Charles Bukowski: "Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend"


Ohne Gnade

Die amerikanische Originalausgabe 'Ham on rye' kam bereits 1982 heraus, die erste deutschsprachige Ausgabe in der Übersetzung von Carl Weissner erschien 1983 im Hanser Verlag. Einen besonderen Anlass, diesen autobiografischen Jugend-Roman im doppelten Sinne wieder aufzulegen, gibt es nicht - aber nun ist das Buch eben da. Das alter ego von Buk, wie ihn die Eingeschworenen liebevoll nennen, Henry Chinasky genannt Hank, ist von jung an ein Außenseiter, er erzählt hier von Armut, Gewalt, Sex und Alkohol - und das in einer einfachen, direkten Sprache ohne irgendwelche Schnörkel oder Tabus. Dadurch klingen die Schilderungen jedenfalls glaubhaft - der Umgang der Figuren miteinander, des Autors mit dem Stoff und den Lesern ist eher ruppig - was bleibt ist ätzende Melancholie.

Bukowski wurde 1920 in Andernach am Rhein geboren, gelangte bereits 1922 nach Los Angeles, wo er eine schwierige Kindheit und Jugend verbrachte: ärmliche Verhältnisse, der Vater betrog die Mutter, soff und verprügelte sie sowie auch den Sohn. Seit jungen Jahren wurde Bukowski ein psychisches Wrack, wurde zusehends aggressiver, wurde Alkoholiker, wechselte öfter Stellungen und Frauen, wenn er überhaupt welche bekam - wird aber später von seiner Tochter Marina als liebevoller Vater beschrieben! Seine Texte lassen sich aus über die Randzonen der bürgerlichen amerikanischen Gesellschaft, sie sind oft autobiografisch, teilweise satirisch überhöht. So ist er als Autor quasi ein radikaler Naturalist, der sich auch als Protagonisten nicht schont.

Erst mit 62 Jahren fand Bukowski die Kraft, dieses Buch über seine Kindheit und Jugend in den 20er und 30er Jahren zu veröffentlichen. Er gibt sich unsentimental, zeigt wenig Selbstmitleid, scheut nicht zurück vor Peinlichkeiten, etwa seiner immensen Akne, unangenehmen sexuellen Erfahrungen oder auch seinen Selbstzweifeln. Selbst dem Vater gegenüber ist er nicht verbittert, vielmehr findet er eine Balance aus Resignation und Sarkasmus. So erfahren wir gnadenlos von seinen inneren und äußeren Erlebnissen - das vorliegende Buch mag eine Art Katharsis für Bukowski gewesen sein.

In der Schule, nach der Schule, zuhause - überall bekommt Hank Prügel. Er mag seine Mitschüler nicht, sie mögen ihn nicht - und das ist so, obwohl er öfters die Schule wechselt. Er lernt die üblichen Initiationsriten: onanieren und trinken - und findet letzteres "besser als Onanieren". Er denkt über den Alkohol: "Da habe ich etwas gefunden, das wird mir noch sehr helfen." In Kapitel 24 übertreibt Bukowski dann wohl doch: die Englischlehrerin sitzt jedesmal vor der Klasse mit hochgezogenem Rock, und ein Schüler in der letzten Reihe holt sich in jeder Stunde einen runter. Das ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern schlichtweg primitiv. Es folgen weitere meist unappetitliche oder voyeuristische Episoden. Er kommt auf eine Highschool für Reiche, weil der Vater es so will. Die verlässt er allerdings nach einem Schuljahr wieder und muss eine langwierige Akne-Behandlung über sich ergehen lassen: "das hier waren große, entzündete Beulen, die sich erbarmungslos mit Eiter füllten." Während der Therapie beginnt Hank zu schreiben - und zu lesen: Upton Sinclair, Sinclair Lewis, D.H. Lawrence, Ernest Hemingway: "Sie waren etwas, das die Hirnwindungen vibrieren ließ."

Einerseits sind da richtig schweinische Episoden dabei ("Na dann hau doch ab, du gottverdammter kleiner Pisser!"), andererseits lernt Hank den Unterschied zwischen sich und den Reichen begreifen und vermutet, dass "ein Preis für all das" gezahlt werden muss: eine "allgemeine Selbsttäuschung." Schließlich bekommt er einen "entwürdigenden" Job, den er nach wenigen Tagen (wegen einer Prügelei) wieder verliert. Dann sucht er "den ganzen Sommer" nach einem Job, kriegt aber keinen, also geht er aufs College und beteiligt sich an Wettsaufrunden. Da er in Deutschland geboren war, legte er sich mit dem antideutsch eingestellten Dozenten an: "Ich war also kein Nazi aus Veranlagung oder eigenem Entschluss, sondern die Lehrer zwangen es mir mehr oder weniger auf." Allerdings gerät er dann in eine Rum saufende Naziclique und zieht ein Zwischenresümee: "Meine Aussichten waren noch genauso trüb wie am Tag meiner Geburt." Trinken ist das einzige, was ihn hochhält, alle Menschen sind für ihn "langweilig wie Rossäpfel." Fortan schildert Bukowski nur noch Sauf- und Prügelszenen.

Seine Lebenserwartungen bringt Hank so auf den Punkt: "Ich konnte es schaffen. Ich konnte Trinkwettbewerbe gewinnen, ich konnte im Glücksspiel etwas anschaffen. Vielleicht konnte ich auch ein paar Raubüberfälle machen. Ich verlangte nicht viel. Nur, dass man mich in Ruhe ließ." Die ketzerische Frage sei erlaubt: warum soll man solcherart Bücher lesen?! Für wen sind sie eigentlich gedacht?! Für Jungs, die schon mit 16 wissen, dass sie zu den Verlierern gehören?! Da kann man doch nur Trauer und Mitleid empfinden! Möchte man denn auf Dauer selbst so leben wie Henry Chinasky?! Er hatte doch immerhin Alternativen: er konnte sich Schulbildung aneignen, die er allerdings konsequent verweigerte. Das ist also ein kompletter Anti-Entwicklungsroman, ja der bewusste Anti-Bildungsroman. Weder aus pädagogischen noch aus literarischen Gründen zu empfehlen. Was soll daran interessant sein, dass sich ein aggressiver Psychopath durchs Leben säuft und prügelt?! Da gibt es doch mindestens Salinger als Alternative.

(KS; 01/2007)


Charles Bukowski: "Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend"
Übersetzt von Carl Weissner.
dtv, 2007. 343 Seiten.
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