James und Elizabeth Knowlson (Hrsg.): "Beckett Erinnerung"
Subtrahieren bis zum
Kern
Dass man seinen Mund nicht aufmachen könne, ohne dass etwas
Falsches dabei herauskomme - so Beckett, der heuer 100 geworden wäre. Er liebte
- ganz im Gegensatz
zum gerne auswuchernden Joyce, dessen Werke er anfangs noch
übersetzte - die Reduktion und strich und änderte gerne. Auch wenn er selbst
inszenierte, nahm er ganze Sätze oder Seiten aus der Druckvorlage, änderte den
Rhythmus, probierte neue Wörter mit den Schauspielern. Während Joyce gerne
addierte, unternahm es Beckett prinzipiell zu subtrahieren, bis er auf den Kern
dessen gestoßen war, was er eigentlich aussagen wollte. Diese literarische
Verknappung und die damit verbundene Suche nach dem Archetypischen führte zu
einer reduzierten Sprache, zu Pausen, zum Schweigen - zum Nichts. Nichts war für
Beckett realer als das Nichts.
James Knowlson ist ausgewiesener
Beckett-Experte, hatte z.B. 1971 an der Universität Reading das Beckett-Archiv
begründet. Im vorliegenden Buch versammelt er (unter Mithilfe seiner Frau) in
einem ersten Teil Erinnerungen an Gespräche mit Samuel Beckett 1906-1989), in
denen wir von dessen Familie erfahren, von den Aktivitäten im französischen
Widerstand und der Flucht vor der Gestapo. Im zweiten Teil sind Zeugnisse von
Becketts Weggefährten versammelt, von Freunden, Schauspielern, Regisseuren,
Schriftstellerkollegen. Der Band ist mit vielen Fotos illustriert und
verspricht, dass er zahlreiche Entdeckungen über dieses als unzugänglich
bekannte Jahrhundertgenie enthält (vgl. Klappentext).
Beckett war ein
guter Schüler, ein fleißiger Student, aber ein schlechter Lehrer, der seine
Schüler verachtet haben soll. Also beschloss er - u.a. durch seine Bekanntschaft
mit Joyce - nach einer zwischenzeitlichen Lektoratstätigkeit Schriftsteller zu
werden. Vom Mai 1945 berichtete er: "Das Kriegsende war schrecklich! Die
Siegermächte öffneten einfach die Vernichtungslager. Die, die überlebt hatten,
hatten nichts zu essen. Und so gab es dort
Kannibalismus."
Teil II
beginnt mit der Feststellung, dass Beckett ab Februar 1946 eine regelrechte
Schreibmanie packte. Wobei er anfangs recht frustriert klang: "Niemand
interessiert sich für diesen Mist.
Camus kennt man sogar auf dem Mond." Was sich
schlagartig mit 'Warten auf Godot' änderte. Der Erfolg des Stückes war und
besteht noch weltweit, wobei Beckett schon am Anfang gesagt hatte, er wisse
nicht, wer Godot sei und ob es ihn gebe, und es interessiere ihn auch
nicht.
So wenig Beckett den Sinn seiner Werke erklären wollte, so sehr
interessierte ihn Regiearbeit. Dazu liefert das Buch zahlreiche Berichte von
Schauspielern, die an verschiedenen Stücken mit ihm gearbeitet hatten. Er soll
einerseits sehr präzise, andererseits aber auch flexibel gewesen sein. Es kommt
auch heraus, dass seine Texte schwer zu lernen sind, weil er auf Varianten und
Nuancierungen Wert legte. Bud Thorpe vom San Quentin Qorkshop (Kalifornien)
meinte sogar, Beckett inszenierte seine Stücke, als ob er eine Symphonie
dirigierte, achtete mathematisch auf jede Schrittlänge und baute penibel
Geräusche in Schweigepausen ein. Beckett meinte auch später einmal, er hätte
ebenso Komponist werden können.
Für den us-amerikanischen Dramatiker Edward
Albee ('Wer hat Angst vor Virgina Woolf ...?') sind die vier wichtigsten
Dramatiker des 20. Jahrhunderts
Tschechow,
Pirandello,
Brecht und
Beckett. Und
vielleicht ist es am besten, man liest das vorliegende Buch als Ergänzung zu
Knowlsons 'Samuel Beckett - Eine Biographie' (2001) und lernt diesen Autor in
seinen unverschlüsselten persönlichen Facetten kennen: im Kern ein suchender
Mensch.
