Philomène Atyame: "Mord ohne Anklage"
Eine Erzählung nach wahren Ereignissen in Kamerun
Abomo hat ihren Mann Oden sehr geliebt
und sich mit ihm eine sichere Existenz aufgebaut. Er bewirtschaftet Kakaofelder,
woraus die Familie - zwei Söhne und drei Töchter - ihren Lebensunterhalt
bestreiten kann. Plötzlich und unerwartet stirbt Oden im Alter von nur 34
Jahren.
Die Witwe wird von den Efek, die alle von einem "Stammvater"
abstammen mögen, für den Tod ihres Mannes verantwortlich gemacht. Sie wird von
den Männern des Dorfes geächtet. Ein Jahr lang muss sie als Witwe die härtesten
Prüfungen überstehen, ehe sie wieder ein halbwegs normales Leben führen kann.
Doch es bleibt ein Schattendasein, weil sie die "Heiratsanträge" der polygam
lebenden Männer des Dorfes samt und sonders abgelehnt hat.
Nur zwei Jahre
nach dem Tod ihres Mannes erfolgt ein Schicksalsschlag, der ihr Leben mächtig
erschüttert. Ihr ältester Sohn wird im Wald ermordet. Und nicht nur das: Seine
Leiche wird nie aufgefunden, sondern nur seine Haare. Der jüngere Sohn von
Abomo, Menguele, hat nicht so viel Kraft und Durchsetzungsvermögen wie sein
älterer Bruder Esson, der sowohl die Mutter als auch die Schwestern mit Inbrunst
unterstützt hat. Die männliche Dorfbevölkerung weigert sich, die Polizei
einzuschalten. Schon bald steht fest, dass Nden der Täter ist. Er hat seinen
Cousin hinterhältig mit einem Jagdgewehr ermordet, und es geht das Gerücht, er
habe dessen Leichnam an Händler verkauft.
Ein Verbrechen ist geschehen,
und die wissende Bevölkerung macht keine Anstalten, den Täter zur Rechenschaft
zu ziehen, der nach dem Mord für mehrere Wochen von der Bildfläche verschwindet.
Während Abomo um ihren Sohn trauert und in kürzester Zeit die Hälfte ihres
Körpergewichts verliert, besteht die Möglichkeit, dass mit der Leiche von Esson
Geschäfte gemacht werden. Nden will unbedingt in den Besitz der Felder und des
Hauses von Oden gelangen. Als er später zurückkehrt, geht zwar sein Plan auf,
doch er wird wohl für immer allein bleiben, da die Frauen der Efek Angst vor ihm
haben. Die Frauen haben zudem Angst vor Repressalien, und so bleibt das
Verbrechen bis zum heutigen Tage "ungeklärt".
Die Geschichte von Abomo
wird von der Autorin eindrucksvoll geschildert. Es steht das Schicksal einer
Frau im Vordergrund, die von einem ganzen Dorf geächtet wird, weil sie für den
Tod ihres Mannes verantwortlich gemacht wird. Die zahlreichen Dialoge
bestätigen, dass die Schuld von Nden als sicher anzusehen ist. Auch der
Stammeshäuptling weiß, wer der Täter ist, und tut doch nicht das Geringste, um
die Aufklärung dieses schrecklichen Verbrechens voran zu treiben. Es sind die
Traditionen der Efek, welche es mit sich bringen, dass ein direkter Nachfahre
des "Stammvaters" nicht angeklagt werden darf.
Durch die Erzählweise
werden einige für Außenstehende wohl merkwürdige "Regeln" der Efek deutlich. Die
Ächtung einer Witwe, und der Wunsch der männlichen Bevölkerung, sie vernichtet
zu sehen, ist eine jener "Regeln". Abomo muss aus diesem Grunde das Dorf
verlassen und zu ihren Eltern zurückkehren. Ihr Sohn Menguele begleitet sie
hierbei. Das traurige Schicksal der tapferen Abomo setzt sich auf schreckliche
Weise fort, da sie nur wenige Jahre nach dem Mord an ihrem Sohn völlig
erblindet.
Diese kurze und brisante Erzählung über eine Dorfgemeinschaft inmitten von Kamerun
kann keinen Leser kalt lassen. Der Handel mit Leichen ist die unfassbarste Komponente
und wohl auch der "Anlass" für das schreckliche Verbrechen. Wer die Händler
sind, und wer davon profitiert, weiß niemand so recht. Tatsache ist, dass mit
dieser Geschichte einmal wieder klar gemacht ist, dass auf dieser Welt Dinge
geschehen, die extrem grauenhaft sind. Die Gier nach Geld
und Besitz macht aus vielen Menschen Wahnsinnige, welche manchmal nicht einmal
davor zurückschrecken, ehemalige Freunde aus dem Weg zu räumen, um mit deren
sterblichen Überresten Profit zu machen.
(Jürgen Heimlich; 05/2006)
Philomène Atyame: "Mord ohne
Anklage"
Athena Verlag, 2006. 78 Seiten.
