Karin Alvtegen: "Scham"
Karin Alvtegen hat in den vergangenen
Jahren mit ihren drei bisher erschienenen Büchern auf dem Markt der
Psychothriller Maßstäbe gesetzt. Als ehemalige Krankenschwester in der
Psychiatrie (die Angabe dieser früheren beruflichen Tätigkeit fehlt beim neuen
Buch im Klappentext) hat sie einen großen Erfahrungsschatz gesammelt über die
Abgründe der menschlichen Seele. Und so werden die Personen in ihren Büchern
auch nicht denunziert oder abgestempelt, sondern Alvtegen beschreibt ihr
seelisches Leid, benennt seinen biografischen und herkunftsfamiliären Ursprung
oder deutet ihn zumindest an und lässt den Leser mitfühlen. Wenn man ihre Bücher
liest, kommt einem mehr als einmal der Gedanke, auf welch brüchigem Pfad der
Existenz man selbst geht, wie dünn das doch angeblich so feste und tragfähige
Eis der eigenen Lebenswirklichkeit ist. Und dass all dies von einer Sekunde auf
die andere vorbei sein kann, und das bisher so souverän gelebte Leben vorbei
ist.
In ihrem neuen, genial komponierten Roman "Scham" ergründet sie mit
Hilfe ihrer beiden weiblichen Hauptfiguren die Bodenlosigkeit und den Abgrund
von Schuld, ob sie nun religiös hergeleitet und gedeutet wird oder nicht. Ihre
Wirkung auf die betroffenen Personen ist in beiden Fällen mächtig und
zerstörerisch. Und außer der Liebe ist ihr nichts gewachsen. Doch die liegt für
einen "schuldigen" Menschen so weit außerhalb seiner Vorstellungs- und
Erlebenskraft, dass er einen Ausbruch oder gar eine Freilassung aus seinem
Schuldgefängnis nicht für möglich hält.
Monika Lundvall ist Ende 30,
erfolgreiche Chefärztin, die ihre Gefühle mit Arbeit betäubt. Im Rahmen einer
Fortbildung erzählt sie, verführt durch entsprechende Methoden des
Seminarleiters, ihre Geschichte: sie hat bei einer Party durch ihre
Nachlässigkeit und Bequemlichkeit den Feuertod ihres Bruders verschuldet und
bisher über die wahren Vorfälle damals alle, hauptsächlich aber ihre Mutter,
belogen.
Monika Lundvall lernt bei diesem Führungsseminar Matthias und Ase kennen, und
es ergibt sich, dass Monika mit Matthias für die Heimfahrt den Platz tauscht,
um rechtzeitig mit ihrer Mutter ihren wöchentlichen, quälenden Besuch am Grab
des verbrannten Bruders zu machen. Ase verunglückt, Matthias auf dem Beifahrersitz
wird in Stücke gerissen. Zu mächtig war die rechte Seite des Autos mit einem
kapitalen Elch kollidiert.
Mai-Britt, Mitte 50, und, wie
sich später herausstellt, Nachbarin von Matthias' Familie, trägt schon viel
länger an ihrer Schuld. Aufgewachsen in einem streng religiösen, ja dogmatischen
Elternhaus quält sie sich mit der Schuld der "Selbstbefleckung", seit sie
zusammen mit ihrer Freundin Vanja bei Doktorspielen erwischt wurde. Sie wird,
mitten in der Pubertät, quasi exorzistisch behandelt, aber sie wird ihre Schuld
nicht los.
"Sie hatte gebetet und gebetet, aber niemals ihren Glauben teilen dürfen, Gott
hatte ihre Gebete
nicht gewollt. Sie hatte alles aufgegeben, um ihren Gehorsam zu zeigen und von
seiner Liebe umfangen zu werden, aber Er hatte niemals geantwortet. Niemals
mit einem einzigen Wort, einem einzigen Zeichen zu erkennen gegeben, dass Er
zuhörte, dass Er ihren Kampf und ihr Opfer anerkannte. Er schwieg sie zu Tode,
weil sie es nicht wert war. Er hatte sie abgewiesen und sie einsam mit ihren
schmutzigen Gedanken zurückgelassen." (S.80)
Und so frisst sie sich regelrecht zu, wird vom Sozialdienst
betreut und hat seit 25 Jahren ihre Wohnung nicht verlassen, die sie bezogen
hatte, nachdem auch sie eine zweite Schuld auf sich geladen hatte, indem sie
wissentlich ihre blinde Tochter zu Tode stürzen ließ.
