf machte. Unter der Leitung des legendären Prof. Dr. Otto Steinert besuchte er die Fotoklasse der Folkwangschule in Essen-Werder, danach arbeitete er als Werbe-, Reportage- und Magazinfotograf.

 (Felix; 02/2003)


Walter Vogel: "Das Café"
Edition Christian Brandstätter, 2001. 128 Seiten. 130 Abbildungen.
ISBN 3-85498-045-0.
ca. EUR 25,-.
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Die Rezension von Walter Vogels
"Espresso; Caffe-Bars in Italien" finden Sie hier ...