Stefano Benni: "Der schnellfüßige Achilles"
Stefano Benni ist in Italien ein
Erfolgsautor mit stetig wachsender Lesergemeinde. Dort erreichen seine oft
satirisch angehauchten Bücher Millionenauflagen. In Deutschland steht der Verlag
Klaus Wagenbach seit vielen Jahren dafür, Bennis Werke in guten Übersetzungen
dem deutschsprachigen Publikum nahe zu bringen.
Nachdem Benni mit seinem
vorletzten Roman "Der Zeitenspringer" für seine Lesergemeinde unerwartet einen
regelrechten Bildungsroman ablieferte, mischen sich in "Der schnellfüßige
Achilles" seine bisherigen Stilrichtungen zu einem Werk, das den Leser auf
vielen Erfahrungsschichten anzusprechen vermag.
Das Buch hat vor allem durch
die zahlreichen Anspielungen und Detailinformationen aus der Verlagswelt und aus
der Arbeit eines Lektors einen hohen Unterhaltungswert und reicht dennoch
gleichermaßen in Tiefen der Seelenwelt des Lesers hinein, die ihn nach der
Lektüre nicht unberührt zurücklassen.
"Der schnellfüßige Achilles"
schildert die Begegnung und die schließliche Freundschaft zweier ungewöhnlicher
Männer. Der eine heißt Ulysses und arbeitet in einem ständig am Rande des Ruins
stehenden Verlag. Sein Verleger träumt fortwährend von einem großen Wurf, der
ihn auf Dauer sanieren könnte. Ulysses liest Manuskripte, Tag und Nacht, und ihm
schwirrt von diesen nicht selten wirklich skurrilen Texten so der Kopf, dass die
Autoren der beim Verlag eingereichten Manuskripte durch seine Aktentasche mit
ihm sprechen. Sie tun es immer dann, wenn er im Büro oder im Bus vor Müdigkeit
und Leseerschöpfung einschläft, aber manches Mal reden sie auch in seinen
Wachträumen
mit ihm. Wie hier die Autoren unentdeckter Bücher miteinander wetteifern, ist
höchster Lesegenuss.
Ulysses nennt diese Texte übrigens konsequent
"Skriptmanuse", weil sie alle längst nicht mehr mit der Hand geschrieben
werden.
Ulysses veröffentlichte vor Jahren selbst ein Buch, in dem er mehr
oder weniger verschlüsselt seine Liebe zu einer lateinamerikanischen Frau
schildert, "Das Mädchen vom Meer", die in Wirklichkeit Pilar Maria heißt und mit
der er immer noch zusammen ist.
Eines Tages findet Ulysses unter seinen
Skripten einen Brief von einem Mann namens Achilles, der ihn um ein Treffen
bittet. Er tut dies auf eine Weise, die Ulysses sofort gefangen nimmt. Als es
nach einem Anruf bei Achilles' Mutter, Marina Pelagi, die zunächst so ablehnend
reagiert, wie Achilles es in seinem Brief vorhergesehen hatte, endlich zu einem
Treffen der beiden in Achilles' Wohnung kommt, ist Ulysses sowohl geschockt über
das wirklich monströse Aussehen des in einem Rollstuhl sitzenden, an einer
seltenen Krankheit, dem De-Curtis-Syndrom leidenden Achilles, als auch
fasziniert von dessen offener und teilweise obszöner Sprache:
"Bevor Sie
hierher gekommen sind, habe ich onaniert, ohne jede Fantasie, um Spannung
abzubauen. Das tue ich oft."
Achilles hat Ulysses' Buch gelesen und ist
fast wahnhaft interessiert an Pilar, will alles über sie wissen, auch die
intimsten Details. Und er erzählt Ulysses von seiner Krankheit, den Erfahrungen
und Einsichten, die er durch sie gemacht hat:
"Weißt du, was ich über den
Eingang zu einer Klinik oder eines Krankenhauses oder einer Arztpraxis schreiben
würde? 'Nur der Schmerz lehrt, was das Leben ohne Schmerz ist.' Ich finde die
Menge an Energie erstaunlich, die die Menschen aufwenden, um kleinen,
vorübergehenden Malaisen zu begegnen. Und die Leichtigkeit, mit der alle die
Augen vor den großen, unbeherrschbaren Schmerzen verschließen. Ich verurteile
das nicht. Eher verwundere ich mich wohl. Als würdet ihr auf einem flammenden
Meer des Kummers wandeln, über kleine, schwankende Brücken, und euch darum
sorgen, wer als erster geht, wer euch überholt, wer euch nicht mit der
gebührenden Hochachtung oder Hierarchie grüßt. Sicher, würdet ihr immer nur den
Abgrund zu euren Füßen betrachten, würdet ihr keinen Schritt mehr machen. Aber
werdet euch doch wenigstens darüber klar, wo ihr seid, seid Seeleute. Seid euch
im klaren über eure provisorische, eure bedrohte Freiheit, die für jemanden wie
mich Glück bedeuten würde. Aber vielleicht wäre ich, wenn ich gesund werden
könnte, nach einem Monat genau wie ihr. Ich würde einem von hundert Almosen
geben. Ich würde das Blut der Welt mit meiner Kreditkarte trocknen. Oder ich
würde aus ernsten Gründen leiden wie Phoebus. Einmal hatte man ihm das Auto
zerkratzt, und das war, als hätte man ihm eine Niere weggenommen."
