Arkadi Babtschenko: "Die Farbe des Krieges"
Mahnmal
gegen die Spirale kriegerischer Gewalt
In diesem Roman geht es um einen im Westen mehr oder weniger
ignorierten Krieg - oder eigentlich um zwei Kriege, nämlich um
die Kriege Russlands gegen Tschetschenien 1994-1996 und 1999/2000.
1995 wird ein achtzehnjähriger Wehrdienstleistender, der als
Ich-Erzähler fungiert, in den Kaukasus versetzt.
Zunächst wartet seine Einheit noch auf den Einsatz im
unmittelbaren Kriegsgebiet. Das heißt, dass die
frischgebackenen Soldaten tagsüber zumeist untätig
und hungrig herumlungern und nachts von wenig älteren
Berufssoldaten brutal misshandelt werden. Annähernde
Kieferbrüche und brutale Tritte in die Genitalien
gehören eher zu den leichteren Varianten der Verletzungen, die
man ihnen zufügt. Allmählich wünschen sie
sich die Verlegung an die Front, obwohl von dort täglich
Flugzeugladungen mit verstümmelten Leichen zu ihrem
Stützpunkt gebracht werden.
Nach einigen Monaten bricht der Erzähler mit einigen Kameraden
an die Front auf. Eine Verbesserung der Situation ergibt sich daraus
nicht. Während die nächtlichen Übergriffe
durch die älteren Soldaten fortwähren, ist nun auch
noch die Todesangst ein täglicher Begleiter: Ständig
fallen Kameraden den tschetschenischen Partisanen zum Opfer, und
zuweilen werden sie mangels Koordination von den eigenen Leuten
beschossen; diese nehmen irrtümlich auch schon einmal
russische Mütter unter Feuer, die unter den Gefallenen des
Vortages nach ihren Söhnen suchen.
Abgerissene Gliedmaßen, zerfetzte Körper, mit der
Zeit kann nichts mehr die Jungen schockieren, die sich nur noch
verzweifelt ans eigene Überleben klammern und mit einer
kranken Kuh mehr Mitleid haben als mit den tschetschenischen Gegnern.
Denn was sie eint, ist ein unsäglicher Hass, der sich durch
wechselseitige brutale Hinrichtungen nach scheußlicher
Folterung
weiter aufschaukelt.
Im zweiten Teil des Romans findet sich der Ich-Erzähler im
nächsten Krieg gegen Tschetschenien wieder. Wenig hat sich
geändert an der Grausamkeit der Kriegsparteien und der in
diesem Teil noch mehr thematisierten Brutalität innerhalb der
russischen Armee. Der letzte Funke Menschlichkeit wird mit reichlich
Wodka
und Haschisch
erstickt; die Droge tauschen die Soldaten bei
Tschetschenen gegen Waffen und Munition ein. Wer sich bei solchen
zugegebenermaßen schizophrenen Tauschgeschäften
erwischen lässt, wird von betrunkenen Vorgesetzten auf jede
erdenkliche Weise gefoltert und schließlich halb tot vor dem
Lagertor den Tschetschenen überlassen. Und den Lohn
für die unter zahllosen Opfern errungenen Siege fahren
selbstverständlich die Sesselhocker ein, nicht etwa die
aktiven Soldaten.
So reduziert sich das Leben des Erzählers und seiner Kameraden
nur noch auf ein Ziel: "Ich will nach Hause."
Für Leser, die mit den Einzelheiten des alten
russisch-tschetschenischen Konflikts nicht vertraut sind, hat der
Übersetzer als Anhang einen geschichtlichen Abriss
angefügt. Auch ein Glossar findet sich dort.
