Hans Christian Andersen: "Landschaft mit Poet"
Gedichte
Das dänisch-deutsche
Andersen-Projekt kommt mit vorliegendem Bändchen ausgewählter Gedichte des
Autors anlässlich dessen 200. Geburtstags zum Abschluss.
Die besondere Komponente besteht darin, dass die dänische Urversion der
Gedichte und die deutsche Übersetzung jeweils nebeneinander stehen. Wer also
des Dänischen mächtig ist, kann sich an einen Vergleich der Texte machen. Es
ist sehr schwer, ein Gedicht ins Deutsche zu übertragen, ohne dass die Qualität
des sprachlichen Ausdrucks darunter leiden muss. Heinrich Detering, der auch für
ein hochinteressantes Nachwort verantwortlich zeichnet, hat die Gedichte sowohl
ausgewählt als auch übertragen. In manchen Fällen entschied er sich dafür,
die Sprachmusik Andersens der wörtlichen Bedeutung vorzuziehen.
Insgesamt sind 39 Gedichte ausgewählt worden, die einen guten Überblick über
das lyrische Schaffen des "Märchendichters" Hans Christian Andersen
geben mögen. Über 1000 Gedichte hat er im Laufe seines dichterischen Lebens
geschrieben, und damit war es wohl eine große Herausforderung für Heinrich
Detering, eine Selektion vorzunehmen, an der sich der Leser genüsslich
delektieren kann.
Es galt mit dem zu besprechenden Büchlein eine Lücke zu füllen, da Andersen
bislang als Lyriker völlig unbekannt ist. Johann de Mylius stellte im Jahre
2000 den dänischen Lesern das weitreichende lyrische Werk von Andersen vor.
Deutsche Übersetzungen gab es nur wenige. Am bekanntesten sind sicher (nach wie
vor) die drei durch Robert Schumann berühmt gewordenen Chamisso-Versionen von "Märzveilchen",
"Der Spielmann" und "Der Soldat". Außer
diesen drei beachtenswerten Gedichten ist nur noch "Das sterbende Kind"
- das lyrische Debüt des Autors - in altbekannter Übertragung verblieben.
Ansonsten handelt es sich samt und sonders um Neuübertragungen von Detering.
Andersen schrieb neben Märchen Romane und Reisebücher, welche in den letzten
Jahren im deutschsprachigen Raum wiederentdeckt und neu übersetzt wurden. Nunmehr
also gilt es die lyrische Qualität des "Märchendichters" zu entdecken, und jene
ist als sehr hoch einzuschätzen. Davon kann sich der Leser schnell überzeugen,
wenn er sich in die ausgewählten Gedichte vertieft. Das lyrische Werk ist im
Kern genauso angelegt wie
die Märchen, Romane,
Schauspiele und Reiseberichte des Autors.
Sie verdeutlichen die Ambivalenz von Artigkeit und Anarchie sowie Aufbegehren
und Selbstbestrafung. Die Hauptthemen sind Liebe, Tod und Religion. Um die
Depressionen des alternden Andersen aus den Gedichten herauslesen zu können, wäre
wohl ein Studium des lyrischen Gesamtwerkes notwendig. Doch "Gottlosigkeit"
und Glaubenswille stehen ebenso nebeneinander wie die Angst vor dem Tod und die
Vorstellung einer Einkehr in das Himmelreich als wiedergeborenes Kind.
Als Beispiel für die Ambivalenz, die aus den Gedichten Andersens hervorblinkt,
möchte der Rezensent am Ende seiner kleinen Besprechung die zweite Strophe des "Psalm"
und die dritte Strophe von "Mich packt die Angst wie nie zuvor"
einander gegenüberstellen. Einen Reim auf die bemerkenswerte lyrische Dynamik
von Hans Christian Andersen kann sich freilich letztlich nur der Leser machen,
welcher sich zu einem Kauf von "Landschaft mit Poet" entschlossen
hat ...
Psalm
...
Mach kurz die Schmerzen der Verwandlung.
Und gib mir einen Kindermut.
Und richte Denken, Willen, Handlung
Nach deiner Gnade, Vater gut!
Nimm fort die Angst, nur dich ich seh'!
In Jesu Namen: dein Wille gescheh'!
Mich packt die Angst wie nie zuvor
...
Nun tritt der Tod mich in den Staub,
Werd' nur die Seele nicht sein Raub!
Leg auf die Zunge mir dein Wort,
Nimm im Gebet die Angst mir fort!
Hab ich nicht Gott - was bleibt, was hält,
Wenn mir die ganze Welt zerfällt?
(Al Truis-Mus; 03/2005)
Hans Christian Andersen: "Landschaft
mit Poet"
Ausgewählt und übertragen von Heinrich Detering.
Wallstein, 2005. 112 Seiten.
ISBN 3-89244-889-2.
ca. EUR 17,50.
Buch
bei amazon.de bestellen
Weitere Buchtipps:
Hans Christian Andersen: "Märchen, Geschichten und Briefe"
Ausgewählt und kommentiert von Johan de Mylius. (Insel)
Buch
bei amazon.de bestellen
Hans Christian Andersen: "Nur ein
Spielmann"
Andersens Roman aus dem Jahr 1837 erzählt die bewegende Geschichte zweier
unterschiedlicher Temperamente und Lebensentwürfe. Da ist zum einen der arme
Schneidersohn Christian, der von einem ruhmreichen Leben als Musiker träumt,
aufgrund seiner Herkunft aber am Ende nur ein unbedeutender Spielmann wird. Und
da ist zum anderen die selbstbewusst-androgyne Naomi, Christians
leidenschaftliche Antipodin aus wohlhabendem Haus, in die Christian hoffnungslos
verliebt ist, die ihr eigenes Glück aber in der Welt von Adel und Libertinage
zu finden hofft. Dem wechselhaften Schicksal beider Figuren folgt der Roman von
Kopenhagen bis Rom, von Wien bis Paris und entfaltet dabei ein detailliertes
Bild seiner Zeit. Eindrucksvoll zeigt die Neuübersetzung dieses Romans, dass
Hans Christian Andersen nicht nur ein meisterhafter Märchenerzähler, sondern
auch ein bedeutender Romanautor ist, der weltläufiges Erzählen mit bitterer
Sozialkritik verbindet. (S. Fischer)
Buch
bei amazon.de bestellen
Stig Dalager: "Reise ins Blau. Ein Roman über Hans Christian Andersen"
Eine biografisch-literarische Reise durch das rastlose Leben des großen
Dichters und Märchenerzählers Hans Christian Andersen. (Arche)
Buch
bei amazon.de bestellen