Deborah Cadbury: "Dinosaurierjäger"
Der Wettlauf um die Erforschung der prähistorischen Welt
Satans Geschöpfe
Dinosaurierforschung als Wissenschaftskrimi
Die faszinierende neue Idee einer von riesigen Echsen beherrschten Erde
löste im 19. Jahrhundert zunächst keine Dinomanie
à la "Jurassic Park", sondern blankes Entsetzen aus: "Wer
kann nur auf den Gedanken kommen, dass ein Wesen von unbegrenzter
Macht, Weisheit und Güte eine Welt erschaffen sollte, die nur
von einer Rasse von Ungeheuern bewohnt wird, ohne ein einziges
vernünftiges Lebewesen darunter, um es zu rühmen und
ihm zu dienen! Die Annahme, diese Tiere seien eine separate, von
Menschen unabhängige Schöpfung und hätten
... lange bevor der Mensch geschaffen wurde ... seine herausragende
Stellung eingenommen, hebt das ganze System aus den Angeln, das in
einer solch majestätischen Kürze im ersten Kapitel
der Genesis dargelegt wird."
Als die zwölfjährige
Mary Anning, deren Familie ihr mageres Einkommen mit dem Verkauf
fossiler "Kuriositäten" an Touristen aufbesserte, 1811 am
Strand des britischen Küstenstädtchens Lyme Regis das
vollständige Skelett eines später Ichthyosaurus
benannten "Ungeheuers" freilegte, steckte die
Geologie
in den Kinderschuhen, und von Paläontologie konnte noch gar
keine Rede sein. Fossilien wurden magische Kräfte
zugeschrieben, man hielt sie für Satans Geschöpfe,
den Samen oder Geist eines Tieres oder für von Gott gepflanzte
Ornamente, die wie Blumen das Innere der Erde schmücken sollten.
Mit dem bald großes Aufsehen erregenden Fund von Lyme Regis
begann die systematische Erforschung der "Zeit vor der Sintflut",
die in den nächsten Jahrzehnten
zu heftigen wissenschaftlichen und
weltanschaulichen Auseinandersetzungen
führen sollte. Verbissen versuchten die angesehensten
Gelehrten die Naturwissenschaften mit der damals auch als
wissenschaftliches Dogma geltenden Schöpfungsgeschichte der
Bibel in Einklang zu bringen und griffen unbarmherzig jene Forscher an,
die aus den immer zahlreicheren Fossilienfunden und den daraus
gewonnenen Erkenntnissen auf eine die göttliche
Autorität in Frage stellende Evolution des Lebens auf der Erde schlossen.
Diese frühen Jahre der
Dinosaurierforschung schildert Deborah Cadbury, die sich als Autorin
und Produzentin wissenschaftlicher Dokumentationen für die "BBC"
einen Namen gemacht hat, fesselnd wie einen
Krimi. Im Mittelpunkt des
alles Andere als knochentrockenen Buchs stehen vor allem die Schicksale
zweier höchst unterschiedlicher Forscher, die mit allen
Mitteln um den Ruhm der Entdeckung und Entschlüsselung einer
unbekannten Welt voll unglaublicher riesiger Lebewesen
kämpften.
Getrieben vom Wunsch nach
gesellschaftlicher Anerkennung und der Begeisterung für eine
Epoche, die er richtig als ein "Zeitalter der Reptilien" erkannte,
widmete sich der Schuhmachersohn Gideon Mantell neben seiner
aufreibenden Tätigkeit als Landarzt in jeder freien Minute dem
Sammeln und Klassifizieren von Fossilien. Obwohl er bald über
eine riesige Kollektion verfügte, Artikel publizierte, ein
populärer Vortragsredner wurde und in Brighton sogar sein
eigenes Museum eröffnete, hatte Mantell, der
außerhalb der etablierten Wissenschaftskreise Londons und der
Universitätsstädte Oxford und Cambridge stand, sein
Leben lang um die Anerkennung seiner bahnbrechenden Theorien zu ringen.
Die Leidenschaft für die prähistorische Welt kostete
ihn schließlich alles, was ihm lieb und teuer war - seine
Familie, seine Gesundheit, seine Hoffnungen auf eine wissenschaftliche
Karriere und seine großartige Sammlung, die er aus
finanzieller Not unter demütigenden Umständen
verkaufen musste.
Den Ruhm, auf den Mantell so gehofft
hatte, erntete sein erbitterter jüngerer Rivale Richard Owen,
der den Begriff "Dinosaurier" prägte und sie als
eigenständige Gruppe der fortschrittlichsten Reptilien
darstellte, die die Erde jemals gesehen hatte. Der ebenso brillante wie
intrigante Anatom hatte dank seines politischen Geschicks schon
früh in der Welt der renommierten und exklusiven
wissenschaftlichen Institutionen Ansehen, Einfluss und
einträgliche Positionen erreicht. Er verfolgte Mantell und
andere Konkurrenten mit geradezu fanatischem Hass und schreckte auch
vor wissenschaftlicher Unredlichkeit nicht zurück, um Kollegen
zu diffamieren oder seine Thesen vom göttlichen Plan hinter
allem Leben zu verteidigen.
Während Mantell allein und
nach einem Unfall verkrüppelt seinen Forschungen unter
großen Schmerzen und ohne finanziellen Rückhalt
nachgehen musste, 1852 an einer Betäubungsmittelvergiftung
zugrunde ging und sein furchtbar verkrümmtes Rückgrat
gar als Forschungspräparat im von seinem Erzfeind
kontrollierten Hunterian Museum endete, stand Owen am Gipfelpunkt
seiner Macht. Er galt als internationale Autorität, wurde mit
Ehrungen überhäuft und trug mit seinen - sich
nachträglich vielfach als falsch erweisenden -
lebensgroßen Rekonstruktionen von Dinosauriern
maßgeblich zu einer ersten Welle der Dinosaurier-Begeisterung
bei.
Doch eine neue Generation von Forschern
widerlegte viele von Owens Theorien, wies ihm Fehler nach und
kritisierte zunehmend seine Machtgier und skrupellosen Methoden. Sein
Abstieg war eng mit dem Aufstieg von Charles Darwins
revolutionären Erkenntnissen über die Evolution
verbunden, und nach seinem Tod im Jahre 1892 erinnerte man sich an ihn
nur mehr als "verdammten Lügner", der "für Gott und
aus Bosheit" die Unwahrheit verbreitet hatte. Vernichtend urteilte ein
Oxforder Professor über den einstmals gefeierten Star der
Wissenschaft: "Ein übler Fall."
(sb; 01/2002)
Deborah Cadbury: "Dinosaurierjäger. Der Wettlauf um die
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