Yiftach Ashkenazy: "Die Geschichte vom Tod meiner Stadt"
Der
Roman "Die Geschichte vom Tod meiner Stadt" des jungen israelischen
Autors Yiftach Ashkenazy hat nach seinem Erscheinen im Jahr 2004 viele
Diskussionen ausgelöst und den 1980 geborenen Ashkenazy zu so
etwas wie dem gefeierten neuen Star der israelischen Literaturszene
gemacht. Ob dieser Ruf berechtigt ist, sei in Unkenntnis der genauen
Lage dort dahingestellt. Fakt ist allerdings, dass Ashkenazy, dessen
Wehrdienst in der israelischen Armee seine Sicht der Welt total
verändert hat, diese neue Weltsicht ernüchtert und
lakonisch in einer Weise beschreibt, die sein Buch auf eine Stufe
stellt mit den beiden ebenfalls 2004 in Israel erschienenen Romanen von
Eshkol Nevo "Vier
Häuser und eine Sehnsucht" (deutsch 2007 bei DTV)
und von Avirama Golan "Die
Raben" (deutsch 2007 bei Suhrkamp).
Alle drei Romane, deren parallele Lektüre hier an dieser
Stelle nur ausdrücklich empfohlen werden kann, bilden ein
Kaleidoskop der gegenwärtigen israelischen Gesellschaft, die
zwischen Tradition und Moderne hin- und hergerissen, von einer
Korruption unerhörten Ausmaßes bis in die Regierung
und das Militär hinein bedroht und geschwächt, um ihr
Überleben bangen muss.
Ashkenazy führt den Leser mit verschiedenen Menschen im
heutigen Israel zusammen, von denen viele, wie sich im Verlauf des
Buches herausstellt, etwas miteinander zu tun haben. Zwar vorwiegend im
Leid und im Tod, aber sie haben noch etwas gemeinsam.
Ein junger Mann ist von seinem Wehrdienst zurückgekehrt (wie
der Autor) und schildert, wie er seine Stadt erlebt. Obwohl er nicht
lange weg war, sieht sie anders aus, weil er sie mit anderen Augen
anblickt. Und er sieht und beschreibt Menschen, die verzweifelt sind,
weil ihnen der permanente Kriegszustand ihrer Gesellschaft die Luft zum
Atmen und nicht selten ganz einfach das wirkliche Leben nimmt. Auf
geradezu paradoxe Weise wird das sichtbar an einem Friedensaktivist,
der in einer Art ultimativen Aktion ein jüdisches und ein
palästinensisches Mädchen entführt und davon
träumt, dafür den Friedensnobelpreis zu erhalten,
weil er mit dieser Aktion den gemeinsamen Rettungseifer der bisher
verfeindeten Parteien entfacht habe. Als das nicht gelingt,
vergewaltigt er die beiden Mädchen und tötet sich
selbst.
Die Gewalt, auch in den sexuellen Beziehungen der beschriebenen
Menschen, ist offensichtlich und manches Mal regelrecht
abstoßend. Doch immer wieder schimmert die Hoffnung der
Menschen durch, wie abseitig und pervertiert auch ausgedrückt,
Hoffnung auf gelingendes Leben. Doch seine eigene Zeit in der Armee hat
Ashkenazy gelehrt, dass er die Augen vor der Gewalt, die ihn umgibt,
nicht verschließen darf. Und so ist sein Buch
geprägt von einer großen Trauer um die
Zustände und was sie mit den Menschen machen, aber auch eine
tiefe Liebe zu ihnen ist spürbar. Der Autor kann das so
schreiben, weil er sich selbst noch liebt und noch nicht aufgegeben hat.
Am Schluss des Buchs beschriebt er seine Liebe zur Jazzmusik und den
Grund seines Sehnens:
"Wie Menschen kann auch Jazzmusik plötzlich
gewalttätig oder rassistisch sein. Sie kann sich auch sehnen.
Und wütend sein, ich sehne mich nach meinem Vater. Nach meiner
Kindheit. Nach lebendigen und toten Menschen, ganz egal. Nach einem
Menschen."
(Winfried Stanzick; 05/2007)
Yiftach
Ashkenazy: "Die Geschichte vom Tod meiner Stadt"
(Originaltitel "Tales of My Dying Town 1")
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner.
Sammlung Luchterhand, 2007. 126 Seiten.
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Yiftach Ashkenazy wurde 1980 in Karmiel geboren, einer kleinen Stadt im Norden Israels, in der Nähe von Akko.