Alessandro Boffa: "Viskovitz, du bist ein Tier"

Fabelhafte Liebesgeschichten


Die kleinste Einheit der Geilheit ist die Zelle?! Gefühlswallungen und Triebstau unter Schuppen, Fell und Federn ...

Viskovitz ist nicht ein Tier, wie man aufgrund des Buchtitels vorschnell anzunehmen geneigt sein mag; vielmehr gibt es offenbar in jeder der ausgewählten Gattungen ein Individuum dieses Namens, aus dessen Perspektive wir sodann Masturbation, Homo- und Bisexualität, Partnersuche, Geschlechtsverkehr, Eheleben, Eifersüchteleien, Kannibalismus sowie zahlreiche andere Spielarten und Auswüchse des biologischen Daseins erleben.

Alessandro Boffa, seines Zeichens studierter Biologe, hat in zwanzig unerhört witzigen, intelligenten Geschichten menschliche Verhaltensmuster und Gedanken in tierische Körperformen gekleidet, die das Absurde am jeweiligen Betragen entlarven und die altbewährte Gattung Fabel in neuem Gewand präsentieren.

Ein Siebenschläfer sieht bis zum bittersüßen Erwachen den paradiesischen Traum als Leben, eine Gehäuseschnecke verliebt sich in ihr Spiegelbild (und kriecht diesen Weg konsequent weiter, nachdem sie sich ihre Liebe gestanden hat ...), ein Männchen der Gottesanbeterin verspürt lustvolles Schaudern, während er sich, auf seine Erektion gestützt, zu seiner Schönen hinbewegt und Stück für Stück bei lebendigem Leib verzehrt wird. Ein Fink dem bereits Übles schwant, findet seinen Nebenbuhler in Gestalt eines Kuckucks im eigenen Ehebett, indessen Frau und Kinder ihm ein lustiges "Kuckuck!" zukrächzen, (der Fink hätte wohl doch einen Vaterschaftstest in Erwägung ziehen sollen!). Ein potenter Elchbulle entdeckt zu spät, dass ihn die strapaziösen Aufgaben des Herden-Anführers davon abhalten, sich mit sämtlichen Elchkühen zu paaren, obschon er sich ebendies voll Inbrunst ausgemalt hat, ein Mistkäfer muss feststellen, dass es seine Maikäfer-Geliebte keineswegs schätzt, sich mit ihm in einem Mistbecken zu suhlen. Imponiergehabe veranlasst einen Eber, mit seiner Angebeteten eine kesse Sohle aufs Parkett zu legen, eine schlaue Laborratte findet Gefallen an einer dummen, verführerisch-schönen Partnerin. Ein Papagei verzweifelt am Echo seiner Artgenossen, ein Fisch genießt es, sich an einer Attrappe zu befriedigen, ("die Kommunikation ist weniger mühsam und der Sex fantastisch"), ein Skorpion zieht in bester Wildwest-Manier eine Spur des Todes, eine größenwahnsinnige Ameisenlarve erlebt Aufstieg und Fall.

Dass man als Chamäleon nicht immer sicher sein kann, tatsächlich die zu beglücken, die gemeint ist, muss Viskovitz? ("Es genügte, die Farben zu mischen und ein wenig die pulmonalen Divertikel aufzublasen, um auszusehen wie irgendein anderer, so dass du keinem trauen konntest, nicht einmal deinen Verwandten. Nicht zufällig hatten wir in der Familie alle Namen, die mit Fragezeichen endeten.") nach einer orgiastischen Vereinigung erkennen. Der meditierende, rauschgiftsüchtige, ehemalige Drogenspürhund Viskovitz vernascht auf der Suche nach dem ewigen Orgasmus eine Ex-Kollegin und lässt sie sehenden Auges in ihr Unglück laufen, ein Wurm mit winzigem Penis freut sich seines Lebens als Parasit, der Hai Viskovitz hat seine Verwandten und Freunde zum Fressen gern.

Was passiert, wenn man plastischer Chirurgie mehr vertraut als seinen Instinkten, bemerkt eine eitle Drohne erst angesichts einer Schar deformierter Nachkommen. Auch ein Schwamm hat es in Liebesangelegenheiten nicht leicht: Strömung und periodische Geschlechtswechsel verunmöglichen das traute Glück! Der vom Naturfilmgeschäft angeödete Löwe Viskovitz hat eine Affäre mit einer jungen Gazelle, die ihres Lebens überdrüssig ist, und zuguterletzt wird der Leser Zeuge der Evolution: Die Mikrobe Viskovitz lernt sich fortzupflanzen ...

Ein herrlich geistreiches Buch; amüsant, kurzweilig!

(Anja; 01/2002)


Alessandro Boffa: "Viskovitz, du bist ein Tier. Fabelhafte Liebesgeschichten."
Mit 21 Illustrationen von Nanabozo.
(Originaltitel "Sei una bestia, Viskovitz")
Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann.
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