Arik Brauer: "Die Farben meines Lebens"

Erinnerungen


Sentimental problembewusst

Eigentlich ist er als Erich Brauer 1929 in Wien geboren, und eigentlich ist er ein äußerst vielschichtiger Künstler: Maler, Grafiker, Bühnenbildner, Liedermacher. Sein jüdischer Vater starb in einem Konzentrationslager, er selbst überlebte die Nazi-Diktatur in einem Versteck. Er ist einer der Gründer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, wobei er sowohl in seine Bilder als auch in seine Texte politische Bezüge integriert. Und er war sogar über ein Jahrzehnt Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Man nennt solche Menschen lapidar Multitalent und Lebenskünstler, legendär sind seine Fahrradexpeditionen durch Europa und Afrika. Im vorliegenden Buch, das den schlichten Untertitel 'Erinnerungen' trägt, liefert Brauer ebenso eine Abrechnung mit dem Faschismus und der kommunistischen Ideologie, wie er die Situation im Nahen Osten sowohl aus israelischer als auch aus arabischer Sicht schildert.

Entsprechend seinem facettenreichen Leben präsentiert Brauer hier Mosaikbausteine aus erzählenden Passagen, biografischen Informationen, Liedtexten und Illustrationen, um seine Person, seine Kunst und seine Philosophie zu erläutern. Sein Stil ist schlichtweg fesselnd, seine Gedanken sind unbestechlich - und schon die Liste der Kapitelüberschriften im Inhaltsverzeichnis provoziert geradezu zum konzentrierten Schmökern: Bericht eines Nasenbären - Die Panzerfaust - Berg Heil - Berichte aus der Gebärmutter - Wie wird man ein Ölgemälde? - Bericht einer Qualle - Bericht einer Krähe - Bericht eines Murmeltiers.

Was sehr positiv berührt, ist die Eindringlichkeit der Schilderung und die liebenswert-ironische Zuwendung den sozial Gelackmeierten gegenüber. Brauer hatte auch eines seiner beeindruckendsten Lieder dem 'Spiritus' gewidmet, dem Säufer mit dem Holzbein, dem das Leben nie eine Chance gegeben hatte: "sei Mund is wia a Ofenloch, drum trinkt er a kann Wein, nur an Spiritus." Brauer kennt das Personal seiner Lieder und Bilder aus seinem Leben - das erinnert an Beckett, der einmal sinngemäß sagte: "Was ich schreibe, sind nicht meine Erfahrungen, aber ohne sie könnte ich nicht so schreiben".

Schwer lastet auf Brauer die Nazi-Zeit - dazu gibt es eine eindringliche Grafik, in der sich eine Art Drache in Hakenkreuzform in einem Kopf breitmacht. So ernüchtert-sarkastisch Brauer das Kriegsende besingt ("Was mach ma mit dem Hitlerbild (...) Vergraben mia’s halt im Köller (...) wann ma’s epa wieder brauchen, dann grab ma’s wieder aus.") - so alarmglockenhaft registriert er den damals einsetzenden "Austromarxismus".

Mindestens ebenso köstlich-heftig artikuliert sich die Skepsis Brauers im Kapitel 'Die Akademie-Zentauren', wo die Pinselstrichler und die Farbflächler in einer raffinierten Grafik demaskiert werden. Das anrührendste Kapitel ist den Clochards ("Glockenmenschen") von Paris gewidmet ("jene obdachlosen Alkoholiker, die ... wie Glocken hin und her pendeln"). Brauer ist sowohl sentimental als auch problembewusst - das macht seine Stärke aus. Das zeigt sich, wenn er sich etwa mit dem islamischen Fundamentalismus auseinandersetzt: "Der scheinbare Aufschwung des islamischen Fundamentalismus ist in Wirklichkeit das verzweifelte Strampeln einer Machtstruktur, die ihrem langsamen Ende entgegenschwankt."

Oh, wenn er damit recht hätte, dann würden wir auch den Rest des Buches zur Lektüre empfehlen. Nein, Spaß beiseite, allein das Leben und die Kunst zählen! Arik Brauer ist ein Mensch, mit dem sich jede Begegnung lohnt! Also: nehmt ihn wahr, lernt ihn kennen, genießt dieses Buch mit intellektueller Freude und Solidarität.

(KS; 04/2006)


Arik Brauer: "Die Farben meines Lebens"
Amalthea, 2006. 304 Seiten.
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