Anouar Benmalek: "Fremde Sterne"
Für Truganini, gestorben am 8.Mai 1876, letzte Vertreterin der Aborigines Tasmaniens, eines Volkes, das durch den perfekten Genozid vom Antlitz der Erde getilgt wurde - ohne Erinnerung an die Opfer, ohne Anklage der Mörder.
Der Roman beginnt und endet im Jahre 1918 in Queensland, im Nordosten Australiens. Kader nimmt voller Wehmut Abschied von seiner sterbenden Frau Lislei und während er in Lisleis letzten Stunden nicht von ihrer Seite weicht, lässt er ihr aufregendes Leben Revue passieren.
1870 wurde die Elsässerin Lislei während des Kommuneaufstandes in Paris verhaftet. Kader, ein Araber, nimmt an den Kämpfen der Saharastämme gegen die französischen Kolonialisten in Algerien teil und wird gefangengenommen. Beide werden in Straflager nach Neu-Kaledonien deportiert.
Kader, der in einem behüteten Elternhaus in Algerien aufgewachsen und zum ersten Mal richtig verliebt ist, soll in den Kampf gegen die französischen Besetzer ziehen. Gemeinsam mit seinem Cousin Hassan rüstet er sich für den Einsatz, in dem Bewusstsein, dass er seine Heimat und die geliebte Frau nie mehr sehen wird. Er verabschiedet sich von Nour, seiner großen Liebe und sagt nichts, weil er sonst vor Zorn platzen würde oder vor Verzweiflung stöhnen. Auch seine Geliebte sagt nichts, den beiden ist bewusst, dass Kader wahrscheinlich nie zurückkommen wird. Voller Verzweiflung und Wut erkennen sie, dass ihre Liebe nie gelebt werden wird.
Auch Lislei hat bittere Zeiten erlebt, ihre Eltern sind verstorben und auch ihr Bruder, mit dem sie innig verbunden war, ist tot. Lislei befindet sich mit ihrer Nichte Camille auf der Flucht und Suche nach Nahrung als sie verhaftet wird, das kleine Mädchen bleibt zurück, und Lislei wird nie erfahren, was mit ihrer Nichte passiert ist.
Beiden gelingt die Flucht aus den Straflagern Kaledoniens, Kader verfügt über Geld und Lislei muss ihren Körper verkaufen, um den Kapitän eines Schiffes zu überzeugen, beide nach Australien mitzunehmen. Auf dem Schiff befinden sich eine Reihe von brutalen und zwielichtigen Gestalten, und Kader und Lislei schweben permanent in Gefahr. Doch so richtig gefährlich wird es erst als sie Tridarir, einen kleinen dunkelhäutigen Jungen, den letzten Überlebenden der Aborigines Tasmaniens kennenlernen. Seine Eltern wurden auf bestialische Weise getötet und wie Tiere eingesalzen, um haltbar für einen eventuellen Verkauf zu bleiben. Der Junge wurde misshandelt und gefangengenommen, um ihn später an den Bestbieter zu verkaufen. Der Leser erfährt die brutale Geschichte der Ausrottung der Aborigines in Tasmanien. Der Kapitän des Schiffes, sein Bruder und einige Handlanger waren an diesen Säuberungsaktionen beteiligt. In Tasmanien, erzählen sie stolz, wären alle bis auf Truganini und noch einige alte Frauen ausgerottet worden.
Als Lislei und Kader für den Jungen Partei ergreifen, eskaliert die Situation, doch als die Seemänner bis auf den Kapitän das Schiff verlassen, gelingt es den beiden den Kapitän zu überwältigen und zu zwingen ohne die Matrosen nach Australien weiter zu segeln. Dort verlassen sie das Schiff, welches samt dem Kapitän untergeht. Doch ihre Odyssee ist noch lange nicht beendet. Gemeinsam mit dem Jungen reisen sie durch Australien, vorerst alleine und später mit einer Reihe von Goldsuchern, doch überall sind sie in erster Linie wegen des Jungen angefeindet. Der Hass der Weißen auf die Aborigines ist permanent präsent. Mehr als einmal können die drei nur knapp dem Tod entgehen. Als eines Tages Pferde der Karawane gestohlen werden, machen sich die Männer auf die Suche nach den Dieben. Sie werden auch bald fündig, da Aborigines aus Hunger die Pferde gestohlen haben und gerade eines verzehren, als die Männer auf sie treffen, sie werden brutal niedergemetzelt und die kleinen Mädchen, die in ihrer Obhut waren, von den Männern brutal vergewaltigt.