Als ihre Freundin
Vanja Tyren beginnt, ihr aus dem Gefängnis (sie hat 30 Jahre zuvor ihre Familie
ausgelöscht - Schuld!) Briefe zu schreiben, gerät alles aus ihren starren
Lebensfugen. Und es fügt sich, dass sich beide Frauen, Monika und Maj-Britt,
begegnen ...
Mehr soll nicht verraten werden. Auch im neuen Buch schreibt
Karin Alvtegen genial, spannend und, wie ich hinzufügen möchte, zutiefst
menschlich. Der Leser leidet mit den Figuren, er hält mit jeder Seite mehr den
Atem an, wohin sich diese fruchtbare Schuldspirale entwickelt.
Und man macht
sich so seine Gedanken über Schuld und Vergebung sowie darüber, was eine recht
und menschlich verstandene jüdisch-christliche Überlieferung in Sachen Schuld
und Vergebung zu leisten imstande wäre, würde sie nur richtig vermittelt - für
die Menschen und nicht gegen sie.
(Winfried Stanzick; 02/2006)
Karin Alvtegen:
"Scham"
(Originaltitel "Skam")
Übersetzt von Dagmar
Lendt.
Wunderlich im Rowohlt Verlag, 2006. 352 Seiten.
ISBN
3-805-20809-X.
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Karin Alvtegen, 1965 geboren, ist die
Großnichte von
Astrid
Lindgren. Sie lebt mit ihrer Familie in Stockholm und arbeitete zuletzt als
Drehbuchautorin. Von der schwedischen Presse wurde sie bereits mit
Henning
Mankell und Liza Marklund verglichen.
Lien zu Karin Alvtegens Netzseite:
https://www.karinalvtegen.com/.
Weitere Bücher der
Autorin:
"Die Flüchtige"
Sibylla Forsenström ist ihr ganzes Leben lang auf der Flucht gewesen. Vor ihren
Eltern, ihren
Mitmenschen und nun vor der Polizei. Mit achtzehn hielt sie es zu Hause nicht
mehr aus; seitdem lebt sie auf der Straße, schon fast fünfzehn Jahre lang. Sibylla
ist eine von vielen Obdachlosen in Stockholm, und doch ist sie anders. Als Tochter
eines reichen Fabrikdirektors hat sie gelernt, wie man sich in der Welt bewegen
muss, ohne aufzufallen. Manchmal gibt sie sich sogar als reisende Geschäftsfrau
aus, um so für eine Nacht in einem Luxushotel unterzukommen. Wenn sie dann einem
einsamen Geschäftsmann die Geschichte vom verlorenen Portemonnaie erzählt, bekommt
sie fast immer ein Abendessen und ein Zimmer gratis, ohne selbst Verpflichtungen
einzugehen. Doch dann wird Jörgen Grundberg, ihr letzter Gönner, bestialisch
ermordet in seinem Hotelzimmer aufgefunden. Für die Polizei ist der Fall schnell
klar: Sibylla ist die Frau, die zuletzt mit Grundberg gesehen wurde. Alle Indizien
sprechen dafür, dass sie die Mörderin ist. Für Sibylla beginnt ein Wettlauf
mit der Zeit. Sie wird im ganzen Land gesucht, und selbst für sie, eine Meisterin
des Versteckspiels, kann die Flucht kein Ausweg sein.
Als sie auf dem Dachboden einer Schule von dem fünfzehnjährigen Patrik
entdeckt wird, weiß sie, dass er ihre letzte Chance ist. Und Patrik ist
leichtsinnig und zu neugierig, um Sibylla einen Wunsch abzuschlagen ...
(Rowohlt)
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"Schuld"
Peter Brolin steht mit seiner Firma vor dem
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Brolin nicht, dass sich der Terror bald auch gegen ihn richten wird und er
Schatten seiner Vergangenheit heraufbeschwört, vor denen ihn auch die erfahrene
Kriminalkommissarin Bodil Anderson nicht bewahren kann. (Rowohlt)
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"Der Seitensprung"
Eva
entdeckt, dass ihr Mann eine Affäre hat - und sinnt auf Rache. Für den schnellen
Trost gabelt sie in einer Spelunke Jonas auf. Sie ahnt nicht, dass ihr
charmanter Begleiter schwer gestört ist: Frauen, die mit ihm anbändeln, lässt er
nie wieder los. (Rowohlt)
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