Bodo Mrozek: "Lexikon der bedrohten Wörter"
Wenn die Duttengretel am Ende des
Mangeltags mit dem Hagestolz Muckefuck schlürft ...
... wäre das zu
Zeiten der Brüder Grimm vermutlich unschicklich gewesen, auch wenn damals
niemand vermutet hätte, dass die Kavaliere einmal aussterben
würden.
Sprache lebt und verändert sich. Sie passt sich der Zeit an, und ihre
Evolution lässt sich nicht aufhalten. In den letzten acht Jahren fanden 8.000
neue Wörter ihren Platz im
Duden; wie viele
Wörter als veraltet eingestuft oder ganz entfernt wurden, ist nicht bekannt,
aber die Dunkelziffer dürfte hoch sein. In der Biologie gibt es Rote Listen,
doch bedrohte Wörter haben, wie der Autor im Vor-Wort richtig anmerkt, keine
Lobby.
Mit viel (Wort-) Witz und noch mehr Melancholie hat Bodo Mrozek ein
Lexikon aussterbender Wörter zusammengestellt, die zu kennen sich lohnt, auch
wenn sie in der Umgangssprache nicht mehr oder nur noch selten anzutreffen sind.
Einige von ihnen kennzeichnen kurze Epochen, das in einer Generation verbreitete
Lebensgefühl: Wer kannte in den 80ern nicht den Popper mit
Seitenscheitel, sorgfältig gegeltem Haar, Lederkrawatte und Golf Cabrio? Bei den
heutigen "Kids" erweckt der Begriff "Popper" ganz andere Assoziationen
...
Ein bis zwei Teenagergenerationen früher (jene, die auf die
Bezeichnungen "Backfisch" oder "Halbstarker" bereits allergisch
reagierte) gab es Blumenkinder, die aber noch wenig mit der
Betroffenheitskultur und deren Hauptkommunikationsmittel, dem
Flugi, zu tun hatten.
Als sehr kurzlebig erwies sich der Begriff
Jahrhundertflut, denn das Oder-Hochwasser im Jahr 2002 wirkte angesichts
des Tsunami 2004 doch recht provinziell, und die Sandsackgeneration blieb
eine Eintagsfliege.
Mrozek erklärt aber auch ältere Wörter, die heute fast
nur noch Bildungsbürger kennen - den Blaustrumpf, ein
Emanzipationsopfer sozusagen, den Hahnrei, den Quacksalber, den
Pappenstiel und viele andere, die seltsam vertraut anmuten - wir haben ja
in der Schule brav unsere Klassiker gelesen - und doch auch wieder sehr fremd.
Dabei könnten sie interessante Geschichten erzählen, denn wer weiß schon, dass
der Stegreif, aus dem heraus man etwas tat, ursprünglich ein Steigbügel
war und man sich somit bei der einfach zu bewältigenden Aufgabe gar nicht aus
dem Sattel bequemen musste.
Nicht zu vergessen sind Wörter, die sich
seinerzeit
in der DDR entwickelten, und die mittlerweile obsolet sind: der
Broiler steht längst unter Artenschutz, das Alexverbot gibt es
nicht mehr; Ketwurst und Grilletta wurden ebenfalls umgetauft. Da
bleibt die Hoffnung, dass Wessis und Neufünfländer in absehbarer
Zeit mehr als nur die Sprache verbindet!
Ein sympathischeres Requiem
könnte man den mittlerweile diskret verschiedenen Wörtern nicht darbringen, und
vielleicht erbarmt sich der Leser des einen oder anderen aussterbenden Wortes
und rettet es vor dem Andrang erbarmungsloser Anglizismen, die vermutlich
ohnehin bald ein ähnliches Schicksal ereilen würde? Gelegentlich kam es bereits
zu Reanimationen, wie beim "Luder" (dank der Boulevardpresse), das
allerdings eine erhebliche Bedeutungswandlung erfuhr.
Das "Lexikon der
bedrohten Wörter" ist nicht nur eine Fundgrube
für Freunde der
deutschen Sprache; es macht zudem nachdenklich: Lohnt es sich wirklich, ein
ausdrucksvolles Wort für einen modischen, kurzlebigen Anglizismus zu opfern? Und
andererseits: Was vor nicht allzu langer Zeit "supi" war, ist derzeit
krass, fett oder auch phat; es ist sicherlich interessant, amüsiert abzuwarten,
was als Nächstes folgt. Denn natürlich enthält das Lexikon auch ein Stück
Sprachgeschichte, und jede Form von Geschichte ist letztlich offen.
Anspruch
auf Vollständigkeit erhebt das Werk nicht; der Leser ist aufgerufen, weitere
gefährdete Wörter auf einer zugehörigen Website zu melden. Vor allem jedoch
macht dieses Buch sensibel für die oftmals überraschenden Veränderungen unseres
Wortschatzes, und ganz abgesehen davon liest es sich sehr kurzweilig und bietet
reichlich originelle Unterhaltung.
(Regina Károlyi; 12/2005)
Bodo Mrozek: "Lexikon der bedrohten
Wörter"
rororo Rowohlt, 2005. 219 Seiten.
ISBN 3-499-62077-4.
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