Bill Bryson: "Streifzüge durchs Abendland"

Europa für Anfänger und Fortgeschrittene

Bryson sieht sich alle Sehenswürdigkeiten an, seziert mit scharfem Blick die jeweilige Kultur und durchleuchtet jeden Platz und jede Person.


Normalerweise setzt sich Bill Bryson nur mit einem einzelnen Kulturkreis in seinen Büchern auseinander (siehe nachstehende Buchtipps), wobei er durch seine Beobachtungen und seinen Witz oft überzeugen kann. Der vorliegende Band ist da etwas anders, da sich Bill hier durch verschiedene europäische Länder bewegt, wobei er auf Grund von Zufällen in seinem Reiseverlauf oder durch plötzliche Einfälle gelegentlich sehr interessante Sprünge macht.

Die Idee für die Reise geht auf einen vergleichbaren Trip zurück, den Bill in seiner Jugendzeit mit einem Altersgenossen gemacht hat, der alles in allem ein nicht besonders angenehmer Zeitgenosse gewesen zu sein scheint. Zunächst um Systematik bemüht begibt sich Bill als erstes nach Hammerfest, um die nördlichste menschliche Siedlung in Europa zu besuchen und das Nordlicht zu genießen. Nach einigen weiteren Reisen durch den skandinavischen Raum beschließt er dann schließlich - relativ frustriert von Kälte und Dunkelheit - sich zunächst im mitteleuropäischen Raum umzusehen, wobei die für einen Angelsachsen üblichen Klagen über unhöfliche Kellner in Paris einmal mehr wiederholt werden. Auch kann er zum Beispiel mit dem Centre Pompidou nicht sonderlich viel anfangen. Brüssel und Belgien können ihn auch nicht besonders begeistern, wohingegen ihm Aachen und der dortige Dom in wahre Begeisterungsstürme ausbrechen lassen. Für mich unverständlich war seine eher negative Sicht von Köln und des Kölner Doms, was aber vielleicht eher an mir liegen dürfte. Er sollte den Besuch vielleicht mal auf Altweiber wiederholen.

In Amsterdam amüsiert er sich über die Hippies, und die Prostituierten scheinen im Vergleich zu seiner Jugend an Attraktivität verloren zu haben, dafür klappert Bryson hier aber die üblichen Sehenswürdigkeiten ab. Nach einem weiteren Abstecher nach Norden zieht es ihn schließlich nach Italien, wo er ziemlich viel Zeit verbringt und sich im Großen und Ganzen am wohlsten zu fühlen scheint. Die Schweiz und Liechtenstein gefallen ihm nicht besonders, aber die Leserinnen und Leser bekommen hier ein paar ungewohnte Einblicke in die schweizerische Mentalität. Innsbruck beschreibt Bill bei seiner Ankunft in Österreich als die wohl typischste europäische Stadt, aber sein Zug durch Österreich ist auch eher kritisch, was wohl auch mit unangenehmen Erfahrungen auf seinem ersten Europatrip zu tun haben dürfte. Andererseits lässt er sich auch sehr über aktuelle antisemitische Tendenzen in Österreich zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Buches aus und hat auch Einiges über Kurt Waldheim zu sagen.

Abgerundet wird der Trip durch einen Besuch von Sofia und schließlich Istanbul, das er ganz schrecklich findet. Insgesamt wird Bill in diesem Buch den verschiedenen regionalen Besonderheiten der von ihm besuchten Städte nicht gerecht - wie man am Vergleich Hamburg und Köln sieht - und er ist für einen Reiseautor eigentlich zu wenig experimentierfreudig in Bezug aufs Essen. Hier grenzen seine Vorurteile geradezu ans Lächerliche. Auch ist sein Verhalten als Gast in einigen Hotels manchmal nur als unangenehm und teilweise als kriminell zu sehen, so dass er sich mit diesem Buch eine Menge Sympathiepunkte verscherzt, die er in anderen Büchern zuvor gewonnen hat.

Bill Bryson wurde 1951 in Des Moines, Iowa, geboren. 1977 ging er nach Großbritannien und schrieb dort mehrere Jahre u. a. für die "Times" und den "Independent". Mit seinem Englandbuch "Reif für die Insel" gelang Bryson, der zuvor bereits Reiseberichte geschrieben hat, auch international der ganz große Durchbruch. 1996 kehrte Bill Bryson mit seiner Familie in die USA zurück, wo er heute in Hanover, New Hampshire, lebt. 

