"Alles LaLula: Songs & Poeme"
(Hörbuch)
Der geneigte Leser hat die Möglichkeit, zum Hörer zu werden, und Uwe Dick sowie Franzobel sind Beispiele für Vertreter von Gegenwartsautoren, deren Lesungen eine besondere Magie ausstrahlen.
Als ich einer Lesung des poetischen Rebellen Uwe Dick lauschte, war ich positiv überrascht. Hier leierte einer keinen Text herunter, sondern war mit Haut und Haaren dabei, seine Wahrheiten in das Publikum zu schleudern. Er agierte wie ein Besessener und vermochte es, in einer knappen halben Stunde ein monströses Weltbild wiederzugeben. Literatur kann mehr sein als ein paar Worte, die zwischen Buchdeckeln gefangen sind. Die Texte von Uwe Dick entfalten ihre Wirkung durch die Kraft und Wandlungsfähigkeit der Stimme des Autors. Da Bayern und Österreich viel näher beieinander liegen, als der Leser meinen könnte, noch eine kleine Bemerkung zu Franzobel. Bei ihm ist die Sache ähnlich wie bei Uwe Dick gelagert. Einziger Unterschied ist die Thematik der Texte, welche uns in diesem Zusammenhang nicht zu interessieren braucht. "Die Krautflut", durch die Franzobel in Österreich den Durchbruch als Autor schaffte, wäre vielleicht bei den Juroren des "Bachmann-Preises" durchgefallen, hätte er etwa so desinteressiert die Sätze aus sich rausgebrummt wie der gegenwärtig als "großes Talent" bezeichnete Daniel Kehlmann. Doch Franzobel wollte sich nicht unterirdisch verstecken. Er trug "Die Krautflut" derartig melodiös und kraftvoll vor, dass mir sofort absolut klar war, wie der Sieger des Wettbewerbes 1995 heißen würde. Die Juroren sahen es ähnlich, und selten noch gab es eine derartige Einstimmigkeit.
Der geneigte Leser hat die Möglichkeit, zum Hörer zu werden, und Uwe Dick sowie Franzobel sind Beispiele für Vertreter von Gegenwartsautoren, deren Lesungen eine besondere Magie ausstrahlen.
Die vorliegende CD "Alles LaLula" steckt voll von Songs und Poeme besonderer Autoren, welche durch die Fähigkeit prägnanter Interpretationen ihrer Texte einen außerordentlichen Hörgenuss bieten. Wobei die Vielfalt erstaunlich ist. Von Joseph Beuys über Yoko Ono bis zu H. C. Artmann und Karl Valentin reicht die Palette. Der Rezensent will einen kleinen Einblick in die poetische Kraft dieser CD geben und bedient sich dazu gleich mal Ernst Jandls.
Der Dichter Ernst Jandl ist zweifelsfrei jener Österreicher, dessen Lautmalereien vielen Lesern und Hörern bekannt sein dürften. "Ottos Mops" darf als absoluter Klassiker auf der CD nicht fehlen. Vergleichsweise unbekannt (wie viele andere Titel auf dieser bemerkenswerten Scheibe) ist "auf dem land" (1966). Der Wiener Autor nahm bei der BBC London dreizehn seiner Sprechgedichte auf und verarbeitete sie gemeinsam mit zwei Technikern mit den Maschinen des Radiophonic Workshop in London zu einer halbstündigen Sendung. Ein Ausschnitt daraus bildet "auf dem Land". Die Ineinanderverschiebung von Rezitation, "ländlicher" Geräuschkulisse und an Mantras erinnernden Gesängen ergibt einen in sich stimmigen Kontext. "Footnote to Howl" (1959) von Allen Ginsberg ist eine tief in die Seele gehende Heiligung des Lebens. Die scheinbare Satire löst sich von Sekunde zu Sekunde mehr auf und endet wie das Leben selbst überraschend. Eine besondere Aufnahme ist jene von John Lennon und Yoko Ono. Yoko Onos Werk ist von verschiedensten Dokumentationsformen von Leben als Kunst durchdrungen. Yoko Ono nahm in diesem Sinne gemeinsam mit John Lennon im Queen Charlotte Hospital in London den Gesang "No bed for Beatle John" auf Kassette auf. Für John Lennon war zeitweise im Hospital während Yoko Onos Krankenhausaufenthalt kein Bett frei ...
