Georg Büchner: "Dantons Tod"

"Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. - Man muss mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen!" (Aus "Dantons Tod")


Georg Büchner wurde am 17. Oktober 1813 in Goddelau bei Darmstadt geboren. Er studierte ab 1831 Medizin und Naturwissenschaften in Straßburg, 1833 auch Geschichte und Philosophie in Gießen. In Gießen schloss er sich der radikalen Freiheitsbewegung an und gründete 1834 die geheime "Gesellschaft für Menschenrechte", um die reaktionären Verhältnisse in Hessen zu ändern. Zusammen mit Ludwig Weidig verfasste Büchner den "Hessischen Landboten". 1834 übersiedelte er nach Darmstadt. 1835 floh er wegen seiner politischen Flugschrift "Der Hessische Landbote". 1836 Habilitation zum Privatdozenten für vergleichende Anatomie in Zürich, wo Georg Büchner am 19. Februar 1837 starb.

Im Jahr 1835 erschien erstmals Georg Büchners Drama "Dantons Tod", in dem der damals 22-Jährige eine höchst eigene Abrechnung mit den Nachwehen der Französischen Revolution durchführte. Zum Zeitpunkt des Erscheinens musste Büchner viele Kürzungen vornehmen, um der Zensur Rechnung zu tragen und zwar sowohl in politischer, wie auch in sexualmoralischer Hinsicht. Denn wie auch in seinen anderen Werken lässt Büchner in diesem Drama den Realismus eine zum Teil überdeutliche Sprache sprechen.

Nach dem "offiziellen" Ende der Französischen Revolution beschäftigen sich die nun offiziellen Stellen mit dem Aufarbeiten der Vergangenheit und versuchen, Royalisten und Konterrevolutionäre schnellstmöglich zu beseitigen. Dabei war es ziemlich einfach, zu einem Konterrevolutionär erklärt zu werden, was das Leben für einen politisch aktiven Menschen recht gefährlich machte. Während Danton die gesamte Situation eher gelassen sehen möchte und durch Konsolidierung sowie Verhandlung versucht, die Revolution abzuschließen, verbeißt sich Robespierre mit seinem Wohlfahrtsausschuss immer mehr in die Idee eines moralischen Erbes der Revolution, welche die Menschen nicht nur freier und gleicher, sondern auch wesentlich tugendhafter machen soll, so dass die Menschen wieder ihrem - unter anderem von Rousseau postulierten - natürlichen Zustand unter dem Naturgesetz näherkommen.

Robespierre.
Mein Gewissen ist rein.

Danton.
Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt sich, wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus. Das ist der Mühe wert, sich darüber in den Haaren zu liegen! Jeder mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst? Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen; aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht genieren, so herumzugehn, hast du deswegen das Recht, sie ins Grabloch zu sperren? Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebensogut mitansehn als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen.

Robespierre.
Du leugnest die Tugend?

Danton.
Und das Laster. Es gibt nur Epikureer, und zwar grobe und feine, Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur gemäß, d. h. er tut, was ihm wohltut. - Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absätze so von den Schuhen zu treten?

Robespierre.
Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat.

(Aus "Dantons Tod")

Wie so viele Moralwächter in der Geschichte - gerade im Zusammenhang mit Revolutionen - ist auch Robespierre zusammen mit seinen Getreuen bereit, zur Rettung seiner Mitmenschen durch deren Blut zu waten.

Eine Einstellung, die Danton und die Deputierten um ihn nur als lächerlich und gefährlich betrachten können. Da sie aber allem und jedem - auch ihren direkten intellektuellen Widersachern - mit großer Toleranz und Gewährenlassen begegnen, werden sie zunächst nicht aktiv, bis es schließlich zu spät ist.

Sehr selbstsicher tritt der wortgewandte Danton hier dem innerlich zerrissenen und humorlosen Robespierre entgegen und stellt diesen so schon durch sein Auftreten im Auge des Publikums ins Unrecht.
Die ihn umgebenen Deputierten stützen seine Figur sehr deutlich und verdichten damit seine Charakterisierung, während sich Robespierres Legitimation immer vor allen Dingen auf die sehr vulgäre und wankelmütige vox populi stützt, die in geradezu shakespeareschen Zwischensentenzen überaus triebhaft und blutrünstig dem Tugendhaften die Stichworte für seine Bluttaten souffliert - weswegen eine der Figuren ja sogar ein Souffleur ist.

Fazit: Ein bedenkenswertes Zeugnis der Nachwehen der Französischen Revolution, das nicht nur zeigt, wie "die Revolution ihre eigenen Kinder frisst", sondern auch, wie einmal mehr hoher moralischer Anspruch und zu idealistische Sicht der menschlichen Natur zum Unglück von Hunderttausenden werden können. All dies in einer Sprache, die - trotz aller Anspielungen auf die klassische Literatur - auch im 21. Jahrhundert noch gut verständlich ist.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2007)


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