Bettina Balàka: "Eisflüstern"
Wir
schreiben das Jahr 1922. In Wien kehrt die Gesellschaft trotz hoher
Inflation langsam wieder zu einem normalen Leben zurück. Man
will diesen schrecklichen Krieg vergessen und versucht sich mit dem
Verlust von
Kaiser und wesentlichen Teilen des alten "Vaterlandes" nach
dem Ende des Ersten Weltkriegs abzufinden.
Balthasar Beck, vor dem Krieg bei der Kripo in Wien
beschäftigt, kehrt nach jahrelanger Gefangenschaft in Sibirien
und der Mandschurei ins heimatliche Wien zurück. Tagelang irrt
er durch die Straßen, schläft nachts auf
Parkbänken und nähert sich innerlich dem lange
herbeigesehnten und gleichzeitig gefürchteten und in zahllosen
einsamen und kalten Nächten fantasierten Wiedersehen mit
seiner Frau Marianne an. Diese hat ihrerseits so wie Millionen andere
Soldatenfrauen gewartet, hat versucht ihren Alltag zu organisieren und
die gemeinsame Tochter großzuziehen. Mehreren Werbeversuchen
anderer Männer nach dem Ende des Krieges hat sie tapfer
widerstanden; sie spürte jeden Tag, dass ihr Mann noch lebt.
Doch gegen Ende hat sie doch einem Verehrer nachgegeben, der sie auch
heiraten möchte, sie weigert sich allerdings, ihren Mann
für tot erklären zu lassen.
Als Balthasar Beck dann endlich in der Wohnungstür steht, ist
ihr erster Gedanke der an ihren Verehrer, denn zunächst hielt
sie das Klingeln an der Wohnungstür für die
Ankündigung seines Besuches. Doch das Schicksal ist ihr
gnädig, Beck erfährt bis zum Ende nichts von diesem
Mann, und sie können sich sehr vorsichtig, aber letztlich
erfolgreich erneut einander nähern und wieder ein richtiges
Ehepaar werden. Es gelingt ihm auch, gegenüber seiner Tochter
Zurückhaltung zu üben und ihr so die
Annäherung an den unbekannten Vater zu erleichtern.
Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass sein ehemaliger Chef
bei der Kripo, Karl Moldawa, ihm eine Chance für den
beruflichen Wiedereinstieg gibt, auf die Beck
verständlicherweise brennt. Er wird als gleichberechtigter
Partner einem Beamten namens Ritschl zugeordnet, der wegen einer
Behinderung nicht zum Kriegsdienst eingezogen wurde und Beck von Anfang
an misstrauisch beäugt, zumal er ein überzeugter
Antisemit ist und immer wieder Anspielungen auf die
jüdische Herkunft von Becks Frau Marianne macht.
Bettina Balàka baut nun einen Roman auf, wie er als
Kriminalroman spannender nicht sein könnte. Auf der einen
Zeitebene lässt sie Becks Leben und Erfahrungen Revue
passieren, seine Kindheit mit einem strengen Vater, der sich als
Richter quasi Gott gleichsetzt, und dann die Zeit ab 1916, als er in
russische Gefangenschaft geriet. An schreckliche Erlebnisse aus den
sibirischen Lagern erinnert er sich, aber auch aus der
anschließenden Zeit, als er auf der Seite der Roten Armee in
Asien gegen die Weißen kämpft.
(Als er nach seiner Rückkehr nach Wien von seiner Frau
erfährt, dass sie in der Zwischenzeit mit den Kommunisten
sympathisiert und deren wöchentliche Zeitung kostenlos
korrekturliest, reagiert er mit größtem
Unverständnis und Ärger.)
Besonders beschäftigt Beck in seiner Erinnerung eine Szene,
als nach einem Fluchtversuch eines Gefangenen mit ihm zusammen zehn
weitere zur Abschreckung erschossen werden und ein aus mehreren
Personen bestehendes "Komitee" über die eigenen
Schicksalsgenossen urteilt.