Bald
nach seinem ersten Besuch erhält Ulysses eine E-Mail mit dem Anfang eines
Romans, an dem der Gelähmte nun arbeitet. Das Buch handelt vom Chefarzt einer
exklusiven Privatklinik, Professor Lello Pistori, der mit Pilar de Paloreal,
einer reichen, wunderschönen Erbin aus Lateinamerika verheiratet ist, es aber
auch ordentlich mit seiner Sekretärin Briseis treibt. Unter seinen Patienten ist
auch der erfolgreiche Formel-1-Pilot Jean Achilles, der seit einem Unfall in
Monte Carlo nur noch Kopf und Hände bewegen kann. Einzig seine Augen lassen
erkennen, warum die Frauen ihn als Sex-Symbol vergötterten. Eines Tages kommt
Pilar zu ihm ins Krankenzimmer und beginnt mit einer ganz besonderen Therapie
...
Ulysses ist hin- und hergerissen, und es entsteht mit jedem weiteren
Besuch eine immer tiefere Freundschaft zwischen den beiden, die auch Phoebus,
der eifersüchtige Bruder von Achilles, nicht zerstören kann.
Weitere E-Mails
mit Fortsetzungen des Romans folgen, während Ulysses' Verleger diesen dazu
drängt, ein weiteres Buch zu schreiben.
Bald wird deutlich, was Achilles
mit seinem ersten Brief an Ulysses bezweckte: Er will, dass sein Buch über ihn
und Pilar, dass seine sexuellen Fantasien und Obsessionen veröffentlicht und
damit verewigt werden.
Achilles stirbt, und Ulysses' Verleger ist von
dessen Manuskript, das er für Ulysses' hält, so begeistert, dass er schon den
Verlag saniert wähnt. Und Ulysses denkt an seinen Freund:
"Ich weiß nicht,
was ich dir sagen soll, Achilles. Ja, das Buch gehört mir, und ich werde dich
vergessen. Und eines Tages wirst du in meine Erinnerung zurückkehren. Und daraus
werden andere Bücher."
(Winfried Stanzick; 04/2006)
Stefano Benni: "Der schnellfüßige
Achilles"
Aus dem Italienischen von Moshe Kahn.
Verlag Klaus
Wagenbach, 2006. 272 Seiten.
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Stefano Benni wurde 1947 in Bologna
geboren. 1981 publizierte er seinen ersten Lyrikband, erlebte jedoch den
literarischen Durchbruch erst zwei Jahre später mit seinem Science-Fiction-Roman
"Terra". Seither zählt Benni zu den erfolgreichsten und bekanntesten Autoren
Italiens, wo bislang von seinen Büchern - Romane, Erzählungen und Gedichte -
mehr als 2,5 Millionen Exemplare verkauft wurden. Seit 1992 hat er zudem
zahlreiche Theaterstücke verfasst, von denen die meisten am Teatro
dell'Archivolto in Genua uraufgeführt wurden. 1989 führte er Regie bei dem Film
"Musica per vecchi animali". Benni schreibt regelmäßig Kolumnen für "Panorama"
und die Tageszeitung "Il Manifesto".
Weitere Bücher des Autors
(Auswahl):
"Baol. Die magischen Abenteuer einer fieberhaften
Samstagnacht"
Eine bitterböse Satire auf die Medien- und
Konsumgesellschaft.
Eine ruhige Nacht im Regime. Alle Kriege sind weit
entfernt. Es gab nur sieben Morde. Die Luftverschmutzung liegt unterhalb der
Grenzwerte. Schwefeldioxid gibt es für alle. Glück nicht. Jeder nimmt es dem
Anderen weg. Auch dem Zauberer Baol ist das Glück in Form von Alice abhanden
gekommen. Früher ein großer
Magier, ersäuft er jetzt seine Fähigkeiten mit
Hochprozentigem in der Bar Apocalypso, wo Parteibönzchen mit ihren Miezen vom
Typ Tigerchen-ohkraulemich
Champagner trinken.
Da passieren unheimliche
Dinge: Die Militärpolizei wird von Rebellen unterwandert, ein Komponist der
geschönten Wirklichkeit zweigeteilt. Um dem verfemten Grapatax zu helfen und die
primäre Realität aufzudecken, spielt Baol noch einmal den großen Helden. (Verlag
Klaus Wagenbach)
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"Der Zeitenspringer"
Ein
poetischer Roman über Liebe,
Freundschaft und das Erlernen von
Verantwortung.