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2003)


Bill Bryson: "Streifzüge durchs Abendland"
(Originaltitel "Wo bitte geht's nach Domodossola/Neither here nor there")
Übersetzt von Claudia Holzförster.
Goldmann, 2001. 320 Seiten.
ISBN 3-442-45073-X.
ca. EUR 8,-.
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Ergänzende Buchtipps:

"Frühstück mit Kängurus"
Die Frage nach dem amtierenden australischen Premierminister oder den aktuellen politischen Ereignissen in und um Canberra werden die meisten von uns ebenso unbeantwortet lassen müssen, wie wir nur geringe Kenntnis von australischen Essgewohnheiten oder den kulturellen Angelegenheiten des Landes haben. Eine Erklärung dafür, dass dieser riesige Kontinent in unserem öffentlichen Bewusstsein eine nur geringe Rolle spielt, dürfte darin liegen, dass Australien kaum durch große Schlagzeilen Furore macht: Es räubert nicht munter die Weltmeere leer, verkauft keine Waffen an schlimme Despoten und baut nicht in frechen Mengen Kokain an: Australien ist friedlich, stabil und gut. Doch was hat es wirklich für eine Bewandtnis mit diesem Kontinent, der als der trockenste, flachste, heißeste, unfruchtbarste und klimatisch aggressivste aller bewohnten Kontinente gilt - und dabei eine unerhörte Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren aufweist? Was ist das für ein Land, in dem die Sternbilder auf dem Kopf stehen, in dem sich fliegende Füchse tummeln und Fische, die auf Bäume klettern? Um das herauszufinden, hat sich Bill Bryson auf den Weg gemacht - zunächst mit der legendären Indian-Pacific-Eisenbahn von Sydney nach Perth, und weiter zu den großen Städten Canberra, Adelaide, Melbourne und Darwin. 
"Frühstück mit Kängurus" bestellen (zur Rezension der englischen Ausgabe)

"Picknick mit Bären"
Bill Bryson will es seinen gehfaulen Landsleuten zeigen: Gemeinsam mit seinem Freund Katz, der aufgrund gewaltiger Leibesfülle und einer festverwurzelten Leidenschaft für Schokoriegel nicht gerade die besten Voraussetzungen dafür mitbringt, will er den längsten Fußweg der Welt, den "Appalachian Trail", bezwingen. Eine abenteuerliche Reise quer durch zwölf Bundesstaaten der USA beginnt ...
Ein Reisebericht der etwas anderen Art - humorvoll, selbstironisch und mit einem scharfen Blick für die Marotten von Menschen und Bären!
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"Reif für die Insel"
Was ist das für ein Land, in dem so unaussprechliche Namen wie Llywyngwril auf den Ortsschildern stehen? Wo Kekse gereicht werden, die jedes Gebiss bedrohen? Von den Kalkfelsen Dovers bis ins raue schottische Thurso erkundet Bryson die eigentümliche Weit jenseits des Ärmelkanals und kommt zu dem Schluss: England muss man einfach lieben - ganz gleich, wie wunderlich es einem zuweilen erscheinen mag.
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"Eines Tages beschloss ich, meine Frau beim nächsten Einkauf in den Supermarkt zu begleiten. Denn mit dem, was sie nach Hause brachte, war sie nicht ganz auf der Höhe der amerikanischen Esskultur. Nun lebten wir schon in dem Land, das der Welt Käse in Sprühdosen beschert hat, und sie kaufte immer noch frischen Broccoli und Knäckebrot. Dort angekommen, eilte ich in die Junkfoodabteilung - es war der Himmel auf Erden! Allein mit den sogenannten Frühstückscerealien hätte ich mich für den Rest des Nachmittags beschäftigen können. Jede Substanz, die man nur irgendwie trocknen, aufpuffen oder mit Zucker glasieren kann, war vertreten. Ich schnappte mir von allem eine Packung und eilte zurück zum Einkaufswagen. "Was ist das denn?" fragte meine Frau mit diesem speziellen Tonfall. "Das Frühstück für die nächsten sechs Monate", keuchte ich im Vorbeiflitzen. Ich musste weiter - zu Wackelpeterbutterkremküchlein, Kräuterlimonadentalern und einem schaumig geschlagenen Marshmallow-Brotaufstrich namens Fluff, der in einem Wännchen verkauft wird, in dem man ein Kleinkind baden könnte!" ...
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