Lily Brett: "Alles halb so schlimm"


Vergangenheitsbewältigung - ein weiterer Abschnitt
Die Fortsetzung einer Aufarbeitung


"Alles halb so schlimm" erzählt vom Schicksal der jüdisch-polnischen Emigrantenfamilie Josl und Renia Benskys, die beide das KZ überlebt, jedoch beinahe alle ihre Angehörigen verloren haben, von ihren Kindern, Freunden und deren Sprösslingen in der jüdischen Gemeinde von Melbourne, vom Zurandekommen in einer neuen Heimat, vom Umgang mit traumatischen Erlebnissen, vom Verdrängen und Erinnern.

Renia Benskys Daseinsängste, ihr tiefes Misstrauen allem und jedem gegenüber, die unbewältigte, allerdings lange Zeit totgeschwiegene Vergangenheit sowie ihre zwanghafte Pedanterie und Hypochondrie lassen Lola, eine der beiden Töchter von Josl und Renia, zu einem schwierigen Geschöpf mit einer krassen Essstörung, das sich in Fantasiewelten zurückzieht und sich erst als Erwachsene für die Erinnerungen und die Vergangenheit ihrer Eltern zu interessieren beginnt, heranwachsen.
Dann allerdings notiert Lola die Antworten ihrer Eltern, spinnt aus realen und ihrer Fantasie entsprungenen Bestandteilen eine bewegende Familiengeschichte und wird schließlich eine berühmte Autorin.

Lola, das alter ego Lily Bretts, lehnt sich gegen zahlreiche Verhaltensregeln der engmaschigen jüdischen Gemeinde auf, sie geht ihren Weg abseits aller gut gemeinten Ratschläge und Einmischungsversuche und schafft sich Freiräume; sie inszeniert - gewollt oder nicht - Familiendramen, liefert Stoff für Klatsch und Tratsch. Sei es, dass sie erst keinen Juden heiratet, dass sie sich später scheiden lässt, oder gar keine Sympathie für Israel empfindet ...
Und Lola entwickelt sich vom "hässlichen Entlein" zum "schönen Schwan", ganz Ebenbild ihrer Schöpferin, die in ihrer Jugend ebenfalls mit massivem Übergewicht zu kämpfen hatte.

In "Alles halb so schlimm", anno 1990 auf Englisch erschienen, erfreut Lily Brett ihre Leserschaft mit (nicht nur rein autobiografischen) einfühlsamen Episoden und offenherzigen Alltagsgeschichten, ihr gleichermaßen bewegender wie humorvoller Schreibstil hat ihr eine große Lesergemeinde erschlossen. Lily Brett beleuchtet einen weiteren Abschnitt der Aufarbeitung nicht nur ihrer familiären Vergangenheit. Wie sie einmal in einem Interview meinte, sei der tiefer liegende Grund, warum sie schreibe, den Eltern Gehör zu verschaffen, ihre Geschichte zu erzählen.

Lily Brett wurde als Luba Brajsztajn 1946 in einem US-Lager für Displaced Persons in Deutschland geboren. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach zwölf Monaten wieder. 1948 wanderte die Familie nach Australien aus. Mit neunzehn begann Lily Brett als Journalistin für ein Rockmagazin zu arbeiten. Heute lebt sie in New York.

(Franka Reineke)


Lily Brett: "Alles halb so schlimm"
Aus dem Englischen von Melanie Walz.
Diana.
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Ein weiteres Buch der Autorin:

"Lola Bensky"

Lola Bensky ist neunzehn, als Keith Moon von "The Who" vor ihren Augen die Hosen runterlässt und Cher sich ihre falschen Wimpern borgt. Es sind die 1960er-Jahre, und Lola ist als Reporterin in London und New York unterwegs, um Interviews mit Musikern zu führen. Sie unterhält sich mit Mick Jagger über Sex und Diäten, mit Jimi Hendrix über Mütter, Gott - und Lockenwickler. Ihre Leser sind vermutlich eher an Tratsch interessiert, aber Lola war schon immer etwas unkonventionell. Zum Glück ahnen ihre Eltern nichts davon, dass sie mit Menschen zu tun hat, die mit freier Liebe und Drogen experimentieren. Sie haben das Konzentrationslager überlebt, aber das würde sie ins Grab bringen. Und Lola fühlt sich schon schuldig genug, dass sie Übergewicht hat und keine Anwältin geworden ist. Doch sie ist fest entschlossen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.
"Lola Bensky" ist ein hinreißend komischer und herzzerreißend menschlicher Roman über Neurosen und die Last der Vergangenheit. Und eine fulminante Hommage an die großen, verrückten Heldinnen und Helden der Sechziger. (Suhrkamp)
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