Klaus Stern, Jörg Herrmann: "Andreas Baader"
Das Leben eines Staatsfeindes
Klaus
Stern ist Dokumentarfilmer. Unter anderem sammelte er etliches
Material, um als Regisseur die Dokumentation "Andreas Baader - Der
Staatsfeind" zu realisieren, wofür er 2003 mit dem Deutschen
Fernsehpreis ausgezeichnet wurde. Zusammen mit Jörg Herrmann,
der ebenfalls schon Texte zu Baader und der RAF
veröffentlichte und entsprechende Recherchen angestellt hatte,
setzte Stern die Biografie "Andreas Baader - Das Leben eines
Staatsfeindes" um.
Auf 360 Seiten bringt es die hochwertige Klappbroschur aus der dtv
premium-Reihe. Neben der chronologischen Spurensuche bietet das Buch
zahlreiche Fußnoten, die ausführlich in den
abschließenden Anmerkungen erläutert werden, ebenso
enthält das Werk zweiunddreißig Seiten mit
Schwarzweißfotografien sowie Abbildungen von Briefen.
Über siebzig authentische Abbildungen lockern das Buch somit,
aufgeteilt auf zwei Bildseitengruppen, auf.
Klaus Stern übernahm das Schreiben des ersten Buchanteils.
Dieser beschreibt die familiären Umstände, in die
Baader geboren wurde und in denen er aufwuchs. Der spätere
Terrorist, der in einem reinen Frauenhaushalt aufwuchs, zeigte schon
früh rebellisches Verhalten, wurde von mehreren Schulen
verwiesen und beendete seine schulische Karriere schließlich
nicht etwa mit einem Abschluss, sondern mit einem Abbruch. Doch das
Bild, das von Andreas Baader gezeigt werden soll, soll ein
möglichst objektives sein, wie man beim Lesen rasch
feststellt, und so kommen auch Baaders Mutter und seine erste
langjährige Freundin Ello Michel zu Wort. Sie zeichnen ein
ambivalentes Bild des Mannes, der später zum Staatsfeind
avancieren sollte. Weich sei er gewesen, sensibel,
großmütig und gütig, strebend nach
Höherem - aber auch hinterhältig und bisweilen
brutal, wie vor allem Ello Michel berichtet, der Andreas Baader einst
aus Eifersucht in die Nase gebissen haben soll.
Jörg Herrmann beschreibt im zweiten Teil des Buches die Zeit
im Gefängnis, den
Stammheimer Prozess und die
anschließenden Planungen Baaders aus der Haft heraus, zu der
in erster Linie "Big Raushole", mögliche Aktionen zur
Befreiung oder Freipressung der inhaftierten RAF-Spitze,
gehörte.
Aus heutiger Sicht ist kaum nachvollziehbar, wie es möglich
war, dass einige Gefangene einen derartigen Druck auf die Justiz
ausüben konnten, Freiheiten für sich durch diverse
Findigkeiten erreichten wie die Inhaftierung männlicher und
weiblicher Gefangener nicht nur auf einer Etage, sondern auch deren
gemeinsamer Umschluss und Hofgang sowie das Erlassen verschiedener
Gesetze, die extra im Hinblick auf die Häftlinge der RAF
entworfen wurden. Ebenfalls unverständlich ist, in welchem
Maße Gegenstände eingeschmuggelt werden konnten -
zuletzt auch die Waffen, mit denen sich Raspe und Baader zuletzt selbst
in ihren Zellen erschossen.
Der Buchanteil Herrmanns beschränkt sich jedoch nicht allein
auf die vorbeschriebenen Ereignisse in umfangreichem Maße,
sondern thematisiert auch die Beerdigung Baaders (und die Gudrun
Ensslins) und versucht zu guter Letzt, in einem Epilog eine
Übersicht über Andreas Baader zu geben und die
weitere Geschichte der RAF bis zu deren Auflösung im Jahr 1998
im Überblick nachzuzeichnen.
Überraschend ist, dass die Figuren um Baader herum -
Familienangehörige, Freunde, Bekannte und Zeitgenossen - in
diesem Buch einen recht großen Raum zugeteilt bekommen. So
erfährt man in dieser Biografie keineswegs nur etwas
über die einzelnen Lebensstationen des späteren
Terroristen, sondern wird intensiv auch über das Leben Dritter
informiert - über Michael Kroecher beispielsweise,
Andreas’ Onkel, der zu Kinderzeiten als
möglicherweise väterliche Figur sicherlich einen
gewissen Einfluss auf Andreas’ Entwicklung hatte.
So interessant jedoch auch die Menschen aus Baaders Umfeld sind: in
seiner Biografie wirken Ausschnitte aus deren eigenen Biografien
oftmals nicht allein als erklärendes Hintergrundmaterial,
sondern viel häufiger im Verlauf des Buches auch als
Füllmaterial, als streckende Informationen. Und nach der
Lektüre stellt man überrascht fest, viel Neues
gelesen zu haben, einen intensiven Blick hinter die Fassaden geworfen
zu haben, doch Andreas Baader - wer ist das eigentlich?
