Arthur I. Miller: "Der Krieg der Astronomen"
Wie die Schwarzen Löcher das Licht der Welt erblickten
Ein
packendes Stück Wissenschaftsgeschichte
Heute zieht niemand mehr die Existenz
Schwarzer Löcher in
Zweifel. Es gibt sogar reichlich populärwissenschaftliche
Literatur über sie, sodass dieses faszinierende
Phänomen einer breiten Öffentlichkeit vertraut ist.
Zwischen den Weltkriegen war die Lage noch völlig anders. Das
hing auch damit zusammen, dass einige wichtige Elementarteilchen wie
das Neutron erst relativ spät entdeckt wurden und somit der
Aufbau der Atome, erst recht freilich jener der Sterne, nach wie vor
Rätsel aufgab. Es schien völlig undenkbar, dass
gewaltige Sterne zu einer Singularität ohne räumliche
Ausdehnung, jedoch von enormer Masse, zusammenschrumpfen
könnten.
In Cambridge forschte und lehrte damals Sir Arthur Eddington, zu seiner
Zeit der am meisten respektierte Astronom der Welt. Er hielt die
"Weißen Zwerge" für ein unweigerliches Endstadium
des Lebenslaufs der Sterne, auch wenn er einmal in einer
Veröffentlichung ein weiteres Zusammenstürzen von
Sternen angedacht hatte - diese Möglichkeit hatte er im selben
Atemzug verworfen.
1930 fuhr ein junger, hochbegabter indischer Astrophysiker nach
England, um seine Studien in Cambridge fortzusetzen: Subramanyan
Chandrasekhar, allgemein "Chandra" genannt. Trotz seiner Jugend - er
war 20 Jahre alt - hatte Chandra bereits mehrere Artikel
veröffentlicht und war mit Physikern von Weltruhm, Sommerfeld
und Heisenberg, zusammengetroffen.
Auf der Überfahrt stellte er einige Berechnungen an, in denen
er Eddingtons Erkenntnisse mit denen seines Kollegen Fowler
verknüpfte, und fand heraus, dass Sterne mit mehr als 1,4
Sonnenmassen offensichtlich nicht als Weiße Zwerge enden,
sondern gewissermaßen unendlich in sich
zusammenstürzen müssen: eine revolutionäre
Vorstellung.
Chandra hatte es schwer in Cambridge. Das Klima und die völlig
andere Kultur, dazu rassistisch begründete Vorbehalte setzten
ihm zu. Vor allem aber durchschaute er lange nicht die Mechanismen des
in Cambridge unerbittlich ausgetragenen Intrigenspiels, und die Akteure
setzten ihn als eine Art Joker ein.
Chandras Beitrag zur Sternentwicklung wurde konsequent ignoriert, weil
er Eddingtons Theorien zuwiderlief. Doch der junge Wissenschaftler
ließ sich nicht entmutigen. Am 11. Januar 1935 hielt er einen
Vortrag über seine Idee - und wurde von Eddington in
verletzender und beschämender Weise mit wissenschaftlich im
Grunde nicht haltbaren Argumenten demontiert. Viele bedeutende
Physiker, zum Beispiel
Bohr, stimmten mit Chandra überein und
erkannten Eddingtons Einwände als unseriös,
äußerten dies aber nie öffentlich, weil
Eddington einen so überragenden Ruf genoss. Diese Feigheit und
Eddingtons Sturheit kosteten die Astrophysik 30 Jahre. Erst dann wurde
Chandras Theorie über Umwege bestätigt: durch
Erkenntnisse bei der Entwicklung der Wasserstoffbombe, die auf
ähnlichen Prinzipien fußt wie der Kollaps eines
Sterns. Mit 50 Jahren Verspätung erhielt Chandra den
Nobelpreis, aber dieser machte ihn nicht sonderlich glücklich;
zu viel Bitterkeit hatte der Streit mit Eddington hinterlassen.
Das Buch widmet sich hauptsächlich Chandrasekhars Biografie,
zeichnet aber auch die Lebensläufe und Werdegänge
anderer für die Entdeckung der Schwarzen Löcher
bedeutsamer Astronomen
und Physiker
abrissartig nach und gibt einen
spannenden Überblick über die Entwicklung der
Forschung auf diesem Gebiet, die von manchem Umweg geprägt
war. Vor allem wird in diesem Zusammenhang die unerbittliche Konkurrenz
einiger führender Astronomen, die sich teilweise verheerend
auf die weitere Arbeit der Verlierer auswirkte, nachvollzogen und
möglichst objektiv kommentiert. Der Leser erfährt
zudem, in welcher Weise unterschiedliche Disziplinen wie Astronomie,
Astrophysik, theoretische und angewandte Physik sowie Mathematik in die
Erforschung der Schwarzen Löcher eingingen.
Chandrasekhar, der den größten Teil seines Lebens im
liberaleren Amerika verbrachte, ist eine schillernde und interessante
Persönlichkeit unter den Naturwissenschaftlern des letzten
Jahrhunderts. So, wie er im Grunde zwei sehr unterschiedlichen Kulturen
angehörte, wechselte er auch zwischen verschiedenen
Wissenschaftsbereichen hin und her und machte sich in allen einen
Namen. Dieses Buch trägt dazu bei, seine in der
Öffentlichkeit nicht sonderlich präsenten Verdienste
zu würdigen. Vor allem aber stellt es unterhaltsam und gut
verständlich einen bewegten Ausschnitt aus der
Wissenschaftsgeschichte dar.
Viele Fotos und Bilder sowohl der im Buch porträtierten
Wissenschaftler als auch ihres Forschungsgegenstands (wenn auch
indirekt, da man Schwarze Löcher natürlich nicht
sehen kann) ergänzen die umfassende Darstellung. Die recht
häufigen Kommafehler hätte man ausmerzen
können, aber sie tun der großartigen
Qualität des Buchs nicht wirklich Abbruch.
"Der Krieg der Astronomen" kann einer breiten Leserschaft den Zugang zu
einem der spannendsten Wissenschaftsgebiete vermitteln, zumal das Buch
auf der nicht minder faszinierenden menschlichen Seite ansetzt.
(Regina Károlyi; 09/2006)
Arthur
I. Miller: "Der Krieg der Astronomen"
(Originaltitel "Empire of the Stars: Friendship, Obsession and Betrayal
in the Quest for Black Holes")
Aus dem Englischen von Hainer Kober.
DVA, 2006. 475 Seiten.
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Arthur I. Miller, geboren in New York, ist Physiker und Professor für Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaften am University College in London. Er veröffentlichte mehrere Bücher über die Relativitätstheorie sowie über Kreativität in Kunst und Naturwissenschaften.