Sean Rainbird: "Joseph Beuys und die Welt der Kelten"
Schottland, Irland und England. 1970-1985
"Jeder Mensch ist ein Künstler!" (Joseph Beuys)
Das Umschlagbild des Buchs zeigt Joseph Beuys, den Mann mit dem
charakteristischen Filzhut, in
mutmaßlicher Kultfigurpose: Er
stellt sich mit theatralisch über den Kopf erhobenen
Armen an einer Küste stehend zur Schau.
Mit der allgegenwärtigen Kopfbedeckung pflegte Beuys
übrigens die angeblich in
seine Schädeldecke eingepflanzte Silberplatte zu verdecken.
Der 1959 in Hongkong geborene Sean Rainbird, seines Zeichens
ausgewiesener Beuys-Kenner, der
schon die umfangreiche Ausstellung, die im Jahr 2005 in der
"Tate Gallery" gezeigt wurde, kuratierte, dokumentiert bzw.
interpretiert in "Joseph Beuys und
die Welt der Kelten" die keltischen
Spuren in einer zeitlich eingegrenzten Schaffensphase des am 12. Mai
1921 in Krefeld/Kleve zur Welt gekommenen Künstlers und spürt
mythologischen wie auch alchimistischen Anleihen nach.
Das Wirken geistiger Kräfte in der Natur, die Suche nach
spirituellen Quellen des Menschen, die Verbindung von Natur und Mensch
prägten das Schaffen des vielseitigen, umstrittenen
Künstlers Beuys; ja manche Kunstexperten sprechen gar von
einer Beuys'schen "esoterischen Naturlehre".
Joseph Beuys' Anliegen war es, den Rahmen der traditionellen
Gestaltungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten zu erweitern, den Begriffen
"Schönheit"
und "Wahrheit" durch intuitive Schöpfungsprozesse auf den
Grund zu gehen, innerlichen Bedeutungsebenen "griffige" Oberflächen zu
verleihen und Erkenntnis durch Freiheit zu schaffen; gewissermaßen Ideen ebenso wie
Inspiration sichtbar zu machen.
Beuys betätigte sich als u.a. Zeichner,
Aktionskünstler, Hochschullehrer
(Professor für monumentale Bildhauerei an der staatlichen
Kunstakademie Düsseldorf)
und Parteigründer.
Seine Arbeiten tragen einprägsame Titel wie beispielsweise
"Tisch mit Aggregat", "Stuhl mit Fett", "Wie man einem toten
Hasen die Bilder erklärt", "Honigpumpe am Arbeitsplatz", "7
000 Eichen", "Zwei Fräulein mit leuchtendem Brot" und
"Infiltration Homogen für Konzertflügel".
Der Klappentext von "Joseph Beuys und die Welt der Kelten" lautet:
"Die Verweise auf die Kultur der
Kelten im Werk von Joseph Beuys (1921-1986) sind vielfältiger
und weit komplexer als es auf den ersten Blick scheinen mag. So verarbeitete er
die Eindrücke
seiner ersten Englandreise im Mai 1970, die ihn in die schottischen
Hochmoore,
zu den prähistorischen Steinmonumenten im Norden Irlands und
in die Welt von James Joyce führte, noch im selben Jahr beim
Edinburgh Festival in der Aktion
Celtic (Kinloch Rannoch) Scottish Symphony.
Keltische Naturgottheiten, Druiden
und deren heiliger Baum, die Eiche,
oder der Basalt, das Gestein der keltischen
Kultstätten, spielten dann in den 70er und 80er Jahren eine
immer wichtigere Rolle im Beuys'schen Schaffen.
Beuys empfand, wie man weiß, eine besondere
Affinität zu den Lebensformen und Mythen untergegangener
Kulturen. Die Kelten,
indogermanische Stämme, hatten bis zum 3. Jahrtausend v. Chr.
einen von Kleinasien bis Andalusien und Irland reichenden Kulturraum geschaffen,
der geografisch dem Beuys’schen 'Eurasien' entspricht. Nur an den
äußersten Rändern
unseres Kontinents, an der Westküste Englands, in Schottland
und vor allem Irland haben sich bis heute Spuren ihrer Kultur erhalten - in der
Sprache, der Landschaft, die Beuys einmal als 'letzte Wildnis Europas' bezeichnete,
in den Legenden von König Artus, dem Denken in Kategorien einer
mythologisierten Natur."
