Chico Buarque: "Budapest"
Chico
Buarque wurde am 19. Juni 1944 in Rio de Janeiro geboren und ist einer
der bekanntesten Sänger und Liedermacher in Brasilien. Vor
ungefähr 15 Jahren veröffentlichte Chico Buarque
seinen ersten Roman "Estorvo", der in Deutschland unter dem
Titel "Der Gejagte" 1997 zunächst in einer Taschenbuchausgabe
bei Rowohlt und dann 1999 in einer gebundenen Ausgabe bei Hanser
erschien, aber nicht besonders erfolgreich war, obwohl dieses Buch in
Brasilien hohe Verkaufszahlen erzielte.
Vielleicht wurde deshalb auch sein zweites Buch "Benjamin" nicht ins
Deutsche übersetzt. Es ist vorherzusehen, dass sein nun nach
zehnjähriger Schreibpause von S. Fischer
präsentierter dritter Roman "Budapest" ebenfalls keine hohen
Auflagen erzielen wird. Dazu ist das Buch und seine ganze Handlung zu
skurril, abgedreht und absurd.
Es geht um das Schreiben, um die Identität des Schriftstellers
und die Authentizität seines Werkes. Doch man weiß,
wenn man sich mühsam, immer wieder irritiert von den
Gedankenwelt des Protagonisten José Costa, endlich durch die
knapp 200 Seiten des Romans gelesen hat, nicht wirklich, was den Autor
bewogen hat, dieses Buch zu schreiben.
Eine außerplanmäßige Zwischenlandung
verschlägt den Brasilianer José Costa, der in
seinem Heimatland in einer Agentur als "Ghostwriter" für alle
möglichen literarischen und weniger literarischen Texte
arbeitet, nach Budapest. Er verbringt eine Nacht in einem Hotelzimmer
und zappt sich durch die ungarischen Programme, fasziniert und
getroffen von der ungarischen Sprache. Er hat die Klanglaute in jener
Nacht, als er sich die gleiche Nachrichtensendung immer und immer
wieder anschaute, so verinnerlicht, dass er, wieder nach Rio
zurückgekehrt, nicht aufhören kann von dieser Sprache
zu träumen; der gutturale ungarische Sprachklang geht ihm
nicht mehr aus dem Sinn. Er sehnt sich zurück nach dieser
Stadt, die ihn vollkommen gefangen genommen hat.
José Costa ist nicht glücklich; nicht mit seiner
Ehe mit Vanda, einer im Verlauf des Romans immer berühmter
werdenden Nachrichtensprecherin im brasilianischen Fernsehen, und auch
nicht mit seiner Arbeit als "Ghostwriter":
"Künstler, Politiker und prominente Hochstapler fragten bei
mir an, doch ich leistete mir den Luxus, nur für Menschen zu
arbeiten, die so unbekannt waren wie ich selbst."
Er verfasst die Abenteuer eines deutschen Managers in Buchform, und als
er zum ersten Mal aus Budapest in seine Agentur zurückkehrt,
wird dieses Buch innerhalb kürzester Zeit zum
Verkaufsschlager, und der deutsche Manager wird zum Star. Als dieser
auch noch eine Affäre mit Costas Frau Vanda beginnt, flieht
Costa nach Budapest und nimmt dort Sprachunterricht bei
Kriska, fängt eine sehr seltsame Beziehung mit ihr an und
steigt schnell zum "Mädchen für alles" im dortigen
Literaturzentrum
auf.
In Budapest verfasst er für den berühmten ungarischen
Dichter Kocsis Ferenc "Die Geheimen Terzette". Das Buch wird zu einem
Riesenerfolg. Bald darauf wird Costa ausgewiesen, kehrt nach Rio
zurück, und hört dort vom Erfolg eines Buches mit dem
Titel "Budapest", das in Ungarn unter seinem Namen
veröffentlicht wurde.
Er kehrt wieder zurück und versucht eine Klarstellung:
"Ich habe das Buch nicht geschrieben, entschuldigte ich mich im
Literaturklub, aber alle feierten mich und taten, als hätten
sie nichts gehört, vielleicht, weil ich, wie man sagt, im
Hause des Gehängten von Strick sprach. Und bei der feierlichen
Präsentation des 'Budapest' bestand der berühmte
Dichter Kocsis Ferenc darauf, mich in der Buchhandlung
öffentlich zu begrüßen."
Zurück bleibt ein Leser, der mit der antirealistischen
Tradition von Buarques Erzählweise nicht wirklich viel
anfangen kann.
(Winfried Stanzick; 07/2006)
Chico
Buarque: "Budapest"
Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner.
S. Fischer Verlag, 2006. 208 Seiten.
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Weitere
Lese- und Hörtipps:
Chico Buarque: "Der Gejagte"
Ein Mann wird verfolgt, doch weiß er nicht, vor wem oder
wovor er flieht. Seine Flucht führt ihn von der Oberschicht zu
einem Schlupfwinkel in den Bergen, doch nirgends gelingt es ihm, sich
der Gewalt zu entziehen, bis er schließlich selbst ein
Verbrechen begeht. Dieser Roman des berühmten brasilianischen
Sängers und Liedermachers führt dem Leser ein Land
vor, in dem Gewalt,
von Opfern wie Tätern, als
selbstverständlicher Bestandteil des Lebens betrachtet wird.
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