Anthony Burgess: "Das Reich der Verderbnis"
Was geschah mit Jesu Jüngern, nachdem ihr Herr und Lehrmeister sie plötzlich verlassen hatte? Die Frohbotschaft sollen sie hinaustragen in alle Länder und Völker, aber die ahnungslose Welt weiß noch nichts von ihrem Glück, will auch überhaupt nicht bekehrt werden. Besonders heftig ist der Widerstand in Rom, dem "Reich der Verderbnis", dessen maßloser Glanz sich in den Jahren vor dem Untergang voll entfaltet. Vor diesem Hintergrund erleben wir den erbitterten Konflikt zwischen Petrus, Paulus und ihren Schülern auf der einen, den skrupellosen, verlotterten Cäsaren Tiberius, Caligula und Nero auf der anderen Seite ...
Sadoc, der Sohn des Azor, liegt an den
Rändern des ebenfalls langsam dahinsiechenden Römischen Reiches im Sterben und
schreibt die Geschichte seines Lebens nieder. Er beschreibt, wie es in Jerusalem
vor einigen Jahren zu einer mehr oder minder interessanten
Hinrichtung eines
Jesus aus Nazareth kam und wie sich seine Lehren danach mehr und mehr in der
Gegend und im Reich verbreitet haben. Sadoc beruft sich dabei auf seine eigenen
Beobachtungen und auch auf Dinge, die er von anderen Leuten gehört bzw. gelesen
hat.
Die beschriebenen Ereignisse beginnen mit dem "Letzten Abendmahl"
und der Beschreibung der Hinrichtung Jesu auf dem Golgatha. Davon ausgehend
werden die besonderen Ereignisse um Jesu Auferstehung und der verschiedenen
Theorien, welche "Tricks" dabei angewendet wurden, ausführlich ausgebreitet.
Interessant ist hierzu auch die Überlegung des zukünftigen Gladiators Metellus,
der zu diesem Zeitpunkt noch Caleb heißt, dass dieser talentierte und stimmengewaltige
Redner Jesus gar nicht ohne Weiteres am Kreuz hätte sterben können, da ihn seine
kräftigen Lungen davor gerettet hätten - ihm aber auch ermöglichten, seinen
eigenen Tod geschickt vorzutäuschen. Nun, das ist eine - medizinisch ziemlich
unsinnige - Theorie.
Viele Leute treten in diesem Buch auf: Apostel, römische Soldaten von gutem
Charakter, andere römische Soldaten, jüdische Bürger und Gelehrte jeder Art,
Griechen, Sklaven und eine neue Gruppe von religiösen Männern, die zunächst
als die Nazarener Bekanntheit erlangen. Diese werden zunächst sehr stark von
ihren jüdischen Glaubensbrüdern angefeindet, weil sie einige grundlegende Momente
der jüdischen Tradition in Zweifel ziehen. Diese Streitigkeiten werden immer
wieder der römischen Verwaltung zu Ohren gebracht, die diese Probleme dann wiederum
gelegentlich den wechselnden römischen Herrschern näher bringt. Und so erfährt
man neben der frühen Missionsgeschichte - bei der uns zunächst auch ein gewisser
Saul aus Tarsus sehr unangenehm auffallen muss, der ein früher Christenverfolger
gewesen zu sein scheint - auch eine ausgiebige Beschreibung der Bestechlichkeiten
römischer Beamter und der moralischen Fragwürdigkeiten von nicht weniger als
zehn bis zwölf römischen Imperatorinnen und Imperatoren. Die Namen
Caligula,
Messalina und
Nero sind dabei nur die bekanntesten Vertreter des
unmoralischen Herrschertums. Auch die Anderen zeigen, wie absolute Macht in
einer Gesellschaft, die Sklaverei befürwortet, Menschen korrumpieren kann. Selbst
der über weite Teile "life" auftretende Moralphilosoph Seneca kann hier nur
"nahe am Verlieren des eigenen Kopfes" einige scharfe Sentenzen einbringen,
aber nicht wirklich für Besserung sorgen.
Die hier verwendete Sprache dermaßen dicht, dass auf jeder Seite so viele Denkanstöße
zu finden sind, wie auf fünf bis sechs Seiten anderer Autoren. Und das, worüber
man hier - in der sehr komplexen Erzählung - nachdenken soll, gehört nicht unbedingt
zum philosophischen oder theologischen Leichtmenü. Eigentlich ist fast jeder
Satz irgendwie geladen. In Bezug auf die Geisteswissenschaften oder in Bezug
auf die Geschichte selbst. So verlangt dieser Roman nach einem halbwegs belesenen
Leser mit guter Merkfähigkeit, geistiger Flexibilität und Spaß an gedanklichen
Herausforderungen. Für derart veranlagte Menschen ist "Das Reich der Verderbnis"
ein spitzenmäßiges Buch!
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 02/2004)
Anthony Burgess: "Das Reich der
Verderbnis"
(Originaltitel "The Kingdom of the Wicked")
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Anthony Burgess wurde am 25. Februar 1917 in Manchester geboren. Seine Mutter und Schwester fielen der Spanischen Grippe zum Opfer. Als Hilfslehrer für Sprachen kam der sprachbegabte Burgess nach Malaysia und Borneo. Angeblich wurde 1959, nach seiner Rückkehr nach England, bei ihm ein inoperabler Gehirntumor diagnostiziert, woraufhin er binnen eines Jahres in verblüffender Schreibwut einige Romane verfasste. Durch seinen 1962 erschienenen Roman "A Clockwork Orange" erlangte Burgess Berühmtheit. Er zog 1976 nach Monaco und starb am 25. November 1993 an Lungenkrebs.
Ergänzender Buchtipp:
"Clockwork Orange"
Der junge
Alex prügelt, vergewaltigt, tötet - bis man mit Hilfe moderner Technik einen
wahren Christen aus ihm macht. Doch zu welchem Preis?
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Der Roman wurde 1971 unter
der Regie von Stanley Kubrick mit Malcolm Mc Dowell u.a. verfilmt (dt. Titel "Uhrwerk Orange").
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