Als sich in den ersten Wochen nach Becks Rückkehr
herausstellt, dass er die Opfer dreier Morde, die er zusammen mit
Ritschl, der Gerichtsmedizinerin Dr. Prager und dem Kollegen Kiselak
aufzuklären hat, kannte, steigert sich die Animosität
Ritschls Beck gegenüber zum ausgesprochenen Verdacht.
Die Mordopfer werden vom unbekannten Täter auf eine seltsame
Weise drapiert. Alle spüren, diese Zeichen haben etwas zu
bedeuten, aber auch Beck, der sie lesen könnte, ist mir der
Blindheit der Verdrängung geschlagen.
Der Leser empfindet mit jeder Seite mehr, dass es einen geheimnisvollen
Zusammenhang der Morde mit Becks Vergangenheit geben muss. Ein Teil des
Geheimnisses lüftet sich, als klar wird, dass alle Mordopfer
zu jenem "Komitee" gehörten, das die Kameraden damals in den
Tod schickte.
Der andere Teil bleibt offen bis zum Ende. Bettina Balàka
steigert die Spannung gekonnt, schreibt aber mit "Eisflüstern"
viel mehr als einen Krimi. Das Buch ist Zeitgeschichte in
Romanform, bestechend durch die Dichte und die Genauigkeit der
hervorragend recherchierten historischen Details. Der Leser taucht ein
in das Wien der frühen 1920er-Jahre, atmet den
üblen Geruch des aufkommenden
Antisemitismus in
Österreich und bekommt einen Eindruck von der Situation der
Männer in russischer Gefangenschaft in den Lagern im Osten.
Ein wirklich gelungenes Buch und hervorragendes Stück Literatur!
(Winfried Stanzick)
Bettina
Balàka: "Eisflüstern"
Suhrkamp, 2009. 387 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Bettina Balàka, geboren 1966
in
Salzburg, lebt als freie Schriftstellerin
in Wien. Zahlreiche
Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u.A.
mit dem "Theodor-Körner-Preis" (2004), dem "Salzburger Lyrikpreis" (2006) und
dem "Friedrich-Schiedel-Literaturpreis" (2008).
Zwei weitere Bücher der Autorin:
"Die Tauben von Brünn"
zur Rezension ...
Die Prinzessin von Arborio"
Elisabetta Zorzi ist attraktiv, beruflich erfolgreich und begehrt - und sie ist
eine schwarze Witwe, wie sie im Buche steht. Die beliebte Restaurantchefin ist
es gewohnt, dass sie bekommt, was sie will. Und sie ist sich ihrer anziehenden
Wirkung bewusst. Ihre Mitarbeiter schwärmen genauso von ihr wie ihre Kunden und
ihre Verehrer. Und keiner von ihnen ahnt, wie gefährlich es ist, sich in ihre
Nähe zu begeben. Denn einmal in Missgunst gefallen, müssen die Männer in
Elisabeta Zorzis Leben sterben. Einer nach dem anderen.
Die charmante Mörderin trauert gerade um ihren jüngst verstorbenen Ehemann, als
sie von dem Kriminalpsychologen Arnold Körber überführt wird. Körber ist
fasziniert von Zorzis Verbrechen - noch mehr aber von ihr selbst. Nach vielen
Verhören muss er sich schließlich eingestehen: Er ist dem Reiz dieser Frau
erlegen. Die Serienmörderin und der Profiler - ob diese Liaison ein gutes
Ende nehmen kann?
Bissig, spannend, klug und von bezwingender Leichtigkeit: zu Recht gilt Bettina
Balàka als Meisterin intelligenter Unterhaltung. In diesem Buch verbindet
sie mühelos Krimi und
Liebesgeschichte zu einem außergewöhnlichen Roman - scharf
beobachtet, brillant erzählt und wunderbar amüsant. (Haymon)
Buch
bei amazon.de bestellen