Gottfried Benn: "Aprèslude"
(Hörbuchrezension)
Das spröde Ich
"Ein
ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt" - wer kennt sie nicht, die
Anfangszeile aus Benns berühmtem Gedicht "Die Aster". Zum 50. Todestag Gottfried
Benns (1886-1956) gibt es nun die vorliegende CD mit einer Gedichtauswahl
gesprochen von Christian Brückner und musikalischer Begleitung des
Jazz-Quartetts "Yakou Tribe". Manch einer ist Benn immer noch gram wegen dessen
vorübergehender Verirrungen in die Verlockungen der
Deutschlanderneuerungspolitik der Nationalsozialisten - allerdings distanzierte
er sich ab 1936 wieder vehement, denn seine Gedichte wurden mittlerweile als
"widernatürliche Schweinerei" von NS-Gazetten attackiert.
Benn ist im
Kern ein Expressionist, er provoziert mit der Darstellung der Banalität der
menschlichen Existenz und ihres körperlichen Verfalls. Mit seinen beiden
Gedichtbänden "Morgue" (1912) und "Statische Gedichte" (1948) etabliert sich der
frühe und späte Ruhm Benns. Aus seinem berühmten Aufsatz "Probleme der Lyrik"
kennen wir das Diktum: "Aber die Form ist ja das Gedicht." - über Inhalte
verfüge ja jeder Mensch, "aber Lyrik wird daraus nur, wenn es in eine Form
gerät, die diesen Inhalt autochthon macht." Und wo Benn recht hat, hat er eben
recht.
Leider fehlt auf der vorliegenden CD ein ganz wesentlicher Text
aus Benns poetischem Testament - nämlich: "Nur zwei Dinge" - wo wir die
berühmten beiden letzten Zeilen vernehmen: "es gibt nur zwei Dinge: die Leere /
und das gezeichnete Ich." Darüberhinaus lässt sich schwer argumentieren! Dennoch
sei diese CD empfohlen: die Stimme Christian Brückners artikuliert wirksam den
spröden Charme der Verse - und der konservative Intellektuelle wird die
Jazzbegleitung von "Yakou Tribe" zu goutieren wissen.
(KS; 04/2006)
Gottfried Benn: "Aprèslude"
parlando verlag, 2006. 1 CD, Laufzeit ca. 75 Minuten.
Sprecher: Christian Brückner. Musik: Yakou Tribe.
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Weitere Buchtipps:
Gottfried
Benn: "Das Jahrhundertwerk. Sämtliche Gedichte / Künstlerische Prosa"
Mit
diesen beiden sorgfältig gestalteten und edierten Büchern gewinnt man einen
fundierten Einblick in eines der größten schriftstellerischen Werke des 20.
Jahrhunderts.
Im Gedichtband sind alle Gedichte, die Benn je schrieb,
enthalten, ob zu Lebzeiten veröffentlicht oder nicht. Überdies die mittlerweile
berühmten "Poetischen Fragmente" und Gedichte aus dem Nachlass.
Der
Prosaband: Benn hat - das ist im Nachwort von Holger Hof zum "Prosa"-Band
nachzulesen - selbst mehrfach versucht, seine Prosa in "novellistische" und
"essayistische" zu gruppieren; "Essay" und "reine" oder "dichterische Prosa"
sind andere Unterscheidungen Benns. Die fulminanten Texte der Jahre bis zum
Ersten
Weltkrieg sind hier vertreten, die "Rönne-Novellen" des jungen Arztes und
"Weinhaus Wolf" aus der Phase der inneren Emigration. Weiterhin: Der "Roman des
Phänotyp", "Der Ptolemäer", "Doppelleben" und die Szenen, die von Benn nicht für
das Theater geschrieben wurden.
Noch heute ist es ein geistiges Abenteuer
ersten Ranges, Benns Prosa zu lesen, die ihren expressionistischen Gestus weit
übersteigt. "Vor Ihrer Prosa", schrieb Ernst Robert Curtius nach dem Weltkrieg
an Benn, "verblasst alles, was in den letzten 30 Jahren berühmt war."
(Klett-Cotta)
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Gottfried Benn: "Einsamer nie.
Gedichte und Prosa"
Gottfried Benns lyrisches Werk gehört zum
Sprachgewaltigsten, was die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts
hervorgebracht hat. Die Auswahl dieser CDs setzt nicht einseitig auf Bekanntes,
sondern lädt zu neuen Entdeckungen ein. Der melancholische Klang von Gottfried
Benns Stimme und die leise Musikalität seines Vortrags verleihen den Texten eine
ganz eigene Intensität. Und das ist wohl das Schönste an dieser Lesung: Nach dem
Hören liest man die Gedichte neu. Das vermeintlich Bekannte erscheint wie eine
andere Welt.
Inhalt: 35 Gedichte aus den Lyriksammlungen "Statische
Gedichte", "Destillationen. Neue Gedichte", "Ausgewählte Gedichte" und anderen,
"Urgesicht" (Essay), "Der Ptolemäer" (Ausschnitt aus der Erzählung), "Soll die
Dichtung das Leben bessern?" (Rundfunkvortrag). (Der Hörverlag)
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Helmut Lethen: "Der Sound der Väter.
Gottfried Benn und seine Zeit"
"Ich bin kein Menschenfeind. Aber wenn Sie
mich besuchen wollen, bitte kommen Sie pünktlich und bleiben Sie nicht zu
lange." Zeit seines Lebens hat Gottfried Benn sich als unnahbar dargestellt.
Seine "Morgue"-Gedichte machten ihn zum Senkrechtstarter des Expressionismus.
