Isabel Allende: "Zorro"

Augenzwinkernder Liebesbeweis an den Fuchs mit der Maske


"Dies ist die Geschichte von Diego de la Vega und davon, wie aus ihm der legendäre Zorro wurde", setzt der wortschöne Roman um den schwarzgewandeten Rächer mit der Augenmaske an. Alles Nachfolgende ist buchstäblich farbenfrohe Legende der Allende. All jene, die der chilenischen Autorin ihren "magischen Realismus" aus "Das Geisterhaus" bis heute nicht verziehen haben, Fantasiebankrotteure also, dürfte "Zorro" wohl in den endgültigen Ruin treiben. Mit schwelgerischer Schreibfreude lässt die Allende kein Klischee der klassischen Mantel- und Degengeschichten unbedient. Liebe, Hass, Grausamkeit, Mitleid, Eifersucht - jedes Gefühl, jede Eigenschaft kommt unverdünnt beim Leser an. Trotz allem verflacht ihre Interpretation des kalifornischen Heldenstoffes nie in Platituden. Sie weiß um die Brüchigkeit der Kitschklippen wohl Bescheid. Steht die Handlung davor, unerwartet in den Schlund des Pathos zu kippen, klingt sofort Ironie mit, leichtfüßig schwebend in eleganten Formulierungen, um so der Romantik, vom zuckersüßen Ballast befreit, schelmisch weiterzuhelfen. "Die Feder hinter Zorros Degen", hieß es über Isabel Allende in der "Seattle Times". Trefflich! Sie ist es, durch die Diego de la Vegas Klinge ihre Schneid nie verliert.

Tauchen wir ein in den Stammbaum dieses noblen Mannes, zurück in die Tage, als Spanien noch Weltmacht ist und Kalifornien nichts weiter als eine unbedeutende Kolonie am anderen Ende des Imperiums. Damals sagt der Seemann Diego Salazar dem militärischen Drill adios und flieht von Freiheitslust getrieben zum Stamm der Chumash, wo er alsbald mit deren Schamanin Weiße Eule eine Tochter zeugt, Toypurnia, ihr Name. Durch Landraub und Zwangsmissionierung der Spanier erzürnt, leistet das Mädchen in jugendlichen Jahren bewaffneten Widerstand gegen die Eindringlinge. Im Wolfskostüm, als Mann getarnt, überfällt sie mit ein paar Dutzend Kriegern eine Missionsstation. Zu ihrem Pech wird der Angriff dort von Capitán Alejandro de la Vega bereits erwartet und zurückgeschlagen. Toypurnia kommt in Gefangenschaft, geht aber bald frei und wird auf den Namen Regina christlich getauft. Fürwahr, sie ist vom Wesen eine Königin. Der spanische Hauptmann hat sich auf Anhieb in die Waghalsige verliebt, nach drei Jahren des Hofmachens ist schließlich Hochzeit. Monate später erblickt Sohn Diego das Licht der Sonne Kaliforniens. Von Kindheit an unterweisen ihn Mutter und Großmutter in Okahué, dem spirituellen Weg ihrer indianischen Ahnen. Ehre, Gerechtigkeit, Achtung, Würde und Mut sind darin die grundlegenden Tugenden. Kurz vor seinem fünfzehnten Geburtstag wird Diego gemeinsam mit seinem "Milchbruder" Bernardo (die Amme des Einen war die Mutter des Anderen) in die Wüste geschickt, um ihrer beiden Totemtiere zu begegnen. Bernardo findet ein schwarzes, verwaistes Fohlen (Zorros späterer Hengst "Tornado"), während Diego durch Blicke mit einem Fuchs kommuniziert. Das schlaue, nachtaktive Tier, spanisch "el zorro", wird fortan sein spiritueller Begleiter.

Kurz nach der schamanischen Initiation wird Diego nach Europa geschickt. Vater Alejandro, mittlerweile honoriger Großgrundbesitzer und Bürgermeister von Los Angeles (damals ein Provinzflecken), hat genug von den "heidnischen Bräuchen" Toypurnias. Sein Sohn soll ein wahrer spanischer Kavalier werden. 1810 kommen Diego und Bernardo in Barcelona, im Anwesen von Tomás de Romeu, einem Freund der Familie de la Vega, an. Diego ist sofort entflammt für Don Romeus ältere Tochter Juliana. Juliana de Romeu? Schon ihr Name lässt Herzschmerz und Balkonszenen erahnen. "Der Dreiklang ihres pechschwarzen Haars mit dem milchweißen Teint und den jadegrünen Augen war unvergesslich". Worte, würdig eines Cyrano de Bergerac. Dazu ist die katalanische Schönheit auch noch "gebildet und gefühlvoll, spielt mit Feenfingern virtuos die Harfe". Sonntags verteilt sie Münzen an die Armen. Nur einen Bedürftigen erhört sie - geblendet durch schwesterliche Gefühle - nicht: Diego.
Was diesen nicht entmutigt. Ist Juliana zugegen, "spreizt er alle seine Pfauenfedern. Für sie hätte er gegen einen Drachen gekämpft, aber die gab es in Barcelona nicht, und so musste er sich mit Rafael Moncada bescheiden." Dieser um acht Jahre ältere, einflussreiche Adlige "von dehnbarer Moral" ist Juliana ebenso inbrünstig verfallen. Klar, dass er und Diego mehr und mehr zu Todfeinden heranreifen. Isabel Allende: "Verliebtsein ist ein Leiden, das den Männern den Verstand zu trüben pflegt, aber besorgniserregend ist es nicht, denn gemeinhin müssen die Gefühle des Patienten nur erwidert werden, und schon nimmt er wieder Vernunft an und hält die Nase witternd in den Wind auf der Suche nach neuer Beute."