(KS; 03/2006)
James und Elizabeth Knowlson (Hrsg.): "Beckett
Erinnerung"
(Originaltitel "Beckett Remembering - Remembering
Beckett)
Übersetzt von Christel Dormagen.
Suhrkamp, 2006. 385 Seiten, mit zahlreichen Fotos.
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Ein weiteres Buch von James
Knowlson:
"Samuel Beckett - Eine Biographie"
Als Samuel Beckett,
einer der innovativsten und einflussreichsten Autoren des 20.Jahrhunderts, 1989
starb, war er weltberühmt. Spät - erst mit der Pariser Uraufführung von
"En attendant Godot" 1953 - richteten sich die Scheinwerfer auf den
öffentlichkeitsscheuen Autor.
Beckett, 1906 geboren, studierte in Dublin und
in Paris, wo er sich James Joyce anschloss. Ein erster Band mit Erzählungen
erschien 1934. Drei Jahre später verließ er Irland für immer und zog nach Paris,
aus dem ihn die deutsche Besatzung vorübergehend vertrieb. Verlage wagten sich
an seine Bücher kaum heran - bis der Erfolg des "Godot" diesen und den
materiellen Schwierigkeiten ein Ende bereitete. Jedoch um sein Schreiben, um
eine Verfassung, die ihm das Schreiben überhaupt erlaubte, hat Beckett ein Leben
lang gerungen.
James Knowlson erforschte Becketts Werk mehr als dreißig Jahre
lang. Mehr als zwanzig war er mit dem Autor befreundet. Ein halbes Jahr vor
seinem Tod autorisierte Beckett Knowlsons Biografieprojekt: Er "ist der, der
mein Werk am besten kennt". Auch zu Becketts Leben förderte Knowlson viel
Unbekanntes ans Licht. So erhielt er als erster Zugang zu den aufregenden
Tagebüchern von Becketts Deutschlandreise 1936/37. Mit seinen umfassenden
Kenntnissen kann er zeigen, wie auch Becketts spätere Werke, die biografische
Anspielungen eher vermeiden, in Leben und Denken des Autors verwurzelt sind.
(Suhrkamp)
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Noch ein Buchtipp:
Erika
Tophoven: "Beckett in Berlin"
In den Jahren 1936/1937 unternahm der im
deutschen Sprachraum damals noch gänzlich unbekannte Samuel Beckett eine
sechsmonatige "Winterreise"
durch Deutschland. Am 2. Oktober 1936 kam er in Hamburg an. Ab dem 11. Dezember
verbrachte er fünf Wochen in Berlin. Dort interessierte sich der junge
Schriftsteller vor allem für die Kunstmuseen, die er häufig besuchte. Aber
natürlich ging er auch ins
Theater und in Konzerte, er las Bücher und traf
Menschen, er beobachtete die politische Situation, und er hatte einen Alltag zu
bewältigen. Während der Reise führte Beckett Tagebuch. Erika Tophoven, seit
langem Übersetzerin der Werke des irischen Schriftstellers, erhielt Zugang zu
diesen bislang unveröffentlichten Aufzeichnungen. Sie folgt in diesem Buch den
Spuren Becketts in Berlin, schildert seine Erlebnisse und Eindrücke und zitiert
exklusiv auszugsweise aus dem Tagebuch. Es entsteht das einzigartige Bild einer
Kunstreise, die einer der wichtigsten und reflektiertesten Schriftsteller des
20. Jahrhunderts in politisch hoch brisanter Zeit unternahm, zwischen den
Olympischen Spielen im August 1936 und der Ausstellung "Entartete Kunst" im Juli
1937. Textauszüge, Pläne, historische Fotografien und Abbildungen der von
Beckett beschriebenen Kunstwerke runden dieses sensationelle Buch ab. Mit
exklusiven Auszügen aus dem unveröffentlichten Reisetagebuch Samuel Becketts
sowie einer Vielzahl von historischen Abbildungen und Dokumenten.
(Nicolai)
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