Tatsächlich bleiben die Motive von Andreas Baader bis zum
Schluss ungeklärt. War er ein Aufschneider und jemand, der
seine mehrfachen Misserfolge in vor allem beruflicher Hinsicht zu
kompensieren suchte? Oder gab es wirklich eine politische oder soziale
Komponente, die ihn antrieb? Ob der Kampf gegen den Imperialismus, die
Wut auf die amerikanischen Truppen und die Ohnmacht gegenüber
Vietnam, gepaart mit der Unfassbarkeit des noch nicht allzu lang
zurückliegenden Naziterrors tatsächlich als
Antriebsfeder fungierte oder lediglich der Verteidigung im Stammheimer
Prozess dienen sollte, wird nicht wirklich klar. Am Ende weiß
man vieles, aber nicht, wer Andreas Baader wirklich war.
Dass dieser Aspekt ein offener bleibt, ist nicht zwingend zu
kritisieren. Will man größtmögliche
Objektivität wahren, um dem Leser die Option
einzuräumen, selbst seine Schlüsse zu ziehen, so
wäre es falsch, ein bestimmtes Bild zu propagieren - und
authentisch wäre dies ebenso wenig.
Irritierend ist jedoch, dass Wertungen in der Biografie durchaus zu
finden sind. Unterschwellig richten sich kleinere Spitzen etwa gegen
Joschka Fischer und den einst in Stammheim zunächst den
Prozess führenden Vorsitzenden Prinzing. Dies scheint nicht
zum sonst so bemüht objektiven Werk zu passen - und es
stört ebenso wie die massiven Wortwiederholungen vor allem im
zweiten Teil des Buches. Ein "Kassiber" jagt dort das andere ...
Briefe, Schriftstücke, Zettel oder andere Synonyme
wären so manches Mal sicherlich hilfreich gewesen.
Die Biografie wird an manchen Stellen werbend als ein Werk angepriesen,
das noch nie da gewesenes Material zeigen soll. Unter anderem kommt in
der Biografie erstmals überhaupt die heute in Paris lebende
Tochter Baaders, Suse, zu Wort, so heißt es. Das ist
keineswegs Schaumschlägerei, Suse meldet sich wirklich zu
Wort. An ihren Vater kann sie sich nicht erinnern, wie sie sagt. Als
sie im Radio von seinem Tod erfuhr, weinte sie dennoch spontan, denn
immerhin war er ihr Vater. Das war es, das Klaus Stern ans Licht
gebracht hat, was noch niemand zuvor wusste - und mehr leider nicht.
Einige Figuren erscheinen in einem gänzlich anderen Licht,
wenn man sie bereits aus einem anderen Kontext kennt. Das Bild Ulrike
Meinhofs etwa, die in Baaders Biografie lediglich als schwache Randfigur,
die unter Gemeinheiten von
Ensslin litt und sich schließlich
erhängte, auftritt, ist sicherlich nicht sonderlich gelungen,
ähnlich geht es so manchem Leser wohl auch bei einigen anderen
Figuren.
Politische Ereignisse und Zusammenhänge werden einerseits
teils sogar detailliert mit Daten und Uhrzeiten vermerkt und
beschrieben, andere Begrifflichkeiten hingegen werden beim Leser
vorausgesetzt und erfahren keine nähere Beleuchtung. Dies
macht so manche Passage für eher uninformierte Leser zu einer
Hürde, sorgt für Verständnisschwierigkeiten
und macht weitere Recherchen auf Leserseite notwendig, während
so manch anderer Textabschnitt zu einem Thema den bereits aus anderen
Quellen informierten Leser mit weitschweifigen Erklärungen
langweilt.
An solchen Stellen lässt das Buch eine gewisse
Homogenität vermissen, die sich auch durch teils
zusammenhanglos wirkende und durcheinander gemischte Ereignisse und
Personenbeschreibungen nicht verschleiern lässt.
Insgesamt ist dieses Buch durchaus empfehlenswert für
Menschen, die das Phänomen RAF
und vor allem das Phänomen Andreas Baader einmal genauer
beleuchten wollen.
Die chronologische Biografie ist geradezu akribisch und voller Zitate,
weiß vor allem durchaus auch an manchen Stellen in ihren Bann
zu ziehen, doch leider bleibt viel Potenzial ungenutzt, wie man rasch
erkennen wird, wenn man sich mit der Thematik an sich zuvor schon
befasst hat.
(Tanja Elskamp; 12/2006)
Klaus
Stern, Jörg Herrmann: "Andreas Baader. Das Leben eines
Staatsfeindes"
dtv, 2007. 360 Seiten.
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