Der Beuys-Sammler Franz Joseph van der Grinten, den
auch eine persönliche Freundschaft mit dem Künstler
verband, beschrieb Beuys' Schaffen in einem "WDR"-Interview anno 2006
folgendermaßen: |
"Seit 20 Jahren arbeite ich an einem
anthropologischen menschlichen Kunstbegriff, in dem jeder Mensch
einbezogen ist in den Gestaltungsvorgang. Wo man also
tatsächlich und mit einer wirklichen Begeisterung zu dem
Ergebnis kommt: Jeder Mensch ist ein Künstler! Und das beginnt
im Denken. Denn das lebendige Denken ist bereits ein skulpturaler, also
bildhauerisch- formender Vorgang, und aus dieser
erkenntnistheoretischen Wahrheit leitet sich der Mensch als ein
Künstler - als Gestalter - am sozialen Organismus ab". |
Das Künsteln ist des Menschen
Lust - der Mensch als "Soziale Plastik" bzw. als Gesamtkunstwerk
Über Zusammenhänge zwischen Wort und Bild
sagte Joseph Beuys: "Mein Weg ging durch die Sprache, so sonderbar es
ist, er ging nicht von der so genannten bildnerischen Begabung aus."
Er war zutiefst von der (re)sozialisierenden Kraft der Kunst
überzeugt.
Über die Besonderheiten des "in Form Bringens" in der irischen
Kunst sagte der österreichische Schriftsteller
Raoul Schrott in einem Gespräch mit
dem Verleger Urs Engeler:
"(...) In Irland gab es eine Kaste von Dichtern, die gleichzeitig auch
Rechtsgelehrte, Doktoren, Auguren, Schriftgelehrte, Historiker
undsoweiter
waren, die die filid hießen. Das bedeutet 'die Seher', weil
sich die Kunst der
Musik und der Dichtung ableitet von fil, 'da ist, schau'. Gleichzeitig
waren die
filid integriert in eine Schule, die Dichtung, Gesetzgebung und
Geschichte mit
einschloß, und die hieß filidecht. So daß
man sagen kann, wenn jemand heute
von poeta doctus redet, dann redet er von der doxa, von der Lehre, die
die Dichtung als die zu erinnernde Form immer schon tradiert hat. Was das
Mnemotechnische betrifft, war Dichtung ja hauptsächlich dazu
da, Geschichte,
Stammeskunde, soziale Herkünfte und Siege weiter zu tradieren,
weil sie die einzige Kunst war, diese Dinge so zu formulieren, daß man sie
auch im Gedächtnis
behalten konnte.
Das Wort creth, was 'Dichtung' heißt, ist eng verwandt mit
dem altirischen
cruth, was 'Form' bedeutet und mit den indoeuropäischen Worten
für Magie,
Verzauberung und jede Art von Transformation verbunden ist. Etwas in
eine Form bringen, ist eine Transformation, die etwas mit Magie und eben mit
Dichtung zu tun hat.
Fil heißt 'da ist, schau', aber fel heißt die
poetische Kunst, die mit der
musikalischen verwandt ist: fel und fil, die Musik und das Bild. Das
Ganze aber hat noch eine andere etymologische Wurzel, indem es zurückgeht
auf das altgriechische fath, was soviel heißt wie 'Prophezeiung,
prophetische Weisheit', und fil ist auch verwandt mit dem Wort faith, was auf
Altirisch 'Prophet, Seher' bedeutet. Das geht dann wieder prinzipiell
zurück auf die Inspiration, auf den Atem und auf den Wind.
Dann gibt es noch das altirische Wort für die Kunst der
Poesie, also nicht die
Poesie selber, welches zurückgeht auf das Wort ai, Genitiv
uath (woher der
lateinische vates kommt), was etymologisch in Verbindung steht mit
séis, 'die
musikalische Kunst', clúas, 'Ohr, das Hören', guth,
'Stimme' und anál,
'Atem'.
