Christian Graf von Krockow: "Der große Traum von Bildung"
Auf den Spuren der großen Entdeckungsreisenden James Cook und Georg Forster
Farbige, lehrreiche und
unterhaltsame Doppelbiografie
Weltbildung zu erwerben war im 18.
Jahrhundert kein der heutigen Zeit mit ihrer Informationsüberflutung
vergleichbares leichtes Unterfangen. Flugzeuge, die den wissbegierigen Menschen
bequem von Kontinent zu Kontinent bringen, waren noch nicht erfunden. Wissen
über ferne Völker, deren geografische Heimat, Fauna und Flora, ethnologische und
historische Gegebenheiten konnte nur über wagemutige, entbehrungsreiche Land-
oder Seereisen, deren Ausgang oft mehr als ungewiss war, erlangt werden. Während
Portugiesen und Spanier ab Ende des 15. Jahrhunderts das Zeitalter der
Entdeckungen einleiteten, übernahmen im 17. und 18. Jahrhundert Holländer,
Engländer und Franzosen die Führung im Entdecken und Erforschen noch unbekannter
Regionen.
Angeregt durch eine eigene halbjährige Schiffsreise um die Welt
1998/1999 erstellte der über zahlreiche historische Bücher zu preußischen und
deutschen Themen - darin
Sebastian Haffner ähnelnd - bekannte, frühere
Politologieprofessor eine faszinierende Doppelbiografie zweier sehr
unterschiedlicher Männer in ihrem Streben nach umfassender Weltbildung. Während
der Eine Meere und Küsten erkundete, diese bereits zu damaliger Zeit mit
erstaunlicher Genauigkeit vermaß und kartografierte, beobachtete, forschte und
hielt der Andere seine Erkenntnisse durch Zeichnungen und Niederschriften im
Stile eines klassischen Wissenschaftlers und Reiseschriftstellers
fest.
Als einer der letzten großen Entdecker des 18. Jahrhunderts gilt
der schottischstämmige 1728 in einem kleinen Dorf des nördlichen Yorkshire
geborene Seefahrer James Cook. Er leistete während dreier Weltumsegelungen
Bahnbrechendes zur Erforschung des pazifischen und subantarktischen Raums. Er
entdeckte die australische Ostküste und zahlreiche Inseln in der Tuamotugruppe,
den Neuen Hebriden, Neukaledonien oder den früheren Sandwich- (Hawaii)Inseln.
Bei der Umsegelung Neuseelands stellte Cook dessen Doppelinselnatur fest und
wies die Trennung Australiens von Neuguinea nach, indem er die
dazwischenliegende Torresstraße befuhr.
Bei diesen Entdeckungsfahrten
schoben sich, wenn auch zum Teil im Interesse wirtschaftlicher Konkurrenz und
nationalen Prestiges, wissenschaftliche Ziele in den Vordergrund. Es verwundert
daher nicht, dass wissenschaftliche Forschungsreisende und Künstler, Letztere um
Landschaftseindrücke, Baulichkeiten und Menschen festzuhalten, allmählich an die
Stelle von Piraten, Händlern und Missionaren traten. So gehörte zu Cooks zweiter
Weltumsegelung der 1754 bei Danzig geborene deutsche Naturforscher Georg
Forster. Zu seinen Aufgaben zählte die lebensechte Abbildung von Tieren und
Pflanzen, die er präparierte und in Herbarien mit in die Heimat
nahm.
Cook und Forster haben beide ausführliche Reiseberichte verfasst über ihre gemeinsame
Entdeckungsreise, blickten hierbei mehr nach außen als nach innen, auf die Arbeit
der Besatzung, Wind und Wetter, auf die Abenteuer und Eindrücke von fremden
Welten und Völkern. Denn davon wollte man in Europa hören. Angeregt durch den
Reisebericht des französischen Weltumseglers Bougainville von 1771 über Tahiti und
andere neuentdeckte paradiesische Inseln interessierten die europäische Elite
weniger die Gespräche und Gefühle der Schiffsreisenden als Erlebnisse und Schilderungen
"der Wilden", der Maoris
und Polynesier. Aus heutiger Sicht ging es Krockow aber gerade um die Innenansichten
der Menschen an Bord der Entdeckungsschiffe. Was geschah während der meist öden
Reisezeit der Schiffe, in der es keine Landgänge gab und man quälend eng aufeinander
saß? Wo blieben die Entdeckerfreuden, wenn die Entbehrungen sich häuften? Wie
entwickelten sich die Umgangsformen, wenn nur Männer unter sich waren und diese
dann den Frauen der "Wilden" begegneten? Was wurde aus dem Traum von Vernunft
oder von Südseeparadiesen, wo es doch darum ging, im Konkurrenzkampf mit anderen
Mächten Europas im Namen seiner Majestät des Königs die englische Flagge zu
hissen? All diese Fragen beantworten fiktive Tagebucheintragungen der beiden
Protagonisten, die der Autor im Wege der einfühlenden Rekonstruktion auf Grund
der zahlreichen gründlichen Studien (zu Cook vornehmlich in englischer Sprache)
erstellt hat. Aufschlussreich ist die bereits am Druck erkennbare Differenzierung
zwischen Cooks - besser dokumentierten - Eintragungen und jenen von Georg Forster,
die die unterschiedliche Sichtweise des kühlem pragmatischen Denken verhafteten
englischen Kapitäns und des jungen schwärmerischen deutschen Naturforschers,
Literaten und späteren Revolutionärs erkennen lassen.