Buch bei amazon.de
bestellen
Weitere Bücher dieser Reihe
(Auswahl):
Yomb May (Hrsg.): "Basaa-Fabeln. Aufzeichnungen aus der oralen
Tradition Kameruns"
"... Eines Tages fand eine Schildkröte am Ufer eines
großen Flusses ein schönes Blatt. Sie betrachtete das Blatt einen Augenblick,
nahm es und wickelte ihr Ei darin ein. Nicht weit davon entfernt traf die
Schildkröte ein Krokodil. Das Krokodil bewunderte das schöne Ei und fragte die
Schildkröte sofort: 'Wer hat dein Ei so schön bearbeitet?' Die kluge Schildkröte
antwortete: 'Ich selbst. Ich bin ein Künstler.' 'Kannst du meine Eier auch so
bearbeiten?' fragte das Krokodil. 'Natürlich kann ich das. Das ist mein Beruf',
sagte die Schildkröte. So nahm das Krokodil die Schildkröte auf den Rücken und
führte sie in seine Wohnung, die an dem anderen Ufer lag. Als sie ankamen, sagte
die Schildkröte zu dem Krokodil: 'Lass mich alleine arbeiten. Das ist das
Geheimnis meiner Kunst.' Das Krokodil gehorchte sofort. Es ließ die Schildkröte
alleine in der Wohnung und entfernte sich. So sehr schätzte es die Kunst der
Schildkröte. Die Schildkröte schloss die Tür und begann, die Eier des Krokodils
zu fressen. Nachdem sie sich satt gegessen hatte, zertrat sie den Rest und
machte daraus einen Haufen Eierschalen. Als sie mit der Arbeit fertig war, ging
sie aus dem Haus, schloss die Tür und rief das Krokodil ..."
Die in diesem
Band gesammelten Fabeln sind das Ergebnis einer Feldforschungsarbeit in der
Basaa-Tradition, in der Fabeln und verwandte Erzählungen bis heute auf
mündlichem Wege weitergegeben werden. Als Zeugnisse der Oralität unterliegt das
Fabelgut, aus dem die vorliegenden Texte hervorgegangen sind, je nach
Erzählkontext und Talent des jeweiligen Fabelerzählers - bei Wahrung des
überlieferten inhaltlichen Kerns - unterschiedlichen Variationen in funktionaler
und performatorischer Hinsicht. Die hier schriftlich fixierten Versionen
spiegeln weitgehend die orale Diktion während ihrer Aufzeichnung wider und
stellen damit exemplarisch eine adäquate Grundlage für die Auseinandersetzung
mit einer lebendigen, ausschließlich mündlich tradierten afrikanischen
Fabeldichtung dar.
Buch bei amazon.de
bestellen
Daniel Mepin (Hrsg.): "Tonè Tonè.
Märchen und Erzählungen aus Kamerun"
"... Was die meisten Leute
erstaunte, war, dass der Hellseher für seine Arbeit weder eine Bezahlung noch
eine Belohnung verlangte, obwohl sich sein Erfolg überall herumsprach. Dieses
Verhalten brachte ihm den Namen Yanga, d. h. der, der es umsonst macht, ein. Was
man ihm auch immer als gebührende Anerkennung für seine Arbeit schenken wollte,
lehnte Yanga dankend ab. Dieser ungewöhnliche Umstand zog noch mehr Menschen
magisch an. Solche, die in die Zukunft blicken wollten, um ihr Leben erfolgreich
zu gestalten, andere, die sich gegen einen bösen Nachbarn schützen wollten, und
wieder andere, die meinten, aus eigener Kraft eine begehrte Frau nicht erobern
zu können. Yanga wusste, wie es sich für Hellseher gehört, über alles Bescheid,
so dass er seinen Klienten nie die Frage nach dem Grund ihres Besuches stellte.
Und so unterschiedlich die
Wünsche auch sein mochten, er fand für jeden Besucher
ein passendes Rezept. Sein Erfolg war dermaßen überwältigend, dass Yanga selbst
es sich nicht erträumen ließ, jemals könne sich etwas daran ändern.
Doch
eines schönen Tages klopfte in aller Frühe ein buckliges Männlein an seine Tür.
Yanga bat den Besucher, wie gewohnt, mit freundlicher Stimme herein. Das
bucklige Männlein stürzte in die kleine Hütte. Als Yanga es erblickte, fuhr er
zusammen und stellte zum ersten Mal die für Hellseher wohl fatale Frage: 'Warum
kommst du so bestürzt und atemlos zu mir?' ..."
Diese Sammlung von Märchen und
Erzählungen verdankt ihre Entstehung der Absicht, das geistige Erbe der kulturellen
Tradition, wie es in der überlieferten Kunst des Geschichtenerzählens Niederschlag
gefunden hat, auch durch die Schrift weiterzugeben und zu bewahren.
Doch über diese äußere Notwendigkeit hinaus
begibt sich Daniel Mepin in jeder seiner Erzählungen durch eine sehr variierte
Erzählkunst mit dem Leser auf die andere, bisher verborgene Ebene eines
kulturellen Lebens, welches unter dem Bann des verlängerten Wortes der Vorfahren
steht. Mepin gelingt es, die Grenze zwischen Leser und Zuhörer weitgehend
aufzuheben, und so zeigt sich an diesem Band, wie durch das Weiterwirken eines
primären Oralitätsbewusstseins die Umsetzung mündlichen Erzählgutes in die
Schrift auf eine Inszenierung des Wortes übergeht.
Buch bei amazon.de
bestellen