Snorre Björkson: "Präludium für Josse"
Ein
zart komponierter Roman um erste Liebe und Bachsche Musik
Holtes lernt die drei Jahre ältere Josse auf einem Friedhof
kennen, als beide in einer Bläsergruppe eine Beerdigung
musikalisch begleiten.
Der Sechzehnjährige ist von der Abiturientin fasziniert, und
auch Josse findet Gefallen an dem Jungen. Beide mögen
"klassische" Musik, weshalb sie beginnen, miteinander zu
musizieren, und insbesondere Josse ist fasziniert von Bach; sie spielt
Orgel,
und Holtes lässt sich oft von ihr vorspielen. Mehr und mehr
füllt Josse Holtes’ Denken und Fühlen aus,
doch er wagt es nicht - auch in Anbetracht des beachtlichen
Altersunterschieds -, ihr seine Liebe zu gestehen. Stattdessen setzt er
sich mit ihrer Gedankenwelt, mit
Bachs Musik auseinander und beginnt
selbst, Orgel zu üben.
Nach dem Sommer will Josse aus der norddeutschen Kleinstadt nach
Freiburg ziehen und dort Kirchenmusik studieren. Holtes und ihr bleiben
am Ende der Ferien noch ein paar freie Tage, in denen sie, Albert
Schweitzers Bach-Biografie im Rucksack, zu Fuß und zeltend
auf den Spuren des großen Komponisten nach Lüneburg
und Lübeck wandeln. Dem scheuen Holtes gelingt es auch jetzt
nicht, Josse die Tiefe seiner Gefühle zu vermitteln.
Josse verabschiedet sich in ihr Studium. Holtes übt nachts
tapfer ein Bach-Präludium an der Orgel in seiner Dorfkirche,
wie sie es ihm aufgetragen hat, und tut sich schwer, die durch ihren
Weggang gerissene Lücke zu füllen.
Als Josse in den Weihnachtsferien nach Hause kommt, hat sie sich
gewandelt, fortentwickelt von Holtes, den Sommerferien, fort auch von
Bach. Und Holtes begreift, dass es gelegentlich auch der
ausgesprochenen Worte bedarf, nicht nur der kleinen Gesten, des
Begleitens und Nacheiferns, um eine Frau zu gewinnen.
Der Zauber der ersten Liebe, aufgekeimt durch ein gemeinsames
Steckenpferd, wird in diesem Roman behutsam und mit melancholischer
Poesie eingefangen. Josse und Holtes, zwei Stimmen, zwei Themen, am
Anfang noch fremd, werden wie in einem musikalischen Meisterwerk
miteinander verwoben, berühren sich, scheinen eins zu werden
und gehen schließlich doch wieder ihrer eigenen Wege.
Wunderbar romantisch liest sich das Buch, dabei ohne jeglichen seichten
rosaroten Kitsch; es vermittelt den tiefen Einfluss der Musik auf unser
Leben, die Faszination eines mit mathematischer Genauigkeit
konstruierten und dennoch manchmal unsere Seele erschütternden
und beflügelnden Bach-Präludiums oder einer Fuge, es
zeigt auf, wie sehr uns die Annäherung an einen anfangs noch
fremden Menschen verändern kann, und es fängt die
Schönheit und Vergänglichkeit des Augenblicks ein wie
eine Kamera, die eine Bewegung gleichsam einfriert.
Ein eher stiller, ganz einfach schöner Roman, der den Leser
tief eintauchen lässt in wesentliche Fragen seiner Existenz,
der beglückt und nachdenklich stimmt, die Hektik des Lebens
für einige Stunden verdrängt.
Die bei aller Schlichtheit sehr ansprechende und hochwertige Aufmachung
und Gestaltung machen dieses Buch auch zu einem reizvollen,
ungewöhnlichen Geschenk - wenn Sie es nach einem
Überfliegen der ersten Seiten überhaupt noch aus der
Hand legen wollen.
(Regina Károlyi; 08/2006)
Snorre
Björkson: "Präludium für Josse"
Aufbau-Verlag, 2006. 261 Seiten.
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Snorre Björkson, geboren 1968 in Norddeutschland, spielt diverse Instrumente und begleitet seine Lesungen häufig mit Musik. Eine frühe Fassung von "Präludium für Josse" schrieb er auf niederdeutsch. Neben Romanen und Lyrik verfasst er Hörspiele für den Rundfunk, macht Kabarett und Theater. Er lebt am Steinhuder Meer.