Wolf Biermann: "Heimat"

Neue Gedichte


Der letzte Troubadour

Passend zu seinem 70. Geburtstag beschert uns der Lyriker und Liedermacher mit dem sympathischen Namen mit lebendigen und sarkastischen Versen zu den unausweichlichen Themen der menschlichen Existenz: Liebe - Alter - Tod. Das alles kulminiert im Heimat-Begriff, in dem sich die ewigen Fragestellungen spiegeln: Wo kommen wir her? Was tun wir hier? Wo gehören wir hin? Wo gehen wir hin? Rein geografisch führt uns Biermann von Südeuropa bis Skandinavien, von Israel bis an die Elbe. Er erinnert ganz bewusst an die alten Troubadoure, mischt sich in die Entwicklung Europas ein, sucht hinter der Politik die Liebe. Und er gibt quasi als Motto aus, dass er "durch das große Feuer der Bombennächte raus in die Welt rannte, immer dorthin, wo keiner je ankommt: in der Heimat."

Die Verse bersten vor drallem Leben, der Autor spricht offen und direkt, hier durchwachsen sich Reflexionen und Emotionen, oft finden wir eine konkrete Situation, mit welcher der Autor auf ungenierte Weise umgeht. Und er investiert sich sozusagen vollständig: "Ich schneid mir täglich aus der Brust mein Herz / weil's ja im Rippenkäfig nachwächst, wenn ich singe." Er führt uns durch die Natur und durch die Geschichte und hat auch keine Scheu vor deftigen Gedanken: "Das Tier in meiner Hose ist so dumm und gut / Und unbekümmert, scheu: es schämt sich nicht, es schwillt." So sehr er im Privaten sein Wohlgefühl pflegt, ist er doch illusionslos insgesamt: "Ich rechne mit dem Schlimmsten immerdar / Unwirtlich war die Welt zu allen Zeiten."

Biermann sieht sich selbst in der Tradition der Troubadoure und Bänkelsänger, seine Verehrung für Villon und Heine ist bekannt. Und so lästert und schwelgt er, verbindet Persönliches mit Politischem, Kritik mit Lust - und bringt es beispielsweise fertig, in einem Trinklied gegen die "Leitkultur" zu wettern. Er ist im Grunde ein Idealist, vielleicht sogar provokativ naiv und direkt, er scheut sich weder Selbstverständlichkeiten auszusprechen noch Tabubrüche zu riskieren: "Marx war kein Messias und nie Marxist." In diesem Sinne bleibt unser schnauzbärtiger Jubilar eine liebenswürdig-lästige-linke Stimmungskanone. Nur schade, dass keine CD beiliegt mit den hier enthaltenen Liedern - denn freilich ist Biermann-Hören noch lustvoller als Biermann-Lesen.

(KS; 10/2006)


Wolf Biermann: "Heimat. Neue Gedichte"
Hoffmann und Campe, 2006. 175 Seiten.
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Hörbuch:
Hoffmann und Campe, 2006. Sprecher: Wolf Biermann.
1 CD, Laufzeit ca. 78 Minuten.
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Wolf Biermann wurde am 15. November 1936 in Hamburg als Sohn eines kommunistischen Werftarbeiters, der 1943 im KZ Auschwitz ermordet wurde, geboren. 1953 übersiedelte Biermann in die DDR. Ab 1965 wird ein totales Auftritts- und Publikationsverbot über ihn verhängt, sowie eine Ausreisesperre nach Ost und West. Als ihm 1976 eine Tournee durch die Bundesrepublik genehmigt wird, ist das erste Konzert in Köln der Vorwand, ihn wegen "Staatsfeindlichkeit" aus der DDR auszubürgern. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den "Friedrich-Hölderlin-Preis", den "Heinrich-Heine-Preis", den "Nationalpreis" und den "Georg-Büchner-Preis".