Samuel Bak: "In Worte gemalt"

Bildnis einer verlorenen Zeit


Samuel Bak ist nach der Meinung von Amos Oz, der ein wunderbares und einfühlsames Vorwort zu diesem einzigartigen Buch geschrieben hat, einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. 1933 in Wilna geboren, überlebte Samuel Bak den Holocaust und lebt nach Stationen in Landsberg am Lech, wo er in einem Lager für die sogenannten "displaced persons" war, Israel, Frankreich, Italien und der Schweiz seit 1993 in Boston in den USA. Baks eindrucksvolle Bilder wurden seit 1959 in über 100 Einzelausstellungen gezeigt, seit Ende der 1970er Jahre auch in Deutschland.

Seit ich als etwa dreizehnjähriger Schüler durch die Begegnung mit entsprechender Literatur in der örtlichen Gemeindebücherei zu begreifen begann, was zwischen 1933 und 1945 mit den Juden Deutschlands und vor allem Osteuropas geschehen war, habe ich bis heute immer wieder Bücher von Überlebenden gelesen, Romane und Dokumentationen, aber auch philosophische Bücher, die zu bearbeiten versuchten, was da geschehen war. Doch unter diesen unzähligen Büchern, die im Verlauf von etwa vierzig Jahren zusammenkamen, ist dieses Buch von Samuel Bak wirklich einzigartig. So wie anderen handelt es von unaussprechlichem Verlust, der dennoch beschrieben werden will, von großem Schrecken, unglaublicher Erniedrigung und einem schrecklichen Tod. Und dennoch ist es gleichzeitig ein heiteres, lustiges Buch, ein Buch, das vor Lebensfreude und Lust geradezu überläuft und den Leser nicht selten zum Lachen zwingt. Das Buch ist scheinbar der Tragödie des jüdischen Volkes gewidmet; der Vernichtung von Stadt, Gemeinschaft und Familie; der Zerstörung der Kindheit und dem Gedächtnis einer hingemordeten Welt. Dennoch ist die Lektüre mit einem bei anderen Büchern dieses Genres so noch nicht erlebten Vergnügen verbunden.

(...) Dieses litauische Jerusalem - dieses Wilna, das ich in den sechziger Jahren in Rom so "abstrakt" gemalt hatte, mit seinem bleigrauen Himmel, seinen verbrannten Häusern und den zwei kleinen Flecken, die sich durch die rauchgeschwärzte Landschaft bewegen - dieses Wilna ist in Erzählungen eingebettet. Für mich sind sie die Erzählungen meines Volks, Geschichten von Vorvätern, faszinierenden Gestalten meiner engsten Familie und beklemmende Berichte von Kampf und Überleben. Wilna war für Hunderttausende von Juden eine Stadt mit magischer Anziehungskraft. Es hat einen endlosen Strom von Erinnerungen und Reflexionen, Berge von Büchern und so viele Seiten heiliger und profaner Texte hervorgebracht, wie Sterne am Himmel sind.
Es sind die Leerstellen in diesen Texten, die ich, in meinem Malerleben, mit Bildern zu ergänzen versuchte. So erfand ich eine nichtexistente "alte" jüdische Kunst, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbindet. Entgegen den strengen Traditionen unserer alten Religion habe ich Bilder gemalt, die die Sorgen und Nöte unserer Zeit darstellen und den Betrachter einladen, sich seine Gedanken dazu zu machen.
Ich, ein Repräsentant des Volks des Buchs der Bücher, sehe mich manchmal selbst als Buch, mein Bewusstsein als Amalgam aus Geschichten und Bildern, ein sterblicher Pinkas. Als Junge versah ich alte Texte mit meinen Bildern. Heute füge ich meinen alten Bildern neue Texte hinzu. (...)
(Aus dem Buch
)

Samuel Bak erzählt sein Leben. In seine Erinnerungen, in sein Schreiben fließen immer wieder Träume, aktuelle Gedanken und Reflexionen. Er schildert auf warmherzige Art seine manchmal skurrile Familiengeschichte in Wilna, das man vor der Vernichtung das Jerusalem des Ostens nannte. Beeindruckend ist die Tatsache, dass der neunjährige Samuel das Ghetto und seine anschließende abenteuerliche Flucht auch und gerade deswegen überlebte, weil er anfing, das Unaussprechliche zu malen. Seit seiner Kindheit drückte sich Samuel Bak über sechzig lange Jahre nur in seinen Bildern aus, bis er Mitte der 1990er Jahre das Bedürfnis verspürte, seine Geschichte und die Geschichte seiner Bilder auch schriftlich weiterzugeben.

Entstanden ist ein einzigartiges Buch, "eine mitreißende Hymne auf das Leben und die Liebe", wie Amos Oz in dem schon erwähnten Vorwort schreibt. "Ich betrat das Buch wie jemand, der einen Friedhof besucht, um mit den Toten allein zu sein", fährt Oz fort, und tatsächlich atmen viele Bücher von Überlebenden verständlicherweise diese Atmosphäre, "und fand mich stattdessen in eine warmherziges, lebhaftes und bezauberndes Fest aufgenommen."

Ich kann dieses wunderbare, wirklich einzigartige Buch sehr empfehlen und dem Beltz Verlag zu einer sehr gelungenen Edition gratulieren.

(Winfried Stanzick; 11/2007)


Samuel Bak: "In Worte gemalt. Bildnis einer verlorenen Zeit"
Mit einem Vorwort von Amos Oz.
Deutsch von Andreas Nohl.
Beltz, 2007. 384 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen