Waverley Root: "Alles, was man essen kann.
Eine
kulinarische Weltreise von Aakerbeere bis Zwiebel"
Aa steht für die Aakerbeere ...
Waverley Roots kulinarisches Lexikon
Von der arktischen Aakerbeere bis zur ungleich weiter verbreiteten Zwiebel spannt sich der Bogen der Nahrungsmittel, die der amerikanische Autor Waverley Root in seiner in über zehnjähriger Arbeit entstandenen kulinarischen Weltreise mit unglaublichem Fachwissen, aber auch viel Humor beschreibt. Unzählige bekannte und - zumindest in unseren Breiten - weniger populäre essbare Pflanzen und Tiere aus allen Kontinenten und Meeren sowie solche, die in früheren Jahrhunderten auf dem Speiseplan standen, heute aber in Vergessenheit geraten sind, werden alphabetisch aufgelistet und mit wissenschaftlichen Kurzbeschreibungen, der Geschichte ihrer Herkunft, Verbreitung und Verwendung, Anekdoten und mitunter herrlich bissig-witzigen Kommentaren versehen.
In Intention und Anlage ist "Alles, was man essen kann" mit Alexandre Dumas vor einiger Zeit erstmals in deutscher Übersetzung erschienenem "Grand Dictionnaire de Cuisine" zu vergleichen, das Root auch als eine seiner zahlreichen Quellen verwendete. Wo der französische Romancier aber in seinem voluminösen Werk meist in ausführlichen Betrachtungen schwelgt, begnügt sich Roots mit seinen rund 400 Seiten deutlich schmaleres Wörterbuch des Öfteren mit knappen, aber nichtsdestotrotz breitgefächerten Informationen.
"Se steht für Seegurke, alias bêche-de-mer", erfährt der staunende Leser etwa über eine exotische Spezialität, "die in China zu den begehrtesten Köstlichkeiten zählt, nichtasiatischen Zungen jedoch eine größere Ähnlichkeit zu Gummi offenbart, als unsereins wünschenswert findet, vom Anblick ihrer reizenden Gestalt ganz zu schweigen; für den Seehund, der im 15. Jahrhundert auf vornehmen Londoner Tafeln zu finden war; für den Seeigel, der in Küstennähe auf allen Tafeln zu finden ist, ob vornehm oder nicht, fern der Küste aber besser im Fischgeschäft gelassen wird; für Seetang, den man in Japan in allen erdenklichen Farben, aber nur einer Geschmacksrichtung bekommt; für die Seifennuss, aus der die Indianer Alaskas Kuchen backen, 'die Weißen als höchst widerwärtige Nahrung erscheinen , wie es der Naturforscher W. H. Dall ausdrückt; für den Seifenrindenbaum Malaysias, dessen süße Früchte nicht jedermann bekommen; für die Sevilla-Orange oder Bitterorange; für Sevruga, den kleinsten Stör, der den kleinschaligsten Caviar liefert; und für die Seezunge, den bekanntesten Plattfisch." Mehr gibt es dann aber zumindest über den Seehecht, die Sellerie und den Senf zu erfahren, bevor Root schließlich seine von ansteckender Neugier getriebene Aufmerksamkeit den mit "Sh" beginnenden Nahrungsmitteln widmet.
Im Gegensatz zu Dumas' monumentalem Werk enthält "Alles, was man essen kann" keinerlei Rezepte, stillt aber auf ähnlich amüsante Weise den kulinarischen Wissensdurst. Vom deutschen Gourmetguru Wolfram Siebeck wurde es gar als ein Buch bezeichnet, das er "gern selbst geschrieben hätte". Unter dem Titel "Das Mundbuch. Eine Enzyklopädie alles Essbaren" wurde Roots Band, der 1980 im amerikanischen Original erschienen ist, im Herbst 1994 in der Anderen Bibliothek veröffentlicht und nun aufgrund der anhaltenden Nachfrage wieder aufgelegt.
Waverley Root, der seinen ungewöhnlichen Vornamen der Begeisterung seiner Tante Millie für Sir Walter Scotts "Waverley"-Romane verdankt, wurde 1903 in Providence, Rhode Island, geboren. Nachdem er sich in New York als Autor von Kurzgeschichten und als Rezensent versucht hatte, ging er 1927 nach Frankreich, wo er mit einigen Jahren Unterbrechung bis zu seinem Tod im Jahre 1982 lebte. Root arbeitete als Journalist u. a. für die "Washington Post", die "Chicago Tribune", "Politiken" und für Rundfunkanstalten; als homme politique war er Mitglied der Ehrenlegion. Nachdem er bereits mehrere Bücher veröffentlicht hatte, wurde er 1958 mit "The Food of France" auf Anhieb zu einer gastronomischen Instanz. Diesen Ruf festigte er mit "Eating in America", einer zusammen mit Richard de Rochemont verfassten Kulturgeschichte Nordamerikas, und Werken über die französische und italienische Küche.
Trotz seiner unbestrittenen Autorität auf kulinarischem Gebiet ist der Wahlfranzose allerdings einmal mehr ein Beispiel dafür, dass detaillierte Sachkenntnis und Begeisterung nicht immer mit praktischen Fähigkeiten korrelieren müssen. Selbst gekocht hat Waverley Root, wie er zugibt, nur einmal in seinem Leben, und da hatte er keine andere Wahl: "Ich war in Vermont als Ghostwriter fünf Monate lang eingeschneit. Es gab viel Huhn, weil es viele Hühner gab."
(sb; 06/2003)
Waverley Root: "Alles, was man essen kann.
Eine
kulinarische Weltreise von Aakerbeere
bis Zwiebel"
(Originaltitel: "Food. An Authoritative
and Visual History
and Dictionary of the Foods of the World")
Aus
dem Amerikanischen von Melanie Walz.
Eichborn,
2003. 405 Seiten.
ISBN 3-8218-4734-4.
ca. EUR 19,90.
Buch bestellen