Der große Autor aus Italien blickt in diesem Buch zurück auf
die Kindheit und Jugend und entwirft das Bild einer Generation, die in den
1960er und siebziger Jahren aufwächst und sich eine - ganz andere - Zukunft
vorstellt.
Die Geschichte einer glücklichen Kindheit auf dem Land, zwischen
Weinbergen und Wäldern, und einer aufwühlenden Jugend in der Stadt.
Der Junge
Saltatempo, der "Zeitenspringer", besucht in der Stadt das Gymnasium, wo er sich
verliebt und die Launen der schönen Klassenkameradinnen kennen lernt. Im Dorf
geschieht indes ein Unglück: Ein Bergrutsch, die Folge einer ungenehmigten
Abholzung, kostet seinem Vater das Leben. Saltatempo hegt zuerst wilde
Rachegedanken gegenüber den Verantwortlichen, die ihre Schuld leugnen. Weil er
aber politisch und emotional reift, stellt er die Vergeltung vorerst zurück und
erobert inzwischen die schöne, von allen umschwärmte Selene. Die Liebe siegt
über die Wut. Diesmal.
Mit ungewöhnlichen Bildern erzählt Benni diese éducation sentimentale et politique einfühlsam und mitreißend. (Verlag
Klaus Wagenbach)
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"Die Bar auf dem Meeresgrund.
Unterwassergeschichten"
In einer Bar auf dem Meeresgrund treffen sich
Geschichtenerzähler aus der ganzen Welt und spinnen ihr abenteuerliches
Seemannsgarn.
Männer mit Hut, Blondinen, der Matrose, der Teppichhändler, der
Zwerg, der Koch, die Nixe, der Barmann, das kleine Mädchen, der unsichtbare
Mann, der schwarze Hund, der Floh des schwarzen Hundes: Sie alle - und auch noch
viele andere illustre Bargäste - erzählen glaubhafte und unglaubliche
Geschichten. In ihrer mittelmeerischen Fabulierlust und durch ihre konkreten
literarischen Bezüge bieten sie ein doppeltes Lesevergnügen. (Verlag Klaus
Wagenbach)
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"Geister"
Ein höchst
fantasievoller Roman über unsere Zukunft, die Zauberin Melinda, eingefrorene
Geister und einen videobesessenen Präsidenten.
Kinder werden mit
Hubschraubern zur Schule gebracht, die Kommunikation findet über Kopfhörer und
Satelliten statt, die Weltkugel rast um sich selbst. "Per Anhalter durch die
Galaxis" war der reinste Sonntagsspaziergang gegen diese unaufhaltsame
Höllenfahrt.
Präsident Morton Max bereitet auf der Insel, über die er
herrscht, ein Megakonzert vor: Zum zehnjährigen Jahrestag des "gerechten
virtuellen Krieges". Aber ein Vulkanausbruch und der Aufstand der Geister
vermasseln das Großereignis. Und von ferne grüßen die armen Teufel aus Dantes Höllenkreisen. Die wahre Macht ist unsichtbar, und die Welt geht anders unter,
als man denkt. Gott sei dank! (Verlag Klaus Wagenbach)
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"Komische erschrockene
Krieger"
Eine Satire auf das Großstadtleben im neuen Jahrtausend,
geschrieben von einem Autor mit Kultstatus.
Luzius Lurch wird siebzig. Er
wohnt mit seinem sprechenden Kanarienvogel auf Berg drei einer nicht näher
genannten Stadt und rast im Metallkorb vierzig Höhenmeter auf und nieder.
Auf
Berg vier wohnt Luzi Liebell mit ihrer Mutter. Libero Lee, der Drache, war
früher in Luzi verliebt. Wie sein Freund Leo. Aber Leo wird einundzwanzigjährig
mit einem Jagdgewehr erschossen. Die Polizei und der Journalist
Carlo
Chamäleon ermitteln.
Berg drei versinkt daraufhin in Urschweigen. Der
Roman endet in einer klaren Nacht mit besonders dichtem Raumschiffverkehr.
(Verlag Klaus Wagenbach)
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"Terra!"
Der Kultroman
"Terra!" ist Krimi und Märchen, Fabel und Comic, Abenteuer und
Science-Fiction-Roman, Fantastik und politische Satire in einem.
Im Jahr 2157
ist nach sechs Atomkriegen eine neue Eiszeit über unseren Planeten
hereingebrochen. Da gelangt eine mysteriöse Botschaft in die Kommandozentrale
der sineuropäischen Föderation. Ein neuer Planet wurde entdeckt, der der alten
Erde gleicht: mit Wasser, Sonnenlicht und echten Pflanzen und Tieren.
So
brechen drei Raumschiffe auf, um den traumhaften Planeten "Erde 2" zu
finden.
Mit Hilfe des alten chinesischen Weisen Fang und des zwölfjährigen
Computergenies Frank werden sie feststellen, dass der Schlüssel des Geheimnisses
von "Erde 2" nicht in der Zukunft liegt, sondern in der Vergangenheit. (Verlag
Klaus Wagenbach)
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