Die drei traditionellen Künste in der irischen Kunst, die
damals ein Dichter zu leisten hatte, waren erstens teinm laeda, das prophetische Kauen des
Baummarkes, zweitens imus for-osna, die Divination, die erleuchtet, und drittens
dichetal di
chennaib, die Inkantation vor den abgeschlagenen Köpfen. Die
Kelten schlugen
die Köpfe ab, weil die für sie heilig waren.
Alles zusammengenommen, diese Konstanten und Koordinaten der Poesie,
merkt man,
daß die Dichtung aus dem Ritual und vom Orakel kommt und sich nur
langsam über
Jahrhunderte von der religiösen Funktion ablöst, ohne
daß sie jedoch ihren
sakralen Ursprung jemals verleugnen könnte. (...)"
(Quelle: "Zwischen den Zeilen. Eine Zeitschrift für Gedichte
und ihre
Poetik", herausgegeben von Urs Engeler, Heft 7/8 aus 1996)
Mit seinem Interesse an den Kelten befand sich Beuys in
guter Gesellschaft, so meinte z.B.
Martin
Walser auf eine Frage
Moritz von Uslars ("Ihr Ernst, dass Sie sich für die Kelten
interessieren?"):
"Ja, sehr. Die Kelten sind unsere Indianer. In Amerika haben die
Flüsse indianische Namen, bei uns keltische." (Quelle: "Süddeutsche
Zeitung Magazin" vom 22.03.2007)
Fett und Filz, Nahrung und Wärme
Legendär ist die autobiografische Künstleranekdote,
wonach Joseph Beuys im Zweiten Weltkrieg als Besatzungsmitglied eines
Kampfflugzeugs über der Krim abstürzte - (Beuys war
Bordfunker) - und dabei
schwer verletzt wurde. Nomadisierende Tartaren hätten ihn
angeblich gefunden
und in ihrem Lager mit Fettsalbungen sowie Filzwickeln gesundgepflegt.
Ein "Meister" hatte zwei seiner bevorzugten Gestaltungsmaterialien
gefunden - oder diese ihn ...
Joseph Beuys, eine Symbolfigur deutscher Nachkriegskultur, erlag am 23.
Jänner 1986 in Düsseldorf nach einer seltenen Entzündung des
Lungengewebes einem Herzversagen.
Der Band "Joseph Beuys und die Welt der Kelten" stellt einen
interessanten Ausgangspunkt dar, sich mit Leben und Werk des
Künstlers zu beschäftigen - und mit den Kelten sowieso.
(Franka Reineke; 08/2007)
Sean Rainbird: "Joseph Beuys und die Welt der Kelten"
(Originaltitel "Joseph Beuys and the
Celtic World: Scotland, Ireland and England 1970-85")
Aus dem Englischen übersetzt von Ursula Wulfekamp.
Schirmer/Mosel, 2006. 120 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Heike Fuhlbrügge: "Joseph Beuys und die
anthropologische Landschaft. Naturmotive in den Zeichnungen"
Natur und Landschaft spielen eine
wichtige Rolle im Werk von Joseph Beuys. Nach seiner anthropologisch
verstandenen Landschaftsauffassung sollten Energieverhältnisse
der Natur
aktiv auf den Menschen wirken. Die Autorin weist erstmals nach, dass Beuys
u.a. klassische Landschaftsmotive und zeitgenössische
Naturschutzvorstellungen in
seinen neuen Kunstbegriff einbezog. Joseph Beuys hat in seinen
frühen Zeichnungen die Gattung der Landschaftsmalerei erweitert und neue
Landschaftstypen geschaffen, um Strömungs- und
Energieverhältnisse
aufzuzeigen. Klassische Landschaftsdarstellungen wie bukolische
Idyll-Motivik
oder den Locus amoenus entwickelte der Künstler zu einem
Landschafts-Inventar,
das er in seinen Kanon des erweiterten Kunstbegriffs aufnahm.
Geistesgeschichtliche Naturvorstellungen der
Alchemie
und die Idee von
einer
sexualisierten Natur, in der die Erde als Uterus aufgefasst wird, sind
dabei
ebenso von Bedeutung wie innerweltliche
Atmosphärenvorstellungen beim Menschen,
die der Künstler als "Seelenmeteorologie" bezeichnete.