Während des Ersten Weltkriegs entwickelte er in der verachteten Etappe einen
schulbildenden Stil. Später bekannte sich der Modernist, der politisches
Engagement in der Literatur als unkünstlerisch ablehnte, für kurze Zeit zum
Staate Hitlers. Nach 1947 schließlich wurde er zum Übervater der
Nachkriegsliteratur.
Der große Einsame, der, den Zeitläuften entrückt, allein
der Dichtung lebt - das ist Benn bis heute für seine Verehrer wie für seine
Kritiker geblieben. "Der Sound der Väter" rückt dieses einseitige Bild zurecht.
So schmal Benns Werk ist, so vielfältig sind die Bezüge, in denen es steht.
Helmut Lethen macht sie sichtbar. Er schildert u.a. das Verhältnis zu Carl
Einstein, Paul Hindemith und
Ernst Jünger, Benns Beschäftigung mit der Politik,
Literatur und Wissenschaft seiner Zeit, seine Auseinandersetzung mit
Carl
Schmitt und
Alfred
Döblin. Dabei wird eine Welt lebendig, die ebenso faszinierend wie
befremdlich wirkt - und einen Schlüssel für die Geistesgeschichte des 20.
Jahrhunderts liefert. (Rowohlt Berlin)
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Gunnar Decker: "Gottfried Benn.
Genie und Barbar"
Gottfried Benns Leben und seine Kunst sind bis heute
eine einzige Provokation. Voller Bewunderung für das epochale Werk und mit
analytischer Bravour zeichnet Gunnar Decker ein mitreißendes Porträt dieser so
widersprüchlichen Gestalt.
Gottfried Benn: Pastorensohn, Arzt, Verführer,
Meister der Ambivalenz, Dichter der Moderne. 1912, der erste Paukenschlag: Der
angehende Pathologe und Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten veröffentlicht
seine expressionistische Gedichtsammlung "Morgue", zeichnet die Welt als
"Krebsbaracke" und versetzt der Zivilisation einen Stoß. 1933/34 dann der große
Sündenfall: Der Dichter der Moderne dient sich den Nazis an und verhöhnt die
Emigranten. Und die simpel-schwierige Frage steht im Raum: Warum versagt der
Dichter als Mensch, warum geht er politisch in die Irre? Nach 1948 trifft ihn
der späte Ruhm, den er grimmig zur Kenntnis nimmt. Inmitten der pläsierlichen
Poesie und Prosa der Adenauer-Jahre gibt Benn seiner Zeit Widerworte -
treffsicher, brillant, scharf, illusionslos.
Souverän und pointenreich
verbindet Gunnar Decker Benns Denken und Schreiben, sein privates wie
öffentliches Leben und die Zeithintergründe zu einem Gesamtbild, das die
Radikalität und Provokation nicht einfach behauptet, sondern klug auslotet.
(Aufbau Verlag)
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Joachim Dyck: "Der
Zeitzeuge"
Zwischen Gottfried Benns erstem internationalen Ruhm 1929 und
seiner fulminanten Rückkehr 1949 liegen zwanzig Jahre, die das Ende der
Weimarer
Republik, die Jahre des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs und
schließlich die frühe Nachkriegszeit umfassen. Die Position des Autors zwischen
Literatur, Politik und Zeitgeschichte in diesen Jahren zu bestimmen, hat immer
wieder Anlass zu heftigen Kontroversen gegeben. Joachim Dyck hat diesen
biografisch und künstlerisch zentralen Zeitraum vor dem Hintergrund breiter
Quellenkenntnis umfassend dargestellt. Die wirtschaftlichen Bedingungen, unter
denen Gottfried Benn seinen Beruf als Arzt ausübte werden ebenso einbezogen wie
die literarischen Debatten und intellektuellen Orientierungsversuche in einer
Zeit der intellektuellen Krisen und politischen Umbrüche. Auch Benns
persönliches Umfeld, seine Liebesbeziehungen und Freundschaften, werden nicht
ausgespart. So entsteht ein überraschendes und facettenreiches Bild, das
Gottfried Benn nicht mehr bloß als isolierten "Phänotyp" zeigt, sondern erstmals
auch das Paradigmatische in Leben und Werk dieses Zeitzeugen erfasst. (Wallstein
Verlag)
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Agis Sideras: "Paul Celan und
Gottfried Benn. Zwei Poetologien nach 1945"
Paul Celan und Gottfried Benn
gehören zu den angesehensten Lyrikern des 20. Jahrhunderts. Sie haben neben
ihren lyrischen Werken eingehende poetologische Überlegungen angestellt, die
sich in einer Anzahl von Texten niederschlagen. Trotz einer Unmenge von
Veröffentlichungen ist die Germanistik bisher nicht fähig gewesen, die
Grundlagen von Celans poetologischem Denken zu erkennen. Die allermeisten
Interpreten sind an dem komplizierten Text "Der Meridian" gescheitert, der das
wichtigste Dokument von Celans Poetologie ist. Die Arbeit von Agis Sideras legt
endlich das Fundament von Celans dichtungstheoretischem Denken frei und bringt
damit die Beschäftigung mit Celans Werk auf eine neue Stufe. Sie weist außerdem
nach, dass Celan Gottfried Benn als seinen wichtigsten dichterischen
Kontrahenten betrachtet hat. Die gegensätzliche Ausrichtung der beiden
Poetologien wird eingehend untersucht, und auch das Wesen von Benns
Dichtungstheorie wird in nie zuvor erreichter Klarheit dargestellt. (Verlag
Königshausen & Neumann)
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