Lislei erfährt diese Geschichte vom Karawanenführer, der sich an der brutalen Vergewaltigungsaktion nicht beteiligt hatte. Dieser Vorfall veranlasst Aborigines das Lager der Weißen aufzusuchen und die Vergewaltiger ihrer Kinder zu töten. Kader und Lislei kommen ebenfalls in Verdacht, doch Tridarir rettet ihnen das Leben, indem er sie verteidigt.
Die Aborigines nehmen den Jungen mit. Lislei und Kader, die nun eigentlich erleichtert sein müssten, vermissen Tridarir und beginnen ihn zu suchen. Auch Trid, wie er von seinen Zieheltern genannt wird, vermisst die beiden, die ihn gerettet und gut behandelt haben und gibt den Aborigines zu verstehen, dass er wieder zurück möchte. So wird er eines Tages zu den beiden zurückgebracht und soll fortan sein Leben mit Lislei und Kader verbringen.
Die Liebe und das Verantwortungsgefühl gegenüber Tridarir, der bis an sein Lebensende versuchen wird, die mythischen Traumpfade seiner Ahnen zu finden, bringt Lislei und Kader zusammen. Die innige Liebe, die diese drei so unterschiedlichen Personen füreinander empfinden und ihr jahrelanger Kampf um das nackte Überleben üben eine große Faszination auf den Leser aus. Trotz aller Schwierigkeiten und Anfeindungen, die bis zum Tod Lisleis kein Ende genommen haben, bleibt diese Liebe zwischen einem Moslem, einer Christin und einem Ureinwohner unerschütterlich. Konträr dazu lernen wir den tiefen Hass und die Verachtung der weißen Einwohner Tasmaniens und auch Australiens gegenüber den Ureinwohnern kennen. Die Aborigines werden Tieren gleichgesetzt und oft schlechter als diese behandelt, jedes Recht auf ein menschenwürdiges Leben wird ihnen abgesprochen. Der Leser fragt sich immer wieder woher diese Haltung kommen mag, verspürt ob dieser Einstellung Angst und Zorn, möchte Partei ergreifen und sich schützend vor den Jungen und seine Begleiter stellen. Nur diese unerschütterliche Liebe und Fürsorge sind es, die allen Anfeindungen stand halten, versöhnen und hoffen lassen, dass es doch einmal gelingen könnte friedlich auf dieser Erde beisammen zu leben, andere Kulturen, Religionsbekenntnisse und Eigenheiten der Menschen zu akzeptieren, ja diese sogar als Bereicherung anzuerkennen.
Mit diesem Abenteuer- und Liebesroman gelingt es dem Autor seine Leser und Leserinnen in eine ferne Zivilisation zu entführen, die geprägt ist von Ursprungsmythen und faszinierenden Träumen.
Anouar Benmalek wurde 1956 in Casablanca geboren und besitzt die algerische und französische Staatsbürgerschaft. Er ist Privatdozent für Mathematik in Rennes, Journalist, überzeugter Demokrat, Mitbegründer des Algerischen Komitees gegen die Folter und einer der bedeutendsten Schriftsteller des heutigen Algerien.
Es ist zwar der Krieg, der die Träume stiehlt, doch in Anbetracht dieser Liebe ist man versucht zu glauben, dass manche Träume doch wahr werden können.
(Margarete; 05/2002)
Anouar Benmalek: "Fremde Sterne"
Roman.
Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer.
Gebundene Ausgabe; Luchterhand,
2002. 318 Seiten.
ISBN 3-630-87118-6.
ca. EUR 20,50.
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