Im größten Fechtmeister seiner Zeit, Don Manuel Escalante, findet Diego einen väterlichen Freund und brillanten Lehrer. Der Degenvirtuose erweist sich zudem als Führer des Geheimbundes La Justicia, dessen Name Programm ist. Escalante erkennt in Diego de la Vega einen Seelenverwandten, der wie er fanatisch für die Gerechtigkeit eintritt und nimmt den Jungen nach bestandenen Prüfungen in den erlauchten Kreis als "Zorro" auf. Der in schwarz gekleidete Rächer mit Umhang, Peitsche und Degen betritt erstmals die Bühne des Geschehens. Zuerst sorgt der "Fuchs" für die Befreiung von Geiseln aus der Hand der napoleonischen Besatzer, nach dem Umsturz verhilft er hingegen Franzosenfreunden zur Flucht vor der spanischen Inquisition. Politik ist ihm einerlei, Gerechtigkeit alles. Bald schon kennt jedes Kind den kostümierten Helden. Als Moncadas Einfluss noch mehr wächst, und Tomás de Romeu hingerichtet wird, flieht Diego mit der angebeteten Juliana, ihrer Schwester Isabel und der Gouvernante Nuria als Pilger verkleidet über den Jakobsweg zum Atlantik. Dort besteigen sie ein Schiff, das sie nach Amerika bringen soll. Doch nach überstandenem Orkan fallen sie in die Hände von Piraten. Sehr zu Diegos Überdruss verliebt sich Juliana in den feinsinnigen und galanten Anführer der Korsaren, Jean Lafitte. Auf Grande Terre, dem Eilandversteck der Freibeuter, lernt der royalistisch erzogene Diego - überrascht und fasziniert - erstmals eine funktionierende Demokratie kennen. Aber auch archaischer Voodoo wirkt im Hintergrund. Die Odyssee Diego de la Vegas scheint zu Ende, als er mit Isabel und Nuria fünf Jahre nach seiner Abreise wieder in Kalifornien eintrifft. Dort gibt es ein freudiges Wiedersehen mit Bernardo, der vor ihm Barcelona verlassen hatte. Doch die Gefahr lauert. Moncada, mit Vollmachten des spanischen Königs ausgestattet, wartet ebenfalls in Kalifornien. Er hat Diegos Vater in den Kerker geworfen und Hab und Gut der Familie de la Vega beschlagnahmt. Die finale Auseinandersetzung kann beginnen.

Isabel Allendes "Zorro" ist ein Liebebeweis an die Romantik, ein Roman, der vom Stil her so gar nicht in unser Jahrhundert passt; ein Buch, das durch kindliche Leichtfüßigkeit und erwachsenen Witz gleichzeitig beschwingt; ein Buch, das Sehnsüchte weckt und stillt. Gewiss, wenn die Indianerinnen nächtens mit Delfinen schwimmen oder eine Voodoo-Untote sich um ihr Kleinkind sorgt, wird das nicht den Sehnerv jedes Lesers in Verzückung setzen. Vielleicht können diese Empörten durch eine sanfte Frauenstimme dennoch mit "Zorro" versöhnt werden, dann, wenn seine fiktive Chronistin, die am Beginn jedes Kapitels zu Wort kommt, gesteht: "Ich habe großzügig Adjektive gestreut und Diegos Heldentaten mit etwas Spannung gewürzt, seine vortrefflichen Tugenden jedoch nicht zu stark übertrieben. Dichterische Freiheit nennt man das wohl, und wenn ich recht verstehe, ist sie legitimer als die schlichte Lüge."

(lostlobo; 07/2005)


Isabel Allende: "Zorro"
Aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp, 2005. 444 Seiten.
ISBN 3518416707.
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Lien zur Netzseite der Autorin: https://www.isabelallende.com/.

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