Das 370-seitige gut
geschriebene Buch lässt den Leser hautnah James Cooks zweite große
Entdeckerreise hautnah miterleben. Diesem für die damalige Zeit atemberaubenden
Unternehmen von 1772 bis 1775 (und nicht, wie der Buchdeckeltext weismachen
will, schon 20 Jahre früher) entspräche heutzutage wohl nur eine Fahrt zum Mond
oder Mars. Der Leser erfährt von den beachtlichen Ergebnissen der Reise:
Widerlegung der antiken Vorstellung von der Existenz eines imaginären
Südkontinents, Vermessung und Kartografierung der neuseeländischen Küste,
Verbesserung der Lebensbedingungen auf den Schiffen, Skorbutbekämpfung durch
Mitnahme von Sauerkraut auf die langen Reisen ohne frische Nahrungsmittel.
Krockow belässt es nicht bei der Reiseschilderung. In geraffter Form erläutert
er, wie es für beide "Helden" weiterging. Cook - seiner geruhsamen, aber
langweiligen englischen Landexistenz überdrüssig - erlitt bei einer weiteren
Seereise auf Hawaii einen tragischen Tod. Forster dagegen starb unter
ärmlichen Verhältnissen im französischen Exil, nachdem ihn aufgrund seines
realitätsblinden Einsatzes für den Anschluss der Mainzer rheinischen Republik an
das revolutionäre Frankreich als Vaterlandsverräter der Bannstrahl des Reiches
getroffen hatte.
Fazit: Ein farbiges, lehrreiches und unterhaltsames Buch voller Gedankenanstöße
des 1927 in Hinterpommern geborenen Autors. Auch wenn zum Nachvollziehen der
Entdeckungsreise in den Buchdeckelseiten eine Karte mit der von der "Resolution"
befahrenen Route hilfreich gewesen wäre, bleibt Krockows Werk eine faszinierende
Hommage an zwei große Männer ihrer Zeit. Zwangsläufig wird sich der an der Thematik
interessierte Leser entscheiden müssen, ob er sich zuerst einem weiterführenden
Werk über James Cook zuwenden soll oder ob er lieber doch mit Klaus Harpprechts
Biografie "Georg Forster oder Die Liebe zur Welt" dem Traum von Bildung eines
deutschen Schöngeists nachspüren will.
(Dr. Matthias Korner; 02/2005)
Christian Graf von Krockow: "Der
große Traum von Bildung"
List.
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Christian Graf von Krockow, geboren
1927 in Hinterpommern, wurde 1961 Professor für Politikwissenschaft. Seit 1969
war er als freier Wissenschaftler und Schriftsteller tätig und galt, mehrfach
ausgezeichnet, als einer der führenden Publizisten zur deutschen und preußischen
Geschichte. Christian Graf von Krockow starb 2002 in
Hamburg.
Buchtipp:
Klaus Harpprecht: "Georg Forster oder Die
Liebe zur Welt"
(Rowohlt)
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Weitere Bücher von
Christian Graf von Krockow (Auswahl):
"Die
Zukunft der Geschichte"
Geschichtswissen ist in Deutschland zur
Gedenkkultur erstarrt. Auch deshalb, so Krockows provokante These, erscheinen
uns die Ereignisse des
11. September 2001 als singulär. Ohne historisches
Bewusstsein aber steht die Zukunftsfähigkeit nicht nur der Welt, sondern auch
unseres eigenen Landes auf dem Spiel - dies um so mehr angesichts der hilflosen
Reaktionen auf die Pisa-Studie und des darin enthüllten
Bildungsnotstandes.
Das Vermächtnis des Grandseigneurs der deutschen
Geschichte macht nachdenklich: Ein intelligenter Blick auf ein Land im Politik-,
Werte- und Bildungsnotstand.
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"Porträts berühmter deutscher Männer
- Von Martin Luther bis zur Gegenwart"
Nicht erst die jüngsten
Debatten haben deutlich gemacht, wie dringend erforderlich - und von vielen
gewünscht - ein besseres Verständnis der deutschen Geschichte ist. Der große
Reformer Martin
Luther, Immanuel
Kant, der Hitler-Attentäter Georg Elser und
Helmut Kohl sind einige der -
durchaus gegensätzlichen - berühmten Männer, die Christian Graf von Krockow
porträtiert. Eine Galerie deutscher Lebensläufe seriös, informativ und
anschaulich erzählt.
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"Porträts berühmter deutscher
Frauen - Von Königin Luise bis zur Gegenwart"
Von der zum Mythos stilisierten
Luise, Königin von Preußen,
über die große Jüdin der Romantik, Rahel Varnhagen, und die kritische
Kommunistin Anna Seghers bis hin zu Marion Gräfin Dönhoff schlägt Christian Graf
von Krockow den Bogen in seinen erzählerischen Darstellungen berühmter
Frauen.
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"Hitler und seine
Deutschen"
Als Christian Graf von Krockow im Jahre 1947 sein Studium
der Politikwissenschaft begann, war er angetrieben von der Frage: "Wie konnte
das passieren?". Eine Frage, die ihn sein Leben lang begleitet hat. Und obwohl
seitdem unzählige Studien und Biografien zum Thema erschienen sind, blieben für
ihn entscheidende Fragen ungeklärt: Wie kann man
Hitler verstehen? Was
fesselte die Deutschen an ihrem "Führer"? Und warum waren sie bereit, ihm in
bedingungslosem Gehorsam zu folgen?
Krockow ist es um eine Dimension jenseits
des längst Bekannten zu tun: um die inneren Bedingungen, die Befindlichkeit der
Nation, ihre geistigen Bedürfnisse, ihr Verlangen nach Achtung und Anerkennung.
Hitlers geschichtliche Erscheinung, die Tatsache, dass jemand zum "Führer"
werden kann, der den Hass predigt, zeigt sich ihm als eine nationale und
psychologische Disposition.
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