Rezitative
Aufnahmen von Pop- und Jazzavantgarden bilden einen wirksamen Kontrast zu Lautpoesie,
Sprechgedichten, situationskomischen Texten, Mundartgedichten und Vokalimprovisationen.
Hervorzuheben sind LeRoi Jones und Napoleon XIV.
Le Roi Jones gilt als der
wichtigste afro-amerikanische Dichter der Beat-Generation und veröffentlicht heute
unter dem Namen Amiri Baraka weiter. Ihm gelang 1966 mit "Sweet - Black Dada Nihilismus"
eine erstaunliche Aufnahme, die Jazzimprovisation und Poetry-Vortrag perfekt miteinander
harmonieren lässt.
Napoleon XIV landete im Sommer
1996 mit der Single "They're Coming to Take Me Away, Ha-Haaa!" einen Welthit.
Es ist eine "Unplugged"-Scheibe aus einer Zeit, wo es diese Form der Musik eigentlich
noch gar nicht gab, und der Text dabei auch noch einen tieferen Sinn abseits vom
Mainstream beisteuerte.
Liesl Karlstadt singt chinesisch, Karl Valentin versucht, das Publikum nicht zum Lachen zu bringen, Majakowski hegt den Plan zur Begründung eines kommunistischen Futurismus, Gertrude Stein lässt sich nicht von Picasso malen, und Schwitters schwittern das berühmte Gedicht "An Anna Blume". Dies und noch viel mehr ist auf dieser absolut empfehlenswerten Doppel-CD enthalten. Der Titel "Alles LaLula" spielt auf "Das große Lalula" (1905), das berühmte Lautgedicht von Christian Morgenstern, an. Der Autor war mit dem Fantasten Paul Scheerbart einer der ersten Autoren der Moderne, die Formen der Lautpoesie erprobten und entwickelten. Die italienischen und russischen Futuristen sowie die Dadaisten arbeiteten programmatisch an Formen sogenannter akustischer Dichtung. Einen bunt gemischten Einblick in dieses Panorama gesprochener, geschrieener, gegurgelter, geflüsterter und gesungener Poesie vermittelt die CD, wobei eine Fortsetzung als wahrscheinlich gilt.
Texte müssen nicht zwischen Buchdeckeln verborgen bleiben. Sie können ruhig auch mal so richtig hinausgeschleudert werden in das weite Universum. Uwe Dick und Franzobel zeigen vor, dass das auch heute noch geht. Und zahlreiche oft wenig bekannte Autoren beweisen in diesem Zusammenhang sehr viel Engagement. CDs wie die besprochene verdeutlichen die Wichtigkeit von gesprochener Poesie. Es sei abschließend an den großartigen Axel Corti erinnert, der vor kurzem 70 Jahre alt geworden wäre. Seine Radiosendung namens "Schalldämpfer" lebte von Cortis unnachahmlicher Stimme, die 25 Jahre lang über den Äther schallte. Es ist nicht so leicht, eine individuelle Stimme zu verkörpern. Axel Corti WAR seine Stimme. Sie gehörte zu ihm wie das Salz in die Suppe.
(Jürgen Heimlich; 05/2003)
"Alles Lalula. 2 CDs. Songs & Poeme"
Herausgegeben
von Wolfgang Hörner, Herbert Kapfer.
Eichborn, 2003. 2 CDs, 8-seitiges Begleitheft.
ISBN 3-8218-5241-0.
ca. EUR 25,-.
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