Beuys verwendete klassische Landschafts-Topoi, anthropologisch
verstandene Naturauffassungen, soziologische, psychoanalytische sowie
meteorologische u.a.
Themen, für seine Vorstellung von Natur als energetischem
"Wirk-Raum", der bis in gesellschaftliche Prozesse erfahrbar sein
soll. Ihr aktuelles Potenzial ist heute noch spürbar und
beispielsweise in der
Partei der "Grünen" wirksam, die Beuys mit gegründet
hatte. So hat
die anthropologisch aufgefasste Landschafts- und Naturvorstellung von
Joseph
Beuys maßgeblich die Kunst und Gesellschaft nach 1945
geprägt. (Reimer Verlag)
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Reinhard Ermen: "Joseph Beuys"
Legenden umranken das Leben von Joseph Beuys, seine Werke gelten als
bedeutungsschwer und rätselhaft zugleich. Unumstritten ist
sein Rang als einer
der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts. In seinen
Installationen,
Plastiken, Objekten und Zeichnungen verschränken sich
zeitgenössische Anspielungen, biografische Elemente und eine oft esoterische
Naturlehre. (rororo)
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HP Riegel: "Beuys. Die
Biografie"
Joseph Beuys, der hervorragende Lehrer und Weltverbesserer, gilt als
bekanntester deutscher Künstler neben Albrecht Dürer. Doch nicht wenige namhafte
Kunstexperten betrachten ihn als Scharlatan. War er tatsächlich der Heilsbringer
der modernen Kunst, als der er immer wieder beschrieben wird? HP Riegel legt
erstmals eine ausführliche, minutiös recherchierte Darstellung des Lebens und
Wirkens von Joseph Beuys vor, die zu einer grundsätzlichen Neubewertung Anlass
gibt. So geht es um seine Nähe zu völkischem Gedankengut, seine kriegsbedingte
Traumatisierung, die Hintergründe seiner Entlassung aus der Düsseldorfer
Akademie und sein Engagement bei den Grünen. (Aufbau)
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Heiner Stachelhaus: "Joseph Beuys"
Wer war Joseph Beuys? Scharlatan, Guru, Magier, Schamane? Oder ein
Künstler,
der die Dimensionen herkömmlicher Kunst und Kunstauffassung
sprengte? Mit
seinem Buch über einen der eigenwilligsten und umstrittensten
Künstler unserer
Zeit regt Heiner Stachelhaus zum Nachdenken über ein komplexes
Lebenswerk an
und versucht, Werk und Wirkung aus der Perspektive des Zeitgenossen
Joseph Beuys
zu erklären. (List)
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"Joseph Beuys. Eine Werkübersicht"
Mit einer Einführung von Alain Borer, herausgegeben von Lothar
Schirmer.
Das zu seinen Lebzeiten heftig diskutierte Werk von Joseph Beuys gilt
heute
nahezu unbestritten als die wichtigste und einflussreichste
künstlerische Äußerung
deutscher Provenienz nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese
Werkübersicht, die in
ausgesuchten Dokumenten - Zeichnungen und Aquarelle, Skulpturen und
Objekte, Räume
und Aktionen - die Summe aus vierzig Jahren künstlerischen
Schaffens zieht,
belegt eindrucksvoll die Vielseitigkeit und die gedankliche Tiefe eines
Künstlers,
der als Bildhauer, Lehrer und Revolutionär immer noch
unzureichend beschrieben
ist. Der französische Literaturwissenschaftler Alain Borer
verfasste den Text
zu diesem Band. (Schirmer/Mosel)
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Arnulf Krause: "Die Welt der Kelten.
Geschichte und Mythos eines rätselhaften Volkes"
Sie gelten als antikes Kernvolk Europas, sie siedelten von Spanien bis
Anatolien
und von Italien bis Irland:
die Kelten. Die keltische Kultur und ihre
Mythen faszinieren noch heute, sensationelle Funde fördern immer neue
Überraschungen zutage. (Campus)
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