"Die Farbe des Krieges" ist ganz sicher kein Roman für allzu
Zartbesaitete, denn der Autor, der selbst als Achtzehnjähriger
Soldat im ersten Tschetschenien-Krieg war, weiß, wovon er
erzählt, und in seinem leidenschaftlichen Appell gegen die
jeder Vorstellungskraft trotzende Brutalität des Krieges in
seiner ganzen Sinnlosigkeit nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er greift
die Misshandlungen und Folterungen innerhalb der Armee nicht minder
gnadenlos an als die Inkompetenz der Armeeführung, die eine
Generation junger Männer ausgelöscht hat - entweder
physisch, nicht selten aufgrund unzureichender Ausbildung und
Ausrüstung, oder psychisch, denn aus der Armee kehrt keiner
als der hoffnungsfrohe Junge zurück, der er zuvor gewesen ist.
Auch die für die Tschetschenien-Kriege verantwortlichen
Politiker, nicht zuletzt Putin, kritisiert der Autor mutig, was umso
mehr Respekt verdient, als man bekanntlich derzeit in Russland mit
missliebigen Mitgliedern der schreibenden Zunft nicht zimperlich
umgeht. Ein einseitiger "Nestbeschmutzer" ist Babtschenko
übrigens keineswegs, denn er kritisiert auch die
tschetschenische Seite angemessen.
Die Sprache des Romans ist kraftvoll und ausdrucksstark, ohne viel
stilistischen Zierrat, der ohnehin nicht passen würde, sie
schildert einfach und ungeschminkt die Tatsachen und die Entwicklung
der zunehmend rudimentären Gefühlswelt des
Erzählers und seiner Kameraden. Gerade diese schlichte
Authentizität, die auch die Komposition der unterschiedlichen
Charaktere kennzeichnet, macht den Roman jedoch so erschreckend
realistisch und bedrückend. Eindrucksvoller kann man ein
schriftliches Mahnmal kaum erstellen.
(Regina Károlyi; 01/2007)
Arkadi
Babtschenko: "Die Farbe des Krieges"
Deutsch von Olaf Kühl.
Gebundene Ausgabe:
Rowohlt Berlin, 2007. 256 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Rowohlt, 2008.
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Arkadi
Babtschenko, 1977 in Moskau geboren, wurde im Alter von neunzehn Jahren
in die russische Armee einberufen. Insgesamt vier Jahre
kämpfte er im Tschetschenienkrieg. Anschließend
studierte er in Moskau Jura und schrieb für verschiedene
Zeitungen, unter anderem für "Nowaja Gaseta". 2001 wurde seine
Erzählung "Zehn Folgen über den Krieg" mit dem Preis
der angesehenen Literaturzeitschrift "Debüt" ausgezeichnet.
Babtschenko lebt als freier Journalist und Autor in Moskau.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Ein guter Ort zum Sterben"
Januar 2000. Russische Truppen
belagern einen kleinen Ort nahe der tschetschenischen Hauptstadt
Grosny, in dem
sich Rebellen verschanzt haben. Die Soldaten, starr vor Kälte,
hungrig,
durstig, müde, liegen tagelang in ihren Stellungen und warten.
Sie wissen
nicht, wofür sie kämpfen. Die brutale Ignoranz der
eigenen Kommandeure, die ständige
Todesangst und die zermürbende Langeweile setzen
sämtliche Kategorien des
zivilen Lebens außer Kraft. Als plötzlich
Heckenschützen das Feuer eröffnen,
verlieren einige Soldaten die Nerven ...
Arkadi Babtschenko kennt diese Welt aus
eigener Erfahrung. "Von dem ersten Tschetschenienkrieg bin
ich eigentlich nicht
zurückgekehrt, ich bin dort verschollen", sagt er
über sich. Mit seiner
kraftvoll lakonischen, poetischen Sprache gelingt es ihm, den Alltag
des
Krieges, seine Grausamkeit wie seine grotesken Momente
sinnfällig zu machen.
Ein ebenso beklemmendes wie packendes Stimmungsbild, das seinesgleichen
sucht. (Rowohlt
Berlin)
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