António Lobo Antunes: "Fado Alexandrino"
"Akbar war ein Kaiser
und hatte einen Hof von Beratern. Der weiseste unter ihnen war Birbal. Eines
Tages stellte Akbar seine Berater vor ein Problem, um zu sehen, wer es lösen
konnte. Er zog mit dem Stock eine Linie in den Sand und fragte, wer diese Linie
verkürzen könne, ohne irgendeinen Teil von ihr zu berühren. Die Berater
kratzten sich am Kopf und wussten nicht, was sie tun sollten. Sie konnten sich
nicht vorstellen, wie man diese Linie verkürzen sollte, ohne etwas wegzureiben
und ohne sie zu berühren. Doch Birbal ging nach vorne, nahm einen Stock und zog
eine längere Linie parallel zur ersten, so dass diese kürzer aussah."
Während des Lesens von "Fado Alexandrino" musste ich permanent an
diese Geschichte denken, wollte die Beteiligten auffordern, den Blickwinkel auf
ihr Leben zu verändern, um so eine neue und bessere Perspektive zu finden.
Zehn Jahre nach Ende ihres Kriegseinsatzes treffen sich fünf Kriegsveteranen zu
einem gemeinsamen Abendessen. Im Verlauf dieses Treffens lassen vier davon ihr
Leben Revue passieren, der fünfte, ein Hauptmann, hört zu und betätigt sich
als Moderator, der den Leser durch diese Nacht führt.
Der Roman, der die
Geschichten der Männer als Gespräche wiedergibt, so als würde der Leser an
diesem Treffen teilnehmen, lässt uns auch einen Blick auf die
gewalttätige
Vergangenheit Portugals werfen. Es ist ein Treffen ohne echte Freude
darüber, die Anderen wiederzusehen; eher ein Abtasten, ein kritisches Mustern,
manchmal sogar ein geheucheltes Interesse, welches die Frage aufwirft, ob
eigentlich alle Beteiligten für nichts gealtert sind und ob überhaupt noch
irgend eine Veränderung realistisch erscheint, oder haben sich diese fünf
Männer einfach grundlos verbraucht?
Kriegsbilder, die die Veteranen verfolgen, tauchen auf, der heiße Atem
Afrikas
voll rätselhafter Insekten wird präsent, und die schlaffe Ruhe Lissabons am
Abend des Treffens tut ihr Übriges. Die Lebensgeschichten der Beteiligten sind
allesamt frustrierend und geprägt von Minderwertigkeitskomplexen, sexuellen
Problemen und Bindungsunfähigkeit. Egal, ob der einfache Soldat, der nur durch
die Großzügigkeit eines Homosexuellen überleben kann, oder der Befehlshaber
erzählt, der sich vor wirklichen Entscheidungen immer gedrückt hat - alle
Beteiligten sind Antihelden, die es fast unmöglich machen, dem Leser echtes
Mitgefühl zu entlocken. So erfahren wir vom Oberstleutnant, der die
lebensbedrohliche Krankheit seiner Frau nicht wirklich ernst genommen hat und
ihr innerlich vorwirft, dass ihr Sterben am Tag vor seiner Rückkehr ein
ziemlich geschmackloser Akt war. Der Leutnant berichtet, wie seine Ehe zustande
kam, die aber nach seiner Rückkehr in die Brüche ging, der Soldat jammert
über die grauenvolle Wohnung, die er mit dem Onkel teilt, der Funker beklagt
sich oder wirft die Frage auf, was schlimmer wäre: im Busch herumzuschießen
oder im zweiten Stock des Ministeriums zu arbeiten. Keiner der Kriegsveteranen
hat Zukunftsvisionen, nicht einmal einen Funken einer positiven Einstellung zum
Leben.
Ein Roman voller Gleichgültigkeit, Distanz, Bitterkeit - eine Bestandsaufnahme
der Zeiten vor, während und nach der Nelkenrevolution in Portugal. Ein Roman,
der auf drastische Weise aufzeigt, wie ein Krieg Menschen prägen kann, wie das
erlebte Grauen, die Brutalität und die Sinnlosigkeit sich in den Lebensläufen
dieser Männer fortsetzen, geradezu Besitz von ihnen ergriffen haben, sie nicht
zur Ruhe kommen lassen, verfolgen, kaum eine Möglichkeit bieten, aus dem
Kreislauf zu entfliehen und die Perspektive zu verändern.
Ein ernüchterndes Buch, ohne Beschönigung und voller Boshaftigkeit, ein Buch
über Menschen, die vom Schicksal schwer gezeichnet sind, die es nicht schaffen
mit der Vergangenheit abzuschließen, um etwas Neues zu beginnen, sondern ihren
Frust, ihre Ängste und ihre Probleme bei einem an das gemeinsame Essen
anschließenden Besäufnis zu verdrängen.
(Margarete Wais)
António Lobo
Antunes: "Fado Alexandrino"
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann.
Buch
bei amazon.de bestellen