Charlotte Brontë: "Jane Eyre"
(Hörbuchrezension)
Eine unvergängliche Biografie
Sophie Rois liest die sorgsam gekürzte Hörbuchfassung
von Charlotte Brontës Roman "Jane Eyre"
Charlotte Brontë,
1816-1855, veröffentlichte im Jahr 1847 ihren zweiten Roman "Jane Eyre - Eine
Autobiografie" unter dem Pseudonym Currer Bell. Unmittelbar nach Erscheinen
wurde der Roman von der Öffentlichkeit so gut aufgenommen, dass 1848 bereits
die dritte Auflage erschien. Die bis dato mittellose Familie Brontë
hatte jetzt zum ersten
Mal keine Geldsorgen mehr. Erst 1857 wurde auch Charlotte Brontës
erster Roman "Der
Professor" veröffentlicht, nachdem er vor dem Erfolg von "Jane Eyre"
von Verlegern abgelehnt worden war.
Die Ich-Erzählerin namens Jane Eyre lebt nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrer
Tante Mrs. Reed und deren drei Kindern. Mrs. Reed lässt Jane deutlich fühlen,
dass sie nur geduldet wird, und die Kinder, allen voran John, machen sich dies
zunutze, indem er Jane misshandelt und schlägt, wo er nur kann, ohne eine
Strafe befürchten zu müssen.
Die Demütigungen, denen Jane ausgesetzt ist, eskalieren derart, dass sie sich
eines Tages gegen die brutalen Schläge Johns zur Wehr setzt, worauf hin man sie
in das Internat "Lowood" schickt. Auch dort herrschen Entbehrungen,
strenge Regeln, fast verdorbenes Essen und schlechte medizinische Versorgung
vor. Aber Jane erfährt hier zum ersten Mal in ihrem Leben Freundschaft,
Zuneigung und Verständnis. Dies führt schließlich dazu, dass sie nach
Schulabschluss für einige Zeit als Lehrerin in Lowood verbleibt.
Erste Liebe und noch mehr Leid
Als sie 18 Jahre alt
ist, verlässt sie auf eigenen Wunsch Lowood und verdingt sich als Hauslehrerin
in Thornfield Hall, das von Mr. Rochester, seiner unehelichen Tochter Adele und
einer Haushälterin bewohnt wird.
Sie verliebt sich in den Hausherrn, gibt dieser Verbindung jedoch keine Chance,
weil Jane weder hübsch, noch reich oder standesgemäß für Edward Rochester wäre.
Zu ihrer Überraschung macht er Jane jedoch einen Heiratsantrag, den sie voller
Glück an nimmt. Doch am Vorabend ihrer Hochzeit macht sie eine schreckliche
Entdeckung: Edward ist bereits verheiratet und versteckt seine wahnsinnig
gewordene Frau auf dem Dachboden. Er fleht Jane an, sie trotzdem zu heiraten.
Dieses Ansinnen weist sie jedoch voller Empörung zurück, da sie sich nicht der
Bigamie schuldig machen will.
Sie flieht aus dem Haus und irrt verzweifelt durch die Heide, bis sie, halb
verhungert, im Haus der Geschwister Rivers Zuflucht findet. Hier sucht sie
Abstand von Edward, den sie immer noch liebt, wird von ihrem Vetter St. John
Rivers umworben und erfährt wie nebenbei, dass die Rivers entfernte Verwandte
sind. Als sie von einem fast gänzlich vergessenen Onkel als Alleinerbin
eingesetzt wird, teilt sie das Vermögen zwischen sich und den Geschwistern auf
und muss sich nicht mehr als Almosenempfängerin ihrer Verwandten betrachten.
Eines Nachts glaubt sie im Traum die Stimme Edwards zu hören, der sie
verzweifelt ruft. Unverzüglich reist Jane nach Thornfield Hall und findet das
Haus durch einen Brand völlig zerstört vor. Edwards Frau ist bei dem von ihr
gelegten Brand zu Tode gestürzt, und er selbst ist so schwer verletzt, dass er
für immer auf Hilfe angewiesen ist.
Die Beiden heiraten und leben gemeinsam mit Adele in zwar bescheidenen, doch von
monetären Sorgen befreiten Verhältnissen glücklich zusammen.
Wir können auch anders!
Damals wie heute
spiegelt Literatur auch den Konsens der Gesellschaft. Viktorianische Frauen
sollten hübsch, dumm, folgsam, gläubig und ansonsten bestenfalls Staffage und
Aushängeschild des Hausherrn sein. Jane Eyre ist das genaue Gegenteil:
intelligent, interessant, eigenwillig und stur. Sie hat ihre eigenen
Vorstellungen vom Leben und setzt diese auch um; und das sogar gegen den Willen
der Männer in ihrem Leben. Dies geht soweit, dass sie am Ende der Biografie zur
Ernährerin ihres Mannes wird, der ohne sie und ihr Geld hoffnungslos verloren wäre.
Mit ihrer Erzähltechnik steht Charlotte Brontë damit eher Defoes "Moll Flanders" als Dickens oder Thackeray nahe.
Ihre Intention sind weniger sozialkritische Beschreibungen oder naturgetreue
Milieudarstellungen, sondern die Schilderungen des inneren Lebens der
Protagonistin.
"Erika Mann" liest
Sophie Rois, vielleicht bekannt aus der Mini-Serie "Die Manns - Ein Jahrhundertroman"
in der Rolle der
Erika
Mann, hat eine Stimme mit erstaunlicher Bandbreite. Intuitiv erfasst sie die
hinter den Textstellen versteckt liegenden Emotionen und vermag dadurch dem Hörer
ein ungewöhnliches Hörerlebnis zu verschaffen. Einmal glaubt man, einem
trotzigen Kind zu lauschen, ein anderes Mal erstehen vor dem inneren Auge der
bigotte, selbstgefällige Schulleiter oder die hochnäsige, kalte Tante nebst
feixenden, sadistischen Kindern. Besonders gelingt es
Sophie
Rois durch behutsamen Tonwechsel, der sich über die gesamte Laufzeit
erstreckt, das "Erwachen" von
Jane
Eyre auch stimmlich zu vermitteln. Und hier ist das Hörbuch der Buchversion
weit voraus: Um diese Entwicklung auf die Schnelle nochmals nachvollziehen zu können,
genügt es einfach, ein paar Aufnahmen der ersten und der letzten CD
hintereinander anzuhören, um allein durch die nuancierte Vortragsweise von
Sophie Rois einen Eindruck von der Wandlung Jane Eyres zu erhalten.
Ein Juwel
Es handelt sich um eine, so der Verlagstext, sorgsam gekürzte Lesung, und ich kann dies,
verglichen mit der "Jane Eyre"-Ausgabe des Insel Verlages, nur bestätigen.
Dem Hörbuch liegt ein achtseitiges, eng bedrucktes, ausführliches und
informatives Begleitheft bei. Die CDs sind, genau wie bei Arnold Bennetts "Hotel
Grand Babylon" mit 90 Minuten übervoll, was jedoch nicht zu Lasten der
Klangqualität geht.
Fazit
Hervorragend rezitierte, sehr gut ausgestattete Hörbuchversion eines
zeitlosen Klassikers.
(Wolfgang Haan; 12/2005)
Charlotte Brontë: "Jane Eyre"
Aus dem Englischen von Andrea Ott.
Eichborn/Lido, 2005.
7 CDs, Laufzeit ca. 616 Minuten.
Gekürzte Fassung.
ISBN 3-8218-5396-4.
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Charlotte
Brontë, geboren am 21. April 1816, war neben Emily und Anne die Dritte im
Bunde der literarisch hochbegabten Schwestern. Nach dem frühen Tod der Mutter
übernahm sie die Fürsorge für die jüngeren Geschwister. Nach zweijährigem
Lehraufenthalt in einem Brüsseler Internat verbrachte sie den Rest ihres kurzen
Lebens wieder in der englischen Moorlandschaft. In der Abgeschiedenheit des väterlichen
Pfarrhauses widmete sie sich neben familiären Pflichten ganz dem Schreiben.
Weitere Buchtipps:
Emily Brontë: "Sturmhöhe"
Liebe, Hass und Tod - ein Drama spielt sich ab auf dem Gutshof Wuthering Heights
in Yorkshires düsterer Nebellandschaft. Vom Dämon der Rache und Eifersucht
besessen, richtet der Findling Heathcliff ein Werk der Zerstörung an, dem auch
die Angebetete Cathy zum Opfer fällt. Mehrere Generationen werden in einen
Strudel rasender Leidenschaften gezogen. Emily Brontës ergreifende Geschichte
voll psychologischer Raffinesse löste 1847 einen Sturm der Empörung aus.
Emily Brontë war nur ein kurzes Leben beschieden. Am 20. August 1818 geboren,
verstarb die zweite der berühmten Brontë-Schwestern am 19. Dezember 1848 an
Tuberkulose. Während ihres gänzlich zurückgezogenen Daseins im väterlichen
Pfarrhaus entstanden einige bedeutende Gedichte und "Wuthering Heights"
- ihr Meisterwerk.
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Charlotte Brontë: "Shirley"
Der Schauplatz des Romans ist Yorkshire - Brontës Heimat - zur Zeit der
Kontinentalsperre
Napoleons und der Arbeiterunruhen im Jahre 1812. Vor diesem
historischen Hintergrund wird die Geschichte des zielstrebigen jungen
Tuchfabrikanten Robert Moore und seines Bruders Louis sowie der Titelheldin
Shirley Keeldar und der Pfarrersnichte Caroline Helstone erzählt.
Die zarte Caroline beweist im Laufe des Romans auf ihre Art nicht weniger
Lebenskraft und Unbeugsamkeit, etwa in ihrem Ringen um Robert Moores echte Liebe
zu ihr, als die finanziell unabhängige, eigenwillige Shirley, die ihre
geldgierigen Verehrer abweist, sich über das Standesdenken hinwegsetzt und
ungeachtet der gesellschaftlichen Stellung ihrer Neigung folgt und sich zur Ehe
mit dem unscheinbaren, aber gebildeteren Louis entschließt.
Nach ihrem Roman "Jane Eyre", mit dem Charlotte Brontë über Nacht
weltberühmt wurde, ist auch "Shirley" ein von viktorianischen
Konventionen erstaunlich unberührtes Buch, das sich mit großer Offenheit und Kühnheit
über verkrustete Vorstellungen hinwegsetzt.
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Anne Brontë: "Agnes Grey"
Geschildert wird das Schicksal einer Frau, die gegen bestehende Konventionen
ankämpft.
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Werner Waldmann: "Die
Schwestern Brontë"
Die Schwestern Brontë sind ein Phänomen: ein literarisches, ein
psychologisches, ein gesellschaftliches. Hinter dem Namen steht eine der
erstaunlichsten und bizarrsten Legenden der englischen Literaturgeschichte.
Geschrieben haben die drei Pfarrtöchter nicht sehr viel: Charlotte, die
schreibfreudigste und erfolgreichste der Brontës, hat vier Romane verfasst,
darunter das Erfolgsbuch "Jane Eyre", Anne zwei und Emily nur einen
einzigen. Werner Waldmann versucht die Gründe für die enorme Popularität,
für den angelsächsischen Brontë-Kult sowie die Wurzeln der Legende
aufzudecken